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Kein Ort für Neonazis in Mecklenburg-Vorpommern


Am 4. September 2011 finden in Mecklenburg-Vorpommern Landtags- und Kommunalwahlen statt. Von der Wahl erhofft sich die NPD einen Wiedereinzug in den Landtag. Die Kampagne „Kein Ort für Neonazis“ der Amadeu Antonio Stiftung will das verhindern.


Von Philipp Wagner

Nicht weit von der Ostsee und ihren Stränden liegt die dünn besiedelte Landschaft Mecklenburg-Vorpommerns mit ihren vielen Feldern und Weiden. Ein schöner Anblick und Abwechslung für Touristen. Aber auch fruchtbarer Boden für die NPD und ihre Ideologie. Der Einzug in den Schweriner Landtag gelang der NPD bei der Wahl 2006 vor allem hier, in den Dörfern Vorpommerns. Bei den Kommunalwahlen 2009 war das Bild ähnlich. Den Erfolg bescherte der NPD dabei nicht ihre menschenfeindliche Hetze, sondern die Inszenierung als bürgernahe Partei. Demokratieferne beschreibt hier nicht nur eine Befindlichkeit der Menschen; sie liegt auch in der räumlichen Distanz zu staatlichen und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen.
Einfach ist es deshalb für die NPD, mit ihren Kinderfesten, Bürgerbüros und Hartz-IV-Beratungen im strukturschwachen Nordosten auf Stimmenfang zu gehen. Das dahinterstehende Weltbild wird dann zur Nebensache für Wählerinnen und Wähler. Die NPD ist präsent im Alltag und ihre Thesen werden Normalität.

Gegen die Normalität der NPD


Mit der jetzt in Mecklenburg-Vorpommern startenden Kampagne „Kein Ort für Neonazis“ will die Amadeu Antonio Stiftung dem etwas entgegensetzen. Innerhalb eines Jahres fördert ein extra eingerichteter Initiativfonds bis zu den Landtags- und Kommunalwahlen am 4.September 2011 kleine Projekte mit bis zu 250 Euro, die sich mit der NPD und dem Thema Rechtsextremismus auseinandersetzen. „Ziel der Kampagne ist es, die Verankerung der rechtsextremen Szene und den Einzug der NPD in die Land- und Kreistage zu verhindern.“, so Timo Reinfrank, Stiftungskoordinator der Amadeu Antonio Stiftung. Alle demokratischen Bürgerinnen und Bürger sind eingeladen mitzuwirken, die Kampagne vor Ort zu nutzen und Teil eines großen zivilgesellschaftlichen Bündnisses zu werden. Die Wahlberechtigung spielt dabei keine Rolle, denn vor allem Jugendliche und junge Erwachsene möchte die Kampagne unterstützen sich mit den Begebenheiten vor Ort auseinanderzusetzen. Reinfrank ist zuversichtlich, „dass eine gemeinsame Anstrengung aller Demokraten den wiederholten Einzug der NPD in den Landtag von Schwerin verhindern kann. Wir suchen deshalb die Zusammenarbeit mit allen demokratischen Initiativen, den Parteien und dem Land“.

Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus in Mecklenburg-Vorpommern ist nichts Neues und wird nicht erst von Außen durch die Amadeu Antonio Stiftung ins Land getragen. Viele zivilgesellschaftliche Initiativen sind seit Jahren sehr aktiv, leisten großes Engagement und haben bereits viele Erfahrungen gesammelt. Dieses Wissen ist Kern der Kampagne. Neben den eigenen Erfahrungen der Amadeu Antonio Stiftung mit dem Projekt „Lola für Lulu – Frauen für Demokratie im Landkreis Ludwigslust“ wird damit allen, die Projekte machen möchten, ein großer Erfahrungsschatz bereitgestellt.
Aufs Land verteilt gesehen, bestehen diese Initiativen allerdings nur aus einem kleinen Kreis von Personen. Das ist symptomatisch für die Zivilgesellschaft in Mecklenburg-Vorpommern.

Demokratie auf schwachem Fundament?

