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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Nominiert für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie 2008: das Projekt "Respekt beginnt im Kopf!" des Dresdner Vereins "Gerede". Das mobile Bildungsprojekt für Schulklassen hat sich zum Ziel gesetzt, Vorurteile gegenüber homosexuellen und transsexuellen Lebensweisen abzubauen.
Immer noch ist das Wort „schwul“ eines der am häufigsten gebrauchten Schimpfwörter auf deutschen Schulhöfen. Daher hat sich das mobile Bildungsprojekt „Respekt beginnt im Kopf!“ zum Ziel gesetzt, Vorurteile abzubauen und feste Vorstellungen über Geschlechterrollen zu hinterfragen. Das Projekt richtet sich an Jugendliche in Schulen und Freizeitgruppen und fördert Denk- und Handlungsstrategien gegen Diskriminierung. Mit Rollenspielen und offenen Gesprächsrunden trägt das Projekt zu einem toleranteren Umgang mit lesbischen oder schwulen Mitschülern im Schulumfeld bei. Zudem werden gezielte Fort- und Weiterbildungen für Lehrkräfte, Jugendleiter und Sozialarbeiter angeboten.
Ein Interview mit Projektleiter Ricardo Wolske:
Warum haben Sie sich für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie beworben? Oder anders ausgedrückt: Was hat denn Respekt vor schwulen, lesbischen, bisexuellen und transsexuellen Menschen konkret mit Demokratie zu tun?
Homo-, bi- und transsexuelle Menschen sind Teil unserer Gesellschaft. Dennoch werden sie noch immer nicht vollends integriert. Sie nehmen daher in vielen Fällen nicht an Entscheidungsprozessen teil oder werden in Gesetzen nicht immer mitbedacht und berücksichtigt. Demokratie realisiert sich jedoch im Idealfall nur dann, wenn alle Teile der Gesellschaft an der Organisation von Gemeinschaft aktiv und passiv teilhaben dürfen. Unser Projekt leistet Aufklärung und schafft dadurch ein Bewusstsein, das Demokratie in einer Gesellschaft mit vielfältigen Lebensweisen erst möglich werden lässt.
In unseren Aufklärungsveranstaltungen üben wir, einander im Diskurs zu begegnen, uns über Haltungen, Meinungen, Erfahrungen auszutauschen. Wir versuchen, den gesamtgesellschaftlichen Diskurs zu unterschiedlichsten Themen im Klassenverband am Beispiel „sexuelle Identitäten“ erlebbar zu machen und den Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen, einen Umgang damit einzuüben. Nichts bietet sich für dieses soziale Lernen besser an als das Thema sexuelle Identität und Sexualität, denn hier handelt es sich beinahe ausschließlich um ein diskursives Themenfeld mit nur wenigen endgültigen Annahmen und Gewissheiten. Diskurse sind innerhalb einer Demokratie Schlüsselinstrumente, der Umgang mit ihnen sollte erlernt und gelehrt werden.
Bringt es überhaupt etwas, für ein paar Stunden mit diesem Thema in eine Schulklasse zu gehen? Sind die Schülerinnen und Schüler danach wirklich toleranter als vorher?
Als systemisch denkender Pädagoge antworte ich darauf: Ohne Zweifel! Wir machen uns selbst nichts vor und sagen nicht, dass die Schülerinnen und Schüler als tolerante Weltbürger aus unseren Veranstaltungen gehen. Das bestimmt nicht. Wir fokussieren jedoch drei wesentliche Ziele mit unserer Arbeit: Impulse setzen, Begegnung ermöglichen, niedrigschwellige Beratung anbieten.
