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Themen die uns bewegten

Auch im elften Jahr ihres Bestehens gab es viel zu tun für die mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (mbr) in ihrer Arbeit für ein angstfreies und menschenrechtsorientiertes Miteinander in Berlin.
 
Rechtsextreme Bedrohung und zivilgesellschaftliche Gegenwehr
 
In Berlin richteten sich die Aktivitäten der Neonazis auf Bedrohung und Einschüchterung des politischen Gegners und Angriffe auf deren Räumlichkeiten. Die rechtsextreme Szene Berlins versucht kontinuierlich und gezielt, Engagierte zu verunsichern. Da Ermittlungen bisher nicht erfolgreich waren, bemühten sie sich, ihren Aktionsradius und die Angriffsziele zu erweitern.

Im Herbst führte die NPD so genannte Aktionswochen durch, in denen sie bei mehreren Kundgebungstouren durch Berlin gegen „Ausländerkriminalität“ und Asyl hetzte. Die Strategie dabei an einem Tag an mehreren Orten in der Stadt kurze Kundgebungen abzuhalten, sollte offensichtlich den zivilgesellschaftlichen Protest erschweren.

Prägendes Merkmal des Berliner Rechtsextremismus bleibt das gewaltbereite und militante Agieren des „Nationalen Widerstands Berlin“ (NW-Berlin). NW-Berlin ist zum einen die Bezeichnung einer Homepage zum anderen verbirgt sich dahinter ein Aktionsnetzwerk von Neonazis. Die MBR dokumentierte für 2012 bisher über 40 Fälle von Sachbeschädigungen an Einrichtungen oder Wohnhäusern von Privatpersonen in diesem Zusammenhang. Die seit 2009 anhaltenden Angriffe auf Parteibüros, alternative Kneipen- und Kunstprojekte, Wohnungen von Antifaschist/innen und Einrichtungen der Jugendarbeit setzten sich auch in 2012 fort. Ein Drittel dieser Taten mit Bezug zum NW-Berlin fanden im Berliner Bezirk Neukölln statt. So wurden zu Jahresbeginn auf dem Gelände des „Anton-Schmaus-Haus“ der Falken (Sozialistische Jugend Deutschlands) wiederholt Scheiben eingeworfen. Im Juni wurden gleich mehrere linke Projekträume in Neukölln mit verbotenen Keltenkreuzen und „NW-Berlin“ beschmiert. Fast alle der angegriffenen Einrichtungen wurden zuvor auf der Website NW-Berlin veröffentlicht. Hier fanden sich Listen mit Namen, Adressen und Fotos von politischen Gegnerinnen und Gegner sowie Aufforderungen zu Angriffen auf diese.

Trotz der fortgesetzten rechtsextremen Bedrohung engagieren sich gerade in Neukölln mehrere Bündnisse gegen Rechtsextremismus und Rassismus. Statt in die Defensive zu gehen, werden die Akteure vor Ort lauter und mehr. In den Bündnissen sind neben Parteien, Gewerkschaften, politischen Gruppierungen und gemeinnützigen Trägern auch Einzelpersonen vernetzt, die im Bezirk aktiv sein wollen. Das „Bündnis Neukölln. Miteinander für Demokratie, Respekt und Vielfalt“ organisierte zum Beispiel im August eine Gegenkundgebung aus Anlass der antimuslimischen Kundgebungstour der rechtspopulistischen Splitterpartei PRO-Deutschland. Der Bündnisaufruf, der unter anderem zusammen mit dem deutsch-arabischen Zentrum und dem Verein Irschad verfasst worden war, mobilisierte über 1.000 Menschen.

„Gegen das Schweigen im Lande“

Nach der Selbstenttarnung des NSU im November 2011, waren die Erwartungen an Politik und Ermittlungsbehörden für 2012 auch in Berlin hoch. Bei einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des NSU im Februar bat Kanzlerin Angela Merkel die Angehörigen um Verzeihung und versprach, dass Bund und Länder alles tun werden, um die Taten aufzuklären. In den Untersuchungsausschüssen des Bundestags und mehrerer Landtage zeigte sich jedoch ein wenig vertrauenerweckendes Bild der deutschen Sicherheitsarchitektur. (Stichworte: Schreddern von Ermittlungsakten, umstrittene V-Leute, Polizistinnen und Polizisten mit Verbindungen zum Ku-Klux-Klan.) Forderungen nach der Abschaffung oder zumindest einer grundlegenden Neustrukturierung der Geheimdienste wurden laut und werden uns auch im politischen Wahljahr 2013 weiter begleiten.

