Gute Arbeit gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus hat viele Gesichter – wir stellen Ihnen 15 ausgewählte Projekte vor, die für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie nominiert sind. Projekt V: Der Dresdner Verein „Hatikva e.V. vermittelt Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, dass Juden normale Menschen sind – „bevor Vorurteile und Neonazis ihnen ein anderes Bild in den Kopf setzen.“
Das Ziel der Aktivitäten des Dresdner Vereins „Hatikva – Bildungs- und Begegnungsstätte für jüdische Kultur und Geschichte Sachsen“ klingt zunächst simpel. Gunda Ulbricht, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Vereins (Foto), benennt es schlicht: „Juden sind normale Menschen.“ Praktisch ist das aber gar nicht einfach in einer Region, die so säkularisiert ist, dass vielen Menschen Religion grundsätzlich suspekt ist und in der es zugleich Tatsache ist, dass Jugendliche mit zehn Jahren ihre ersten Kontakte zu rechtsextremen Kameradschaften haben.
Bildungsarbeit gegen Befangenheit
In der Äußeren Neustadt in Dresden liegt, verschlafen und zugewachsen zwischen den umgebenden Häusern, in der Pulsnitzer Straße der älteste noch erhaltene jüdische Friedhof in Sachsen. Im Altbau direkt daneben hat ein Verein seinen Sitz, der sich Hatikva e.V. nennt – „Bildungs- und Begegnungsstätte für jüdische Kultur und Geschichte Sachsen e.V.“. Auf den ersten Blick macht dieser Verein Dinge, die erwartbar sind, wenn es um Erfahrungen mit jüdischer Kultur geht: Angeboten werden Synagogenbesuche und Friedhofsführungen, Kleszmer-Konzerte und Vorträge. Ein großer und wichtiger Teil der Arbeit von Hatikva e.V. verbirgt sich aber hinter dem sperrigen Wort „Bildungsarbeit“ – nämlich das Bemühen um Kinder und Jugendliche, deren Unkenntnis von Religionen und Einflüsterungen aus der rechtsextremen Szene sie oft anfällig machen für antisemitische Vorurteile.
Gunda Ulbricht ist eine Frau mit einer unaufgeregten, bodenständigen Ausstrahlung, der man sofort glaubt, dass sie ruhig und besonnen bleibt, wenn die Wirkung gezielter Provokationen an ihr ausprobiert wird oder hanebüchene Vorurteile als vermeintliche Wahrheiten präsentiert werden. Die Historikerin und Pädagogin ist eine von derzeit sechs hauptberuflichen Mitarbeitern von Hatikva e.V., der insgesamt rund 80 Mitglieder hat. Sowohl Mitarbeiter als auch Vereinsmitglieder sind Juden und Nichtjuden – was auch dazu führt, das Jugendliche, die Vorurteile über das Aussehen von Juden äußern, kurzerhand aufgefordert werden: „Dann lauf mal durch die Räume und such die Juden raus.“ Ulbricht schmunzelt: „Das ist immer eindrucksvoll, denn die meisten Kindern und Jugendlichen haben noch nie bewussten Kontakt mit jüdischen Menschen gehabt. Viele haben ja sogar den Eindruck, es habe Juden nur zwischen 1933 und 1945 gegeben.“
Jugendlichen neue Perspektiven auf das Judentum eröffnen
Entsprechend verfolgen die Vorträge, Spiele und Entdeckungsideen für Jugendliche zwischen 6 und 20 Jahren das Ziel, die Normalität von jüdischem Leben in Deutschland zu vermitteln. „Hier geht es genau nicht nur um Verfolgung, Vorurteile und Shoa“, sagt Ulbricht, „sondern darum, dass Juden und Nichtjuden in Deutschland auch jahrhundertelang friedlich zusammen lebten und leben und eine gemeinsame Geschichte haben.“ Und diese Normalität soll nach Möglichkeit nicht nur an den erwartbaren Stellen auftauchen: In den schulischen Alltag übertragen heißt so eine Empfehlung für Pädagogen, im Mathematikunterricht für Spiegelungsübungen als Beispiel statt eines Teddybären mal einen Menora-Leuchter zu nehmen. Im Arbeitsalltag von Hatikva e.V. heißt das auch, das Stadtmuseum Dresden zu überzeugen, dass es keine Sonderausstellung zu Juden in Dresden geben sollte, sondern dass diese Fakten in die normale Stadtausstellung integriert werden sollten. Das dies 2006 gelang, wertet Gunda Ulbricht als besonderen Erfolg.
