Gute Arbeit gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus hat viele Gesichter – wir stellen Ihnen 15 ausgewählte Projekte vor, die für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie nominiert sind. Projekt VIII: das Kreativhaus in Dresden, eine bunte „Insel der Kunst“ für Kinder und Jugendliche, die sonst im Leben vernachlässigt werden.
Um vom Stadtzentrum Dresdens nach Leuben zu gelangen, braucht man mit der Straßenbahn 20 bis 25 Minuten. Welch ein Kontrast: Eben noch gab es den grandiosen Ausblick auf die „Elbflorenz“-Kulisse, hier dominieren Plattenbauten das Bild. Die Arbeitslosenrate und das Durchschnittsalter im Stadtteil Leuben sind relativ hoch, Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche dagegen eine Seltenheit. Tatsächlich ist das Kreativhaus in der Breitscheidstraße 117 das einzige Kinder- und Jugendhaus in Dresden-Leuben. Dafür ist es eines, das es in sich hat: Beim Betreten des Gebäudes bekommt der Besucher unweigerlich gute Laune. So langweilig, grau und trostlos es draußen aussieht– im Kreativhaus ist es vergessen und weit weg. Die Wände sind bunt bemalt, Bilder im Hundertwasser-Stil schmücken das Treppenhaus und die Gänge. „Wenn die Kinder zu uns kommen, sollen sie sich von Anfang an wohl fühlen“, erklärt Annelie Kliem die Philosophie des Hauses. Die hellen, freundlichen Räume tragen dazu stimmungshebend bei. Diesen entscheidenden Aspekt, so die Leiterin des 1994 gegründeten Kinder- und Jugendhauses, würden die meisten Sozialpädagogen bei ihrer Arbeit sträflich vernachlässigen. Dabei könne es doch nur dort noch schöner werden, wo es bereits schön ist.
Farbenpracht gegen Alltagsgrau
Die Türen des Kreativhauses sind für die Kinder und Jugendlichen immer offen. Wo verbale und körperliche Gewalt unter Jugendlichen gang und gäbe sind, wo Alkoholmissbrauch für viele Eltern der einzige Ausweg und Zeitvertreib ist, musste sich das Team des Kreativhauses etwas Besonderes einfallen lassen. Einen Moment verschwindet die Freundlichkeit aus Annelie Kliems Gesicht, als sie sagt: „Es kommt hier nicht selten vor, dass die Kinder zu Hause kein Mittagessen bekommen – während die Eltern rauchend und Bier trinkend vor dem Fernseher sitzen!“ Diese Kinder will sie auffangen. Wer nach der Schule ins Kreativhaus kommt, soll sich geborgen fühlen und seine Sorgen und Ängste wenigstens für einige Stunden vergessen. Und mehr noch: Hier bekommen die Kinder und Jugendlichen die Chance, angestaute Aggressionen in Kreativität und Kunst umzuwandeln. So beschäftigt die Einrichtung beispielsweise einen russischen Bühnenmaler, der den Kindern vermittelt, mit Pinsel und Farbpalette ein gewöhnliches Zimmer in einen Märchenwald zu verwandeln. Oder einen polnischen Tänzer, der den Jugendlichen die Tänze seiner Heimat näher bringt.
Engagierte Leiterin: Annelie Kliem
Die Offenheit für andere Kulturen ist einer der wichtigsten Ansätze im Kreativhaus, und das aus gutem Grund. Denn in einigen Teilen des Wohngebietes gibt es Jugendliche, die offen und mitunter gewalttätig gegen Migranten und „Andersaussehende“ vorgehen. Nationalistische Einstellungen, Angst vor Überfremdung und fremdenfeindliche Gewaltbereitschaft sind in Leuben und dem angrenzenden Stadtteil Prohlis keine Ausnahmeerscheinung. Wo Kinder und Jugendliche fremdenfeindlich denken und handeln, gibz es auch die entsprechenden Eltern dazu. Manche Mütter und Väter, die ihre Kinder abends abholen, hätten sich anfangs schwer getan, ihre eigenen Vorurteile dem multikulturellen Personal gegenüber zu verbergen, berichtet Annelie Kliem.
