Gute Arbeit gegen Rechtsextremismus hat viele Gesichter – wir stellen Ihnen 15 ausgewählte Projekte vor, die für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie nominiert sind. Heute: In Mittweida zeigt die rechtsextreme Szene ihr brutales Gesicht. Doch es gibt Widerstand aus der Bevölkerung: Das Bündnis für Menschenwürde – gegen Rechtsextremismus im Landkreis Mittweida.
Das brutale Gesicht rechtsextremer Menschenverachtung
Rechtsextreme schlagen einen 21-Jährigen, weil sie ihn für eine „Zecke“ halten. Zwei Männer werden grundlos von Neonazis ins Gesicht geboxt. Die Scheibe des PDS-Bürgerbüros wird eingeworfen. Die Fensterscheiben der drei ortsansässigen Dönerbuden werden zerstört. Rechtsextreme greifen mit Zaunlatten eine Punker-WG an. 25 Neonazis blockieren den Eingang zu einer Veranstaltung gegen Rechtsextremismus. Ein Kameruner und seine Ehefrau werden auf dem Parkplatz eines Einkaufszentrums angegriffen. Das ist nur die Bilanz von 20 Tagen im sächsischen Mittweida. In der 17.000-Einwohner-Stadt zeigt Rechtsextremismus sein gewalttätiges Gesicht. Seit rund anderthalb Jahren kämpfen die lokale 'Kameradschaft' und ihre Sympathisanten brutal gegen Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen: Übergriffe auf Jugendclubs, Vereine, Feste, auf politische Gegner und Menschen mit anderer Hautfarbe, Einbrüche in Privatwohnungen und Versuche, potenzielle Opfer mit Autos von der Straße zu drängen.
Sprecher des Bürgerbündnisses:
Markus EickWenn die Justiz kaum mehr schreckt
Am 26. April 2007 tritt die Justiz in Aktion. Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo lässt die Kameradschaft „Sturm 34“ als kriminelle Vereinigung verbieten, 24 Privatwohnungen in Mittweida durchsuchen. Insgesamt 26 Mitgliedern der Kameradschaft soll der Prozess gemacht werden. Nach dem Verbot ist die Polizei rigeros: Sobald nur vier Mitglieder des nach einer SA-Brigade benannten „Sturm 34“ beisammen stehen, werden sie wegen Versammlungsverbots mit aufs Revier genommen. Die Mittweidaer Bürger erleben die Rechtsextremen, die sich zuvor demonstrativ auf dem Marktplatz postierten, als verunsichert. Aber sie sind auf freiem Fuß. Am 5. Mai greifen Sympathisanten der Kameradschaft das Polizeirevier im benachbarten Rochlitz an, um einen Gesinnungsgenossen aus dem Polizeigewahrsam frei zu pressen. Am Himmelfahrtstag überfallen fünf Sturm 34-Anhänger mit 50 weiteren Rechtsextremen das Fest eines privaten Radiosenders im nahegelegenen Burgstädt. In Rochlitz überfielen zeitgleich fünf Rechtsextremen die Jugendtreffs „Alte Schmiede“ und „Szene“, prügelten auf Frauen und Teenager ein und versuchten, als diese sich in Sicherheit brachten, mit einem Fahrradständer als Waffe Türen und Fenster aufzubrechen.
Ein Bündnis sucht Verbündete
„Natürlich ist das Verbot gut“, sagt Markus Eick, der Jugendsozialarbeiter des CVJM in Mittweida ist, „die Szene ist aufgemischt und verschreckt. Aber sie sind alle noch da.“ Eick ist ein Sprecher des Bündnisses für Menschenwürde und gegen Rechtsextremismus im Landkreis Mittweida, das sich dem neonazistischen Gedankengut auf einer anderen Ebene entgegenstellen will. Bemühungen, ein solches breites zivilgesellschaftliches Bündnis auf die Beine zu stellen, gibt es seit 2006, als die Rechtsextremen mit ihren vermehrten brutalen Übergriffen begannen. Konstituiert hat sich das Bündnis dann im Frühjahr 2007, unter den üblichen Schwierigkeiten, unter denen Initiativen gegen Rechtsextremismus oft leiden: Wie bekommt man wirklich möglichst viele Akteure an einen Tisch – und zu gemeinsamer Arbeit? Eick berichtet, dass es dem Bündnis im Großen und Ganzen gelungen ist. Es hat 90 Mitglieder, 55 Privatpersonen und 35 Vereine und Verbände, von Linksaußen bis ins konservative Spektrum, die Kirchen sind dabei und die Antifa, die Hochschule Mittweida, ein Radiosender, soziale Vereine, junge und alte Leute. Weil die PDS dabei ist, ziert sich die CDU. Welche Folgen das hat, ist noch offen.
