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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Von Ralf Perbandt
„Erschreckend ist die Intensität der Gewalt und die offen zur Schau gestellte Menschenverachtung in vielen Fällen. So wurde z.B. im Januar 2007 ein Brandanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft in Sangerhausen verübt, dort konnte nur durch das schnelle Handeln eines Bewohners ein mehrfacher, rassistischer Mord verhindert werden. Für überregionale Schlagzeilen sorgte auch der Überfall auf Mitglieder des Halberstädter Theaterensembles, bei dem eine Gruppe einschlägig vorbestrafter rechter Schläger mit unglaublicher Brutalität auf ihre Opfer losging. Nicht nur in diesem Fall musste die Mobile Opferberatung sich mit Einsatzpannen und Versäumnissen der Polizei auseinandersetzen“, so Torsten Hahnel von der Mobilen Opferberatung.
Seit 2006 ist Sachsen-Anhalt unrühmlicher Spitzenreiter bei der Zahl rechter Gewaltstraftaten. Nach wie vor gehören nicht-rechte und alternative Jugendliche und junge Erwachsene zu den Hauptbetroffenen rechter Gewalttaten in Sachsen-Anhalt; mehr als zwei Drittel aller registrierten Angriffe galten dieser Personengruppe. Daneben sind nach Informationen der Mobilen Opferberatung viele MigrantInnen und Flüchtlinge von rassistischen Angriffen betroffen.
Drei Büros in Sachsen-Anhalt
Die Mobile Opferberatung, die aus Bundes- und Landesmitteln gefördert wird, arbeitet seit August 2001 in Trägerschaft des Vereins „Miteinander e.V .“.Von Büros in Magdeburg, Halle und Salzwedel aus bieten die MitarbeiterInnen den Betroffenen eines rechten Angriffs Unterstützung, Beratung und Begleitung. Sie beraten vor Ort, kostenlos und auf Wunsch anonym. Auch die Öffentlichkeitsarbeit gehört zu den Aufgaben des Projekts: Denn in vielen Fällen fühlen sich die Betroffenen alleine gelassen oder müssen sich dagegen wehren, dass Polizei und Lokalmedien sie als Betroffene für die Angriffe verantwortlich machen, frei nach dem Motto: „Selbst schuld, wenn du als Punk oder Flüchtling noch nach Mitternacht auf der Straße bist.“ In derartigen Fällen vermittelt das Projekt der Öffentlichkeit auf Wunsch der Betroffenen - und oft gemeinsam mit ihnen - die Sichtweise und Erfahrungen der Opfer.
Die Zahl der Angriffe geben kein Anlass zur Entwarnung
Das Innenministerium Sachsen-Anhalt zählte für das erste Halbjahr 2007 31 rechtsextrem motivierte Gewalttaten. Die Mobile Opferberatung dagegen registrierte für den gleichen Zeitraum 72 rechtsextrem motivierte Gewalttaten. „Und unsere Zahlen stellen lediglich die Spitze des Eisbergs da,“ so Projektmitarbeiter Ralf Perbandt. "Die meisten Angriffe", ergänzt Heike Kleffner, „schaffen es erst gar nicht in die Presse“. Zu alltäglich ist die Hatz auf Fremde und Andersdenkende mittlerweile geworden. „Viele rechtsextrem oder rassistisch motivierte Angriffe werden in den Polizeimitteilungen und dementsprechend in den lokalen Medien als unpolitische Auseinandersetzungen dargestellt,“ erklärt Kleffner, "etwa aus Unwissenheit oder aus Angst um das Image der eigenen (Klein-)Stadt, als weitergehende gesellschaftliche Ausgrenzung und Diskriminierung von Opfergruppen wie Flüchtlingen und linken Jugendlichen oder gar aus Sympathie für die rechten Angreifer." Bundesweit hat sie versucht, versehentlicher oder absichtlicher Verschleierung entgegen zu treten: Die Journalistin veröffentlichte mit einem Kollegen für den Berliner Tagesspiegel und die Frankfurter Rundschau eine Dokumentation rechtsextrem motivierter Morde jenseits der offiziellen Statistik der Sicherheitsbehörden.
Hartnäckige Recherche ist die Grundlage
Wegen der schwierigen Informationslage beginnt die Arbeit der MitarbeiterInnen so auch nicht bei der tatsächlichen Beratung der Betroffenen. Zuerst muss recherchiert werden: Gab es Angriffe, wann, wo, wer ist das Opfer und was liegt dem Motiv der Täter zugrunde? Dass es überhaupt eine kontinuierliche Erfassung von rechtsextrem motivierten Überfällen gibt, liegt nicht zuletzt an der hartnäckigen Recherche der Opferberatungsstellen in den neuen Bundesländern.