Wir können in neunzig Minuten keine Schulung „Grundwissen über sexuelle Identität“ durchführen. Was unsere ehrenamtlichen Aufklärerinnen und Aufklärer jedoch leisten können: anfragen und nachfragen, wenn sie mit Klischees und Vorurteilen, mit tradierten Wirklichkeitsauffassungen von Sexualität und Geschlecht konfrontiert werden. Sie können mit Hilfe sexualpädagogischer Methoden den Einzelnen zur Selbstreflexion anregen, wenn es um eigene (Vor-)Haltungen und Erfahrungen geht. Wir gehen wieder, doch wir hinterlassen ganz sicher Fragen und den einen oder anderen bisher nicht gedachten Gedanken.
Durch die reale Begegnung mit Menschen nicht heterosexueller Orientierung erweist sich so manches Vorurteil oder vermeintliches Vorwissen als ungeeignet. Menschen passen nun einmal nicht in Begriffe oder Kategorisierungen. In manchen Projekten lassen wir die Teilnehmenden, nachdem sie mit uns bereits eine Zeit lang gearbeitet haben, votieren: „Was glaubt ihr denn, welche sexuelle Orientierung dieser oder jene Aufklärer/in hat?“ Ich selbst lebe offen schwul, passe jedoch in kaum ein Klischee und werde daher von Schülerinnen und Schülern in aller Regel für heterosexuell gehalten. Wenn ich dann (etwas übertrieben affektiert) Kund tue, dass ich „stockschwul“ sei, kommen die meisten aus dem Staunen und „Ungläubig-drein-blicken“ kaum heraus. In einer solchen Begegnung wird deutlich, dass auch nicht heterosexuell lebende und liebende Menschen von anderen kaum zu unterscheiden, einem mal sympathischer und mal unsympatischer sind, eine pauschale Bewertung oder Beurteilung jedoch ungerecht ist.
Die Aufklärungsveranstaltungen dienen auch dazu, um mit unserer Kontakt- und Beratungsstelle über unsere Ehrenamtlichen in Berührung zu kommen. Die Schwelle, um ein Beratungsangebot womöglich in Anspruch zu nehmen und sich dadurch mit Hilfe externer Menschen selbst klarer zu werden über eine womöglich unklare sexuelle Identität, wird herabgesetzt.
Grundsätzlich sind wir natürlich darauf angewiesen, darauf zu vertrauen, dass unsere Besuche in den Klassen durch die zuständige Lehrkraft sowohl vor- als auch nachbereitet werden, soll heißen, dass wir ein wichtiger Teil innerhalb eines Gesamtkonzeptes aus Lehr- und Lernzielen sind, die einem Bildungsprozess Vorschub leisten.
Welche Erfahrungen haben Sie mit den Schulklassen bisher gemacht? Sind Ihnen einige positive Reaktionen besonders in Erinnerung geblieben?
Ich selbst habe vor meiner Anstellung im Gerede e.V. selbst über vier Jahre regelmäßig ehrenamtlich Aufklärungsprojekte durchgeführt. Mein Eindruck ist, dass sich die Jugendlichen, egal welchen Schultyps, nicht allzu sehr voneinander unterscheiden. Sie haben in aller Regel ähnliche Fragen: Ist schwul sein normal? Wann und wie merkt man, dass man lesbisch ist? Wie reagieren die Eltern? Welche Schwierigkeiten hat man als homosexuell oder transsexuell lebender Mensch? Hat man euch schon einmal beschimpft oder geschlagen? Was ist richtige Sexualität?
Auffällig ist, dass es in den Fragen häufig um „Normalität“ und „richtig oder falsch“ geht. Ich frage mich manchmal, ob jemand diesen jungen Menschen hilft, sich ihre Fragen zu beantworten, wenn wir nicht in die Klassen kommen würden, oder ob all diese Fragen ungestellt bleiben würden. Die vielen positiven Rückmeldungen überzeugen uns, dass wir unsere Arbeit weitermachen müssen, aber noch mehr: wir müssen unsere Angebote ständig erweitern und verbessern.
Das Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung (IKG) an der Universität Bielefeld begleitet das Projekt wissenschaftlich. Inwiefern ist diese Unterstützung relevant für Ihre Arbeit?