Rechtsextremismus benennen
Zunächst kümmert sich das Bündnis für Menschenwürde und gegen Rechtsextremismus um eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit, die das Problem noch nicht sieht oder sehen will. Auf der bündniseigenen Website werden alle rechtsextremen Gewalttaten aufgelistet – auch die, die nicht der Polizei gemeldet werden. „Gerade Jugendliche haben da viel Vertrauen verloren“, erzählt Eick, „wenn sie die Erfahrung machen, dass sie von zwölf Neonazis durch die Stadt gejagt werden, sich gerade noch in ihre Wohnung flüchten können, bei der Polizei anrufen – und dann zu hören bekommen: ‚Dann bist Du doch jetzt in Sicherheit, dann ist doch alles in Ordnung’, auch wenn die Nazis noch vor der Tür stehen.“ Auch die regionale Presse macht es den Rechtsextremismus-Gegner nicht immer leicht – sei es, dass sie rechtsextreme Straftaten nicht als solche benennt, sondern zu Streit unter Jugendlichen verharmlost, sei es, dass sie ideologiegeschwängerten Aussagen von Rechtsextremen vor Gericht „wie ein Manifest zum Nachlesen“ abdruckt.
Wo ist der Weg?
Doch Öffentlichkeitsarbeit reicht den Aktiven nicht. Das Bündnis sammelt schnell Projektideen, die es selbst umsetzen kann. Noch sind in Mittweida viele auf der Suche nach Antworten, deshalb gibt es verschiedenste Ansätze. Jugendsozialarbeiter Markus Eick arbeitet an einem Konzept für eine Gewaltpräventionsprojekt für dritte Klassen. Eine Gruppe Jugendlicher aus dem Bündnis will die „Aktion Noteingang“ für Opfer rechtsextremer Gewalt in Mittweida etablieren. Ein Künstler, Jens Ossada, liest Gedichte gegen Rechtsextremismus. Es gibt Selbstverteidigungskurse für nicht-rechten Jugendlichen im Park. Es sind kleine Anfänge, mit großen Problemen umzugehen. An der örtlichen Mittelschule gibt es einen „nationalen Mainstream gegen Ausländer“, weiß Eick aus seiner Arbeit. Viele Schüler hören Musik mit rassistischen Texten, tragen rechtsextreme Klamottenmarken und verbreiten „neonazistische Denke“. Wie kommt man an die heran? Wie stärkt man die nicht-rechten Jugendlichen? Welche Präventionsarbeit wirkt? Im Austausch mit Experten wie dem Mobilen Beratungsteam des Kulturbüros Sachsen, dem Netzwerk Tolerantes Sachsen oder der Amadeu Antonio Stiftung versuchen die Bündnis-Mitglieder jetzt, die für ihre Stadt erfolgreichsten Lösungen zu finden. „Ich wünsche mir, dass Rechtsextremismus uncool wird und alle Bürger von Mittweida couragierter ihre Stimme dagegen erheben“, sagt Eick.