Verständingungsprobleme? Vielleicht klappt es im Indianer-
Spielzimmer mit der Indianersprache...
So angenehm und freundlich die Einrichtung im Haus ist – eitel Sonnenschein herrscht hier nicht immer. Annelie Kliem will mit ihren Projekten Fragen aufwerfen, die oft auch unbequem sind. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass viele Lehrer Angst haben, bestimmte Themen anzusprechen und im Unterricht zu behandeln. Das geplante Projekt „Mutprobe – Einmischen statt Ausgrenzen“ setzt genau hier an. Im Rahmen von Projekttagen und Workshops sollen Schüler beispielsweise darüber diskutieren, wie man Konflikte gewaltfrei lösen oder Vorurteile gegenüber Migranten abbauen kann. Wichtig sei dabei, vorurteilsfrei an die Kinder und Jugendlichen heranzutreten, betont Annelie Kliem: „Damit sie sich uns öffnen, müssen sie sich geborgen und ernst genommen fühlen, etwas, das viele Lehrkräfte leider nicht ausreichend vermitteln können“.
Für die Kinder ist das Kreativhaus ein Ort der Ruhe, der
Fantasie und der Aufmerksamkeit
Dazu gehört auch, dass die Mitarbeiter des Kreativhauses sich auf Augenhöhe mit den Kindern und Jugendlichen befinden und nicht über ihre Bedürfnisse hinweg entscheiden. Spielerisches Lernen steht im Vordergrund: Rollenspiele, gemeinsames Musizieren, Bildgeschichten, Theater oder Tanz. Das Projekt richtet sich bewußt an Schüler aller Klassenstufen, damit das Bildungsangebot möglichst viele erreicht. Die Umsetzung der einzelnen Themen wird auf die entsprechende Alterklasse abgestimmt. So erhalten Grundschüler beispielsweise die Möglichkeit, kleine Theatersequenzen zum Thema Kinderrechte zu erfinden und aufzuführen, während die Älteren aus den Gymnasien und Mittelschulen mit anderen Religionen und Lebensweisen konfrontiert werden.
„Mutprobe“ soll als zusätzliches Projekt zum regulären Programm angeboten werden, doch eine Finanzierung wird noch gesucht. Für den Fall, dass Fördergelder fließen sollten, sitzt das engagierte Team aus Leuben schon in den Startlöchern. Der Projektplan steht, Kontakte mit anderen Institutionen gibt es zuhauf. So ist das Kreativhaus in ein breites Netzwerk aus örtlichen Schulen, Kindergärten und Vereinen eingebunden. Das Interesse an innovativen, interaktiven Projekten sei groß, versichert die Leiterin des Hauses. Für bereits laufende Projekte arbeitet das Kreativhaus eng mit den Lehrkräften der örtlichen Schulen zusammen. Als Alternative zum klassischen Frontalunterricht in der Schule stehen bei den Kreativhaus-Projekten die Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt. Ein erklärtes Ziel des Projekts „Mutprobe“: Demokratisches Zusammenleben weniger als lehrbar, sondern vielmehr als
lernbar zu „erproben“.
Das einfallsreiche, kreative Engagement aus Dresden-Leuben wäre definitiv einen Sächsischen Förderpreis für Demokratie wert, der am 9. November gemeinsam von der Kulturstiftung Dresden der Dresdner Bank, der Stiftung Frauenkirche Dresden, der Freudenberg Stiftung und der Amadeu Antonio Stiftung vergeben wird.
Mehr im Internet:
Sächsischer Förderpreis für Demokratie:
www.demokratiepreis-sachsen.de
Das Kreativhaus Dresden:
www.kreativhaus-dresden.de