Nicht alle Opfer trauen sich, aktiv zu werden
Nur in einigen Fällen finden die Opfer von Gewalttaten den Weg zur Beratungsstelle. Oft haben sie nach dem Angriff Angst vor weiteren Repressalien und Diskriminierungserfahrungen und trauen sich nicht, Hilfe zu suchen oder auch eine Anzeige gegen den oder die Täter zu stellen. So sind es oft der Berater oder die Beraterin, die die Opfer aufsuchen und Hilfe anbieten. Wenn der Erstkontakt mit den Opfern erfolgreich ist, kommt es zu einer so genannten „Erstberatung“, die zumeist von zwei Beratern oder Beraterinnen durchgeführt wird. Ergibt sich aus diesem Treffen der Wunsch nach Unterstützung, wird das Opfer fortlaufend betreut. „Eine Beratung erstreckt sich oft über mehrere Jahre.“, erzählt Projektmitarbeiterin Antje Arndt. Das liegt zum einen an der oft mehrjährigen Auseinandersetzung mit der Tat während der Beweisaufnahme bis zur Gerichtsverhandlung, während derer die Opfer begleitet und beraten werden. Zum anderen leiden viele Opfer an den schweren Traumatisierungen. Die Mobile Opferberatung hilft bei der Suche nach Therapeuten, die Schlafstörungen, Alpträume, Angstzustände und Depressionen behandeln.
Die Beratung ist so vielfältig wie die Folgen der Übergriffe
Die Opferberatungsstelle ist aber nicht nur bei der Suche nach AnwälteInnen oder TherapeutInnen behilflich. Auch die Begleitung bei Behördengängen, Hilfe bei Umzügen oder einfach nur das Zuhören und Dasein sind unersetzliche Aufgaben, die die Mobile Beratung erfüllt. Für betroffene Flüchtlinge, die nach einem rassistischen Angriff etwa die Erfahrung machen müssen, dass das zuständige Sozialamt eine vollständige Kostenübernahme für ihre medizinische Versorgung, etwa für Behandlungen der Zähne, verweigert, kann die Mobile Opferberatung oft unbürokratische Hilfe anbieten: Im Sommer 2000 hat der Trägerverein des Projekts, Miteinander e.V., selbst einen eigenen Opferfonds ins Leben gerufen. Dieser wird inzwischen von einigen SpenderInnen gefördert, so dass viele Betroffene unmittelbar materiell unterstützt werden konnten.
Lokale Initiativen zusammenbringen
Die Arbeit der Mobilen Opferberatung baut auf vielfältige Kontakte und Kooperationen auf. So wird in Sachsen-Anhalt eng mit alternativen und nicht-rechten Jugendzentren zusammengearbeitet. Zum einen sind sie oft die einzigen, die sich dem rechten Mainstream vor Ort entgegenstellen, zum anderen sind viele nicht-rechte oder alternative Jugendliche selbst Opfer und potenzielle Opfer. Weitere Kooperationen gibt es unter anderem mit den sozialen Diensten der Justiz, den Migrationsberatungsstellen, dem Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt, Wohlfahrtsverbänden, dem Weißen Ring und lokalen Initiativen gegen rechts.
Intervention gegen Wegschauen und Ignoranz
Gerade die Zusammenarbeit und das Zugehen auf AkteurInnen aus Zivilgesellschaft und Politik machen es möglich, zwischen all den Problemen auch immer wieder positive Beispiele zu finden. „Die öffentliche Solidarisierung mit den Betroffenen setzt den Tätern Grenzen,“ so Heike Kleffner. „Deshalb unterstützen wir lokale Initiativen, die sich auf die Seite der Opfer stellen und vor Ort aktiv sind.“ Auf diesem Wege weitermachen und noch mehr zivilgesellschaftliche Akteure für die eigene Arbeit nachhaltig sensibilisieren und mobilisieren, das bleibt eines der vorrangigen Ziele für die Arbeit der Mobilen Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in Sachsen-Anhalt.
Die Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt erreichen:
Magdeburg
Erich-Weinert-Straße 30, 39104 Magdeburg; Tel.: 0391/5 44 67 - 10 Fax: 0391/5 44 67 - 11 Mobil: 0170/2 94 83 52, opferberatung.mitte@miteinander-ev.de
Salzwedel
Postfach 2125, 29403 Salzwedel; Tel.: 03901/30 64-31 Fax: 03901/30 64-32 Mobil: 0175/6638710 opferberatung.nord@miteinander-ev.de
Halle
Platanenstraße 9, 06114 Halle Tel.: 0345/2 26 71 00 Fax: 0345/2 26 71 01 Mobil: 0170/2948413, 0170/2925361, 0151/53318824, opferberatung.sued@miteinander-ev.de
Mehr im Internet: www.mobile-opferberatung.de
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