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Portrait einer couragierten Humanistin

Hilde Schramm, Tochter von Albert Speer, hat ihrer Lehrerin Dora Lux (1882-1959) ein umfangreiches Buch gewidmet. Es zeigt, wie eine unabhängige und couragierte Frau ihren eigenen Weg ging und sich in der NS-Zeit auf riskante Weise gegen ihre Entrechtung wehrte.

von Elisabeth Gregull

„Mein Vater ist Albert Speer; er war Hitlers Architekt, von 1942 bis Kriegsende Minister für Bewaffnung und Munition; im Nürnberger Prozess wurde er als Kriegsverbrecher verurteilt. Meine Herkunft zwang mir eine frühe und nicht abschließbare Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus auf.“ Mit diesen Worten skizziert Hilde Schramm ihre Familienbiographie. Für ihre Selbstfindung, so fährt sie fort, „war jedoch der Einfluss von Menschen entscheidend, die eine Gegenwelt zur NS-Ideologie verkörperten; Menschen, die mir eine Ahnung davon vermittelten, wie befreiend Humanität und Aufklärung sein können. Eine solche Erfahrung verdanke ich meiner Lehrerin Frau Dr. Lux.“

Persönliche Erinnerungen und offene Fragen

Hilde Schramm hat ihre Heidelberger Geschichtslehrerin sehr geschätzt, als Persönlichkeit und auch als Lehrerin. Sie ahnte, dass Dora Lux in der NS-Zeit als Jüdin verfolgt worden war. Wie sie diese Zeit überlebt hatte, wusste sie nicht. Ihre Lehrerin hatte sich trotz ihres Leidens eine humanistische Lebenshaltung bewahrt. Was hat Dora Lux zu der außergewöhnlichen Frau gemacht, die sie war? Wer hat sie unterstützt? Welche Bedeutung hatte ihre Familie?

Hilde Schramm hat jahrelang recherchiert und mit Menschen gesprochen oder korrespondiert, die Dora Lux persönlich kannten. Ehemalige Schülerinnen, ihre Kinder und Verwandten erinnern sich in diesem Buch an eine ungewöhnliche Frau. Dora Lux zählt zu den ersten 50 Frauen, die in Deutschland Abitur machten. Sie erkämpfte sich einen Universitätsabschluss und wurde Lehrerin. Sie blieb trotz Heirat und zwei Kindern voll berufstätig, was ebenso unkonventionell war zu ihrer Zeit.

Eine Familiengeschichte, geprägt von Hürden und Brüchen

Bereits der Vater von Dora Lux hatte mit Hindernissen zu kämpfen. Ohnehin nicht sonderlich gläubig, verließ er die jüdische Religionsgemeinschaft und ließ sich und seine Kinder evangelisch taufen, um endlich beruflich Fuß fassen zu können. Seinen ursprünglichen Plan, Offizier im preußischen Militär zu werden, hatte er auf Grund seines jüdischen Glaubens schon aufgeben müssen.

Später unterstützte er seine beiden Töchter Annemarie und Dora darin, Abitur zu machen und auch zu studieren. Schon früh hatte er gemeinsam mit seinen Töchtern Sport- und Freizeitaktivitäten unternommen, die sonst eher Jungen vorbehalten waren. Er förderte ihr Selbstbewusstsein und ihre Bildung. Mit diesem familiären Rückhalt, der sich nicht nur auf den Vater beschränkte, konnten die beiden jungen Frauen neue Wege einschlagen. Annemarie wurde Ärztin, Dora Lehrerin.

„Selbstachtung, Klugheit und Courage“

So lautet der Titel des Kapitels, in dem Hilde Schramm das Engagement von Dora Lux während der NS-Zeit und ihre ganz eigene Strategie gegen die Entrechtung durch die Nationalsozialisten beschreibt. Mit dem Berufsverbot 1933 verliert Dora Lux ihre Stelle beim Berliner Lette-Verein. Als Autorin der Zeitschrift Ethische Kultur kritisiert sie in den folgenden drei Jahren die Nationalsozialisten öffentlich.

Dora Lux hat sich selbst nicht als Jüdin gesehen. Sie wurde evangelisch getauft, hat sich aber wohl eher als Atheistin betrachtet. Sie wollte sich durch die Nationalsozialisten nicht als Jüdin „abstempeln“ lassen und kam der Registrierungspflicht ab 1938/39 nicht nach. Dies war riskant, aber es war ihre eigene Art des Widerstandes.

Nach dem Tod ihre Mannes im Jahr 1944 und aus Angst, doch noch deportiert zu werden, verließ Dora Lux Berlin im März 1945 Richtung Bodensee. Sie unterrichtete dann noch neun Jahre an der Heidelberger Elisabeth-von Thadden-Schule, wo sie von 1953 bis 1955 die Geschichtslehrerin von Hilde Schramm war.

Ein Geflecht aus Erinnerungen und Recherchen

Um ihre eigenen Erinnerungen abzugleichen, hat Hilde Schramm unter anderem ehemalige Schülerinnen der Elisabeth-von-Thadden-Schule kontaktiert. Aus deren Briefen und Notizen vervollständigt sie das Portrait von Dora Lux als Lehrerin. Was deren Schul- und Studienweg angeht, so führt er in die Zeit, als die ersten Frauen an Universitäten studierten und dabei viele Hindernisse überwinden mussten. Diesen Aspekt beleuchtet die Autorin, selbst auch Erziehungswissenschaftlerin, recht ausführlich. Neben dem fachlichen Interesse geht es Hilde Schramm wohl auch darum zu zeigen, wie ihre Lehrerin schon als junge Frau trotz Widrigkeiten hartnäckig an ihren Zielen festgehalten hat.

Hilde Schramm beschränkt sich in ihrem Buch nicht auf Dora Lux allein. Sie schildert auch die erweiterte  Familiengeschichte und Biographien von Menschen, die Dora Lux in besonderer Weise verbunden waren. Durch die verzweigte Familiengeschichte gewinnt man ein komplexes Bild der verschiedenen Lebenssituationen über die Jahrzehnte. Manchmal verliert sich die Darstellung allerdings auch in Details. Insgesamt aber ist „Meine Lehrerin Dr. Dora Lux“ ein sehr interessantes und facettenreiches Buch. Es würdigt eine couragierte und bemerkenswerte Frau, die der Öffentlichkeit bislang völlig unbekannt war.

Hilde Schramm stellt ihr Buch „Meine Lehrerin Dr. Dora Lux“ am 17. April 2012 um 19.30 im Jüdischen Museum Berlin vor. Die Karten kosten 9 Euro, ermäßigt 7 Euro. Reservierungen bei der Literaturhandlung unter 030 – 88 24 250. Das Buch ist im Rowohlt-Verlag erschienen und kostet 19,95 Euro.
 
Elisabeth Gregull ist Fachjournalistin (DFJS), ihre Schwerpunktthemen sind Migration, Diversity und die Folgen der NS-Zeit. Sie arbeitet u.a. für die Online-Redaktion „Migration-Integration-Diversity“ der Heinrich-Böll-Stiftung.

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Cover des Buches "Meine Lehrerin, Dr. Dora Lux", Rowohlt, c