Der Bürgermeister benennt das Problem
Immerhin, die Chancen auf einen Klimawandel in Mittweida stehen auch deshalb nicht schlecht, weil auch offizielle Stellen nicht die Augen verschließen. Einer, der im Kampf gegen Rechtsextremismus eine nicht unwichtige Rolle spielen kann, ist der Bürgermeister von Mittweida, Matthias Damm (CDU). Der hisst am Rathaus Flaggen für ein "Weltoffenes Mittweida" und „gegen Extremismus und Gewalt“. In seiner Haltung zum Rechtsextremismus in seiner Stadt ist er im Gespräch äußerst klar: „Wir haben hier den Sturm 34, eine klar rechtsextreme Vereinigung. Schätzungsweise 30 bis 50 Bürger aus Mittweida sind da Mitglied, 10 bis 15 sind der harte Kern. Ganz klar: Das sind 30 bis 50 zuviel!“ Zwar scheiterte eine Bewerbung des Landkreises beim Bundesprogramm „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“, doch stellte daraufhin der Landkreis 100.000 Euro aus eigenen Mitteln zur Verfügung, erreichte vom Land Sachsen eine Förderung von 20.000 Euro und konnte auch von der Kreissparkasse eine Spende von 20.000 Euro einwerben. Seitdem haben Kleinprojekte eine Chance auf Förderung, auch wenn über den richtigen Weg manchmal Uneinigkeit zwischen Stadt und Zivilgesellschaft herrscht. Einen „Markt der Vielfalt“ der Stadt hat das Bündnis für Menschenwürde etwa gern unterstützt. Auf der anderen Seite verweigerte die Stadt wie auch der örtliche Gewerbering jegliche – auch nur nominelle – Unterstützung einer vom Bündnis unterstützen Jugendinitiative, die die „Aktion Noteingang“ nach Mittweida bringen wollte, bei der Aufkleber an Geschäften klar machen: Wir leisten Hilfe, wenn jemand von Rechtsextremen verfolgt wird. Die Begründung des Stadtrats unter Damm: Eine solche Aktion habe eine negative Außenwirkung für die Stadt und die Hilfe sei schließlich selbstverständlich. Wie wichtig allerdings genau so ein öffentliches Bekenntnis in Mittweida wäre, zeigt die Reaktion einiger Ladenbesitzer auf die Aktion, die die Aufkleber ablehnten: „Wir sind ein weltoffenes Mittweida. Wir wollen es nur nicht nach außen so zeigen.“
Ziel: Rechtsextremen Mainstream zurückdrängen
Es gibt also viel zu tun für das Bürgerbündnis in Mittweida – und das ist entsprechen aktiv. Nach einigen konstituierenden Bündnistreffen wird die Linie der Engagierten in Mittweida klarer, ein Zielfahrplan entworfen, wie dem Rechtsextremismus entgegen getreten werden soll. Die Mitglieder wünschen sich Übergeordnetes wie die Stärkung demokratischer Lebensentwürfe und der Vielfalt der (Jugend-)Kulturen in ihrer Stadt, aber auch Konkretes wie die Rückeroberung der Marktplätze des Landkreises, die oft genug von Rechtsextremen dominiert werden, so dass nicht-rechte Bürger sich aus Angst aus dem öffentlichen Raum zurückziehen. Auch eine weitgehender Vernetzung von Jugendarbeit, Schule und Zivilgesellschaft und der Kontaktaufbau zu migrantischen Einwohnern Mittweidas werden dem Gesamt-Ziel dienen: die rechtsextreme Gewaltbereitschaft und den nationalen Mainstream zurückdrängen. Auch Antisemitimus beobachten die Engagierten und suchen nach Strategien, dies gezielt anzugehen. Markus Eick bilanziert die Bündnistreffen: „Sie bündeln bisherige Einzelkämpfer und die mutlos gewordenen Demokraten und machen es möglich, möglichst viele Projekte auf breiter Basis ins Leben zu rufen.“
Konkret sind daraus Projekte entstanden wie die Lesungsreihe gegen Rechtsextremismus „Mut der eigenen Worte“, mehrere Ausstellungen zum Thema klärten in den letzten Monaten in Mittweida, antirassistische Bandauftritte, Theaterabende und Diskussionsrunden in Mittelschulen und Gymnasien gaben Jugendlichen der Stadt Gelegenheit, sich zu informieren und zusammen zu finden. Noch erkennen die Mitglieder des Bündnisses einen rechtsradikalen Mainstream besonders unter den Jugendlichen ihrer Region – aber auch immer mehr Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Ihre Arbeit wäre definitiv einen Sächsischen Förderpreis für Demokratie wert, der am 9. November gemeinsam von der Kulturstiftung Dresden der Dresdner Bank, der Stiftung Frauenkirche Dresden, der Freudenberg Stiftung und der Amadeu Antonio Stiftung vergeben wird.