Die Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ von Prof. Wilhelm Heitmeyer gibt uns einerseits die Möglichkeit, gesamtdeutsche Tendenzen hinsichtlich gruppenbezogener Menschlichkeit zur Kenntnis zu nehmen und aus den Ergebnissen Konsequenzen für unsere konkrete pädagogische Praxis zu ziehen. Praktisch ist die konkrete Begleitung dahingehend relevant, als unsere Aufklärungsarbeit derzeit einer Wirkungsevaluation unterzogen wird. Aus den Ergebnissen erhoffen wir uns Anhaltspunkte für unseren eigenen Prozess der Neuausrichtung, Qualitätssicherung und Professionalisierung unserer Aufklärungsarbeit. In Auftrag gegeben wurde die Evaluation durch die Sächsische Staatskanzlei, die uns innerhalb des Programms „Weltoffenes Sachsen“ fördert.
Der Verein „Gerede“ ist aus der evangelischen Studentengemeinde hervorgegangen – nicht unbedingt die allererste Institution, an die man bei Aufklärungsarbeit über und Beratung für Homosexuelle denkt.
Auch in den 1980er Jahren war das Thema Homosexualität innerhalb der DDR-Kirchen heiß umstritten. Gleichsam waren die (evangelischen) Kirchen und vor allem die hiesige Studentengemeinde ein Ort, wo sich emanzipatorische Gruppen zusammenfinden konnten, um nicht zuletzt auch angesichts der Aufrüstung im Kalten Krieg als emanzipatorische Gruppe die Friedensbewegung anzahlmäßig zu unterstützen. Gemeinsame Feindbilder oder gemeinsame politische Herausforderungen einen die Menschen, wie dieses Beispiel zeigt, und macht alle Verschiedenheiten weniger wichtig.
Dass heute ein solcher Arbeitskreis in der Evangelischen Studentengemeinde gegründet werden würde, wage ich angesichts anhaltender fundamental-religiöser Tendenzen in Sachsen zu bezweifeln. Wir waren am richtigen Ort zur richtigen Zeit. Ich will nicht davon sprechen, dass „Gerede“ dort gegründet wurde. Dem „Arbeitskreis Homosexualität“ standen die Türen offen und Räume wurden bereit gestellt. Als Initiative wurde „Gerede“ Ende 1987 ins Leben gerufen, als sich einige „Betroffene“ in einem alternativen Dresdner Szenetreff zusammenfanden und beschlossen, etwas gegen die öffentliche Diffamierung homosexuell lebender Menschen zu unternehmen. Die meisten Aktivisten der ersten Stunde sind auch heute noch Mitglieder im Verein. Der Name griff die Tatsache auf, dass man als nicht heterosexuell lebend schnell ins Gerede kommen konnte. Dies hat sich auch bis heute gehalten. Wir sprechen noch davon, „ins Gerede zu gehen“. In den ersten zehn Jahren beschränkte sich die Arbeit vor allem darauf, Begegnungsmöglichkeiten zu schaffen und das zu etablieren, was man heute in vielen Großstädten als schwul-lesbische wahrnimmt.
Auch die Aufklärungsarbeit in Schulen und Jugendgruppen war bereits aktiv, wenn auch rudimentär. 1995 nahmen wir verstärkt Beratungsaufgaben wahr und wurden als freier Träger der Jugendhilfe anerkannt. Verbunden mit sich verändernden Rahmenbedingungen innerhalb der Jugendhilfe wurde schließlich 1998 der erste Sozialpädagoge angestellt. Für die „Gerede“-Arbeit, wie ich sie heute verstehe und vertrete, war dies wohl die entscheidende Initialzündung.
Das Gespräch führte Jan Schwab
Mehr Informationen zum Projekt: www.respekt.gerede-dresden.de
Der Verein "Gerede" im Internet: www.gerede-dresden.de
Welche Initiativen wurden noch nominiert? Hier erfahren Sie mehr:
http://www.demokratiepreis-sachsen.de/nominiert-2008/