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Die alltägliche Integrationsverweigerung

Deutschland ist seit Jahrzehnten von Zuwanderung geprägt. Fast jeder fünfte hat inzwischen einen sogenannten Migrationshintergrund. Dennoch verweigert die Mehrheitsgesellschaft diesen Deutschen häufig die gleichberechtigte Anerkennung. Deswegen fordern Nicol Ljubić und 16 weitere Autor_innen: „Schluss mit der Deutschenfeindlichkeit!“
 
Von Elisabeth Gregull
 
Das dunkelrote Cover mit der gelben Schrift und dem abstrakten Bundesadler erinnert sicher nicht von ungefähr an einen Pass. Pässe informieren über Staatsangehörigkeit, sie ordnen Menschen Staaten zu, sie sind eine amtliche Bescheinigung darüber, dass jemand deutsch ist. Dennoch muss Nicol Ljubić, der Herausgeber von „Schluss mit der Deutschenfeindlichkeit!“, öfter erleben, dass Grenzbeamte an seinem Passbild rumfingern, wenn sie seinen Namen in dem Dokument lesen.
 
Deutsche Literaturnobelpreisträgerin trifft auf „die deutsche Brezel“
 
Es sind diese Unterstellungen, die Menschen zu Fremden machen. Der Name und deutsch? Da kann doch was nicht stimmen. Ljubić, ein mit Preisen ausgezeichneter Autor, muss sich sogar auf Lesungen fragen lassen, ob er seine Bücher alleine schreibt – oder Hilfe hat. Die deutsche Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller hätte mit ihrem Namen vielleicht weniger Probleme bei Grenzbeamten. Dafür hält man ihr in der Bäckerei schon mal Vorträge, eingeleitet mit „hier bei uns in Deutschland“. Vorträge über die richtige Aussprache der „deutschen“ Brezel, als gäbe es nicht auch innerhalb Deutschlands Dialekte. So wird die Bäckerei zur Schiedsstelle über Zugehörigkeit.
 
Oft sind es diese scheinbar harmlosen Alltagssituationen, von denen die Autor_innen berichten, mal mit Wut, mal mit Humor, mal mit Ratlosigkeit. In den Situationen betonen und wiederholen Deutsche ohne Migrationshintergrund, wer aus ihrer Sicht dazugehört und wer nicht, wer „eigentlich“, „ursprünglich“ woanders hingehört und „wie es hier in Deutschland“ ist. Ein ironisch-satirischer Beitrag über diese angebliche „deutsche Normalität“ ist der äußerst amüsante Text „Elefantenrunde“ von Mely Kiyak.
 
„Geschichten aus der Heimat“
 
Es sind „Geschichten aus der Heimat“, wie der Untertitel des Buches heißt. Geschichten deutscher Autor_innen mit Zuwanderungsgeschichte. In ihrem Alltag müssen sie sich gezwungenermaßen immer wieder mit Klischees auseinandersetzten, mit Zuschreibungen oder mit offener Diskriminierung. Sie schreiben und publizieren auf Deutsch - doch oft werden sie zu Expertinnen und Experten von Ländern gemacht, in denen sie selbst gar nicht aufgewachsen sind. So beklagt etwa Zsuzsa Bánk, dass sie alle möglichen Anfragen zu Ungarn erhält oder sich zu Migrationsthemen äußern soll. Warum fragt sie eigentlich niemand nach ihrer Meinung zu Kita-Plätzen oder anderen aktuellen Themen in ihrem Heimatland Deutschland?
 
Ein Land, das sich durch das Buch von Thilo Sarrazin verändert hat. Die Debatte rund um „Deutschland schafft sich ab“ hat gezeigt, dass hierzulande offenbar viele nur allzu gern bereit sind, den kruden Thesen eines Thilo Sarrazin zu folgen. Und dies ungehemmt auf dem Rücken all jener auszutragen, die lange schon eine Heimat in Deutschland gefunden haben, auch wenn sie nicht Meier oder Schulze heißen.
 
„Schluss mit der Deutschenfeindlichkeit!“ ist ein sehr lesenswertes Buch, das eine Wirklichkeit in Deutschland zeigt, die bei „Integrationsgipfeln“ oder „Integrationskonzepten“ gern ausgeblendet wird: die alltägliche Integrationsverweigerung der Mehrheitsgesellschaft.

Nicol Ljubić (Hrsg.): Schluss mit der Deutschenfeindlichkeit! - Geschichten aus der Heimat, Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg (2012)
 

 
Elisabeth Gregull ist Fachjournalistin (DFJS), ihre Schwerpunktthemen sind Migration, Diversity und die Folgen der NS-Zeit. Sie arbeitet u.a. für die Online-Redaktion „Migration-Integration-Diversity“ der Heinrich-Böll-Stiftung.
 

Ausschnitt aus dem Buchcover: "Schluss mit der Deutschenfeindlichkeit"