Als Reaktion auf die rassistische Mordserie und das Versagen von Geheimdiensten und Strafverfolgungsbehörden schlossen sich Akteure und Initiativen aus Politik und Zivilgesellschaft zusammen und gründeten in Berlin das Bündnis gegen das Schweigen. Das Bündnis forderte in einer Resolution, die unter anderem der Zentralrat der Juden, die Türkischen Gemeinde und der Zentralrat der Sinti und Roma unterschrieb, eine schonungslose Aufklärung der rassistischen Morde, strukturelle und personelle Konsequenzen in den zuständigen Behörden sowie eine Thematisierung des strukturellen Rassismus. Im Juni organisierte das Bündnis ein öffentliches Hearing mit dem Titel „Schweigen und Verschweigen. NSU, Rassismus und die Stille im Land“. Betroffene der NSU-Anschlagsserie, Rassismus- und Rechtsextremismusexpertinnen und -experten sowie Anwälte der Opfer diskutierten mögliche Konsequenzen aus der beispiellosen Mordserie. Sie machten unter anderem deutlich, dass es einer dauerhaften zivilgesellschaftlichen Kontrolle von Polizei- und Geheimdienstarbeit bedarf, um Veränderungen in Bezug auf rassistische Haltungen in den Behörden zu erreichen.

Im November folgten tausende Menschen bundesweit dem Aufruf des Bündnisses und  demonstrierten vor den Landesämtern des Verfassungsschutzes und den Innenministerien, um ihre Solidarität mit den Opfern und Angehörigen zu zeigen.

Debatte um Flüchtlingsunterbringung und Rechte von Geflüchteten in Berlin

Die bloße Tatsache, dass in 2012 mehr Geflüchtete und Asylsuchende in Deutschland und Berlin ankamen als im Vorjahr, wurde lokal- und bundespolitisch immer wieder für populistische Äußerungen genutzt. Und dies obwohl es in Berlin lediglich 2.800 Asylsuchende mehr gab und Deutschland statistisch im europäischen Durchschnitt liegt. So äußerte der Bundesinnenminister im Oktober: „Der zunehmende Asylmissbrauch ist nicht akzeptabel. Der massive Zustrom […] muss unverzüglich gestoppt werden“. Auch Zeitungen nutzten dramatisch anmutende Formulierungen wie „Flut“ „Ströme“ und ähnliche Begriffen. Diese Sprache schürt Ressentiments gegen Asylsuchende.

Rechtsextreme Angriffe und Propaganda

Neonazis griffen das zum Teil rassistisch aufgeladene Thema der Unterbringung von Flüchtlingen in Berlin  auf und nahmen es zum Anlass, ihren Aktionsradius auszuweiten: Anfang Oktober griffen sie das Flüchtlingsheim in Waßmannsdorf mit Farbbeuteln und Steinen an. Sie sprühten ein Hakenkreuz, die Parole „Rostock ist überall“ und „nw-berlin.net“ an die Wand. Spätestens in der zweiten Jahreshälfte kristallisierte sich für die rechtsextreme Szene das Thema „Asyl“ als ihr zentrales heraus.

Dabei versuchen Rechtsextreme und Rechtspopulisten gleichzeitig, sich „bürgernah“ zu geben und mit ihren rassistischen Parolen in der Bevölkerung Anschluss zu finden. So fokussierte sich die NPD lokal auf das Thema Bekämpfung von Flüchtlingsunterkünften und versuchte dabei vorhandene Ängste und Ressentiments zu schüren und für sich zu nutzen. In Neukölln veröffentlichte sie im Oktober auf ihrer Internetseite einen Aufruf mit dem Titel „Ein Asylbewerberheim in Rudow? Nicht mit uns!“ und nahm ungehindert an der lokalen Bürgerversammlung der CDU zum selben Thema teil.