Seit 15 Jahren wird geforscht und vermittelt
Der Verein Hatikva e.V. feiert im September 2007 sein 15-jähriges Jubiläum. An neuen Ideen mangelt es nicht, sie potenzieren sich sogar im Laufe der Arbeit. Schüler aus der 12. Klasse etwa kamen zu Gunda Ulbricht und sagten, die Führungen und Spiele wären ja nett, aber sie wollten auch einmal auf eigene Faust losziehen. Daraus entstand ein Stadtplan zum jüdischen Dresden, der heute auch bei Touristen reißenden Absatz findet, und ein passendes Stadtspiel. Bei anderen Problemen ist es gut, dass zum Verein Hatikva e.V. auch der Bereich der Forschung gehört. „Auch Kinder, die sich als nicht antisemitisch einschätzen, identifizieren sich, wenn es um den Holocaust geht, stark mit den Tätern. Das geht von ‚Wir hätten doch auch Täter sein können’ bis zu ‚Der Holocaust war natürlich schlecht, aber alles andere war unter Hitler doch ganz okay’. Um mit den verschiedenen Facetten pädagogisch gut umgehen zu können, gibt es bisher weder Materialien noch Ideen“, berichtet Ulbricht. Sie leitet derzeit ein Forschungsprojekt, dass entsprechende Methoden und Materialien erarbeiten will.
Begegnungen mit Antisemiten aller Altersstufen
Auch die konkrete Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Rechtsextremismus gehörte von Anfang an zum Repertoire des Vereins. Es gibt einer Hotline, bei der Pädagogen sich Rat holen können, wenn es in ihrer Klasse oder Jugendgruppe zu antisemitischen Vorfällen kommt. Wo Bedarf besteht, beraten die Mitarbeiter von Hatikva e.V. im Einzelgespräch und entwerfen Projekttage oder auf längere Zeit angelegte Maßnahmen passgenau für die Altersstufe, Klassensituation und Schulform. Ziel ist dabei immer, die nicht-rechten Jugendlichen zu stärken. „Wenn einer mit 14 überzeugter Antisemit ist, wird es schwierig, den noch zu erreichen“, sagt Ulbricht, „deshalb wollen wir die anderen ansprechen, die es nicht sind.“ Im Umgang mit rechtsextrem orientierten Jugendlichen gilt für Ulbricht allerdings „Information vor Konfrontation“: „Wenn Rechtsextreme zu Veranstaltungen kommen, aber nicht stören, dürfen sie bleiben – es kann nicht schädlich sein, dass sie etwas erfahren.“ Wer aber provoziert oder offene Nazi-Symbolik trägt, muss vor die Tür.
Für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie, der am 9. November gemeinsam von der Kulturstiftung Dresden der Dresdner Bank, der Stiftung Frauenkirche Dresden, der Freudenberg Stiftung und der Amadeu Antonio Stiftung vergeben wird, hat sich Hatikva e.V. mit einem Projekt beworben, das ein typisches Dresdner Problem behandelt: Den Umgang mit Erinnerung am 13. Februar, dem Tag der Luftangriffe auf Dresden. „Rechtsextreme agitieren zu diesem Datum seit Jahren. Aber auch die Reaktionen darauf sind inzwischen überaus vorhersehbar.“ Um neuen Wind in den Diskurs zu bringen, will Gunda Ulbricht mit Jugendlichen Ideen erarbeiten, wie Jugendliche Werbung für neue Formen eines angemessenes Gedenken zum 13. Februar – oder auch zum 9. November - machen könnten. Videoclips, Hörfunkjingles, Anzeigen für Printmedien oder Pop-Ups sollen in Zusammenarbreit mit Medienpädagogen umgesetzt werden. „Die derzeitige Gedenkkultur spricht Jugendliche einfach nicht an. Da bekommen sie eher die Nazi-Aktionen mit“, sagt Gunda Ulbricht. Zu diesem und anderen unhaltbaren Zuständen eine Alternative zu suchen und sie dann anderen als Methode an die Hand zu geben, wäre einen Sächsischen Förderpreis für Demokratie wert!
Mehr im Internet:
Sächsischer Förderpreis für Demokratie:
www.demokratiepreis-sachsen.de
Hatikva e.V.:
www.hatikva.de