Bürgerversammlungen

In Berlin zeigte sich beim Thema Unterbringung von Geflüchteten, dass fehlende Kommunikation und Information zwischen Land, Bezirken und Bürgern vor Ort negative Reaktionen befördern – schnell zeigen sich offen die in der Bevölkerung herrschenden Ressentiments gegenüber Flüchtlingen.  In den Bezirken konnte man unterschiedliche Umgangsweisen beobachten. So gelang in Grünau dem Bezirk eine Informationsveranstaltung für Bürger/innen zu organisieren, die rassistische Eskalationen weitgehend verhinderte: Alle BVV-Parteien luden hier gemeinsam unter dem bewusst gewähltem Motto „Grünau hilft!“ ein. Die Veranstaltung wurde in der Friedenskirche mit Unterstützung des örtlichen Pfarrers abgehalten. Durch eine umsichtige Konzeption und Ausrichtung von solchen Veranstaltungen können sich Zivilgesellschaft und Politik gemeinsam gegen rassistische und populistische Äußerungen positionieren und verhindern, Rechtsextremen eine Plattform zu bieten.

Proteste für die Rechte von Geflüchteten und Asylsuchenden

2012 entstand bundesweit eine Refugee-Protestbewegung, die im März mit dem „Break Isolation“-Marsch von Würzburg nach Berlin über die Landesgrenzen hinaus bekannt wurde. Erstmals brachen so viele Geflüchtete und Asylsuchende die Residenzpflicht, um ihre Hauptforderungen bekannt zu machen: Residenzpflicht abschaffen – Sammelunterkünfte schließen – Abschiebungen stoppen. Erstmals fanden sie breite Resonanz in der Öffentlichkeit: In Berlin entstand ein Protestcamp auf dem Oranienplatz in Kreuzberg, welches vom Bezirk geduldet und von Anwohnerinnen und Anwohner unterstützt wird. Von Aktionen wie dem Hungerstreik am Brandenburger Tor berichtete die gesamte Presse überregional, Bundestagspolitikerinnen und -politiker verschiedener Parteien besuchten die Streikenden.

Während der Innenminister „Maßnahmen gegen Asylmissbrauch“ forderte, zeigten Teile der Zivilgesellschaft Solidarität: Im Oktober demonstrierten in Berlin über 5.000 Menschen für die Rechte von Flüchtlingen und Asylsuchenden. Es war in ihrer Art die bisher größte Demonstration in der Bundesrepublik.

Antisemitismus

Der Antisemitismus in Deutschland hat während der vergangenen Monate die Öffentlichkeit auf unterschiedlichste Weise bewegt wie lange nicht mehr. In Berlin wurden binnen weniger Wochen mehrmals jüdische Menschen zum Ziel antisemitischer Gewalttaten bzw. Beschimpfungen.

Am 28.08.2012 ereignete sich ein antisemitischer Angriff auf den Rabbiner Daniel Alter, welcher international für mediale Aufmerksamkeit sorgte. Er wurde vor seiner Haustür in Berlin-Friedenau von mehreren Jugendlichen auf die Frage „Bist du Jude?“ krankenhausreif geschlagen und seine Tochter von denselben Tätern mit dem Tode bedroht.

Nur wenige Tage später zogen 150 Menschen, bekleidet mit der traditionellen jüdischen Kopfbedeckung Kippa durch Charlottenburg und forderten, dass Menschen nicht angegriffen werden dürfen, „weil sie sich sichtbar als jüdisch zu erkennen geben“. Am Tag darauf versammelten sich 1.250 Menschen zu einer Solidaritätskundgebung auf dem nahe dem Tatort gelegenen Grazer Platz, wo neben Alter auch die Senatorin für Integration, Dilek Kolat, zu einer deutlichen Positionierung gegen Antisemitismus aufrief. In den darauf folgenden Wochen kam es zu mindestens drei weiteren Vorfällen antisemitisch-motivierter Gewaltandrohungen, Beschimpfungen und Leistungsverweigerung.

Dieser Fall wie auch weitere Vorfälle physischer Gewalt(androhung) sowie Ereignisse in der medialen Öffentlichkeit zeigen, dass Antisemitismus in Deutschland und Berlin ein extrem vielseitiges aber alltägliches Phänomen ist. Solidaritätsbekundungen wie im Falle Daniel Alters geschehen, senden wichtige Signale. Genauso wichtig ist neben einer symbolischen Reaktion die kontinuierlich zu leistende präventive Arbeit. Es ist die gemeinsame Aufgabe von Politik und Zivilgesellschaft dauerhaft gegen Antisemitismus in der Schule, in den Medien, aber auch am Arbeitsplatz durch Schulungs- und Projektangebote vorzugehen.
 
Ein Gastbeitrag der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin.

Die Arbeit der mbr Berlin unterstützen!

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Foto: JayPLee via flickr, cc