Die Schweriner Volkszeitung, eine von vier überregionalen Zeitungen im Land, titelte im August „Demokratie auf schwachem Fundament?“. Der Artikel befasst sich mit der politischen Kultur in Mecklenburg-Vorpommern und wirbt für mehr Engagement. In dem Artikel wird bemängelt: „Während es in Mecklenburg-Vorpommern v. a. im Sport und im kulturellen Bereich ein beachtliches ehrenamtliches Engagement gibt, ist das politische Engagement in Parteien dagegen sehr schwach ausgeprägt“. Der Artikel stellt weiter fest, dass die demokratischen Parteien kaum präsent sind. Für die Zivilgesellschaft außerhalb der Parteistrukturen trifft das ebenfalls zu.

Kennzeichnend dafür ist unter anderem die geringe Wahlbeteiligung, aber auch die schwindende Presselandschaft. Die Zeitungsverlage der Region sind gezwungen aufgrund fehlender Nachfrage ihre Lokalredaktionen zu reduzieren und aus Kostengründen Teile der überregionalen Berichterstattung auszulagern. In die entstehende Lücke drängen kostenlose Wurfzeitungen der NPD und ihr nahestehender Kameradschaften. Auf diese Art gelingt es der NPD meinungsbildend in der Bevölkerung zu wirken und die Hemmschwelle gegenüber rassistischen und antidemokratischen Standpunkten bei den Wahlen und im Alltag abzubauen.
Der Wahlkampf der NPD findet selten Erwähnung in der lokalen Presse. Entsprechend fehlen mediale Auseinandersetzung und Widerspruch zur NPD. Bei den Wählerinnen und Wählern entsteht so kein Problembewusstsein.

Die Boten der NPD

Der von der NPD-Fraktion im Landtag herausgegebene „Ordnungsruf“ ist dabei nur die Spitze des Eisberges der rechtsextremen Publikationen im Land. Der „Ordnungsruf“ ist leicht erkennbar als klassische Parteienzeitung, die offen von der NPD an Haushalte verteilt wird und im Internet heruntergeladen werden kann. Neben dem „Ordnungsruf“ existieren jedoch noch acht bis zehn kostenlose Wurfzeitungen: die „Boten“. Diese gleichen sich stark im Erscheinungsbild, wobei immer ein regionaler Bezug im Namen und den Themen hergestellt wird. So gibt es z.B. den „Inselboten“ für Usedom. Im Jahr 2009 hat der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern - der die „Boten“ als rechtsextrem einstuft - sechs dieser Publikationen gezählt. Dieses Jahr wurde das Verbreitungsgebiet bereits erweitert durch „Boten“ für Demmin und die Region „Mecklenburg-Strelitz“. Der Inhalt der „Boten“ flankiert meistens die Anträge der NPD im Landtag und den Kreistagen.

Aus ihnen lassen sich die Wahlkampfthemen der NPD jetzt schon ablesen. Das Thema Strafmaß für Sexualstraftäter und ausländerfeindliche Hetze - vor allem gegen das Nachbarland Polen – wird die NPD wieder benutzen. Hinzu kommt vermutlich 2011 das Thema Kreisgebietsreform. Die mit der Kreisgebietsreform verbundene Einbußung von politischer Bedeutung einiger Kreisfreier- und Kreisstädte bietet sich der NPD geradezu an den Heimatbegriff aufzugreifen und umzudeuten. Die NPD kritisiert zudem die mit der Reform verbundene Reduzierung von Verwaltung und Schulen in den neuen Landkreisen. Dass diese Einsparungen der sinkenden Einwohnerzahl geschuldet und von Vorteil für die NPD sind, verschweigt die Partei. Profilieren mit diesen Themen konnte sich die NPD im Landtag und den Kreistagen allerdings nicht. Entsprechend schwer wird sich der Wahlkampf für die NPD im nächsten Jahr gestalten.

Wahlkampf wörtlich

Die teilweise mit der NPD personengleichen Aktivisten aus der Kameradschafts- und Autonome Nationalisten-Szene des Landes verfolgen deshalb eine andere Wahlkampfstrategie. „Dabei nehmen sie den ‚Kampf‘ wörtlich. Bereits jetzt registriert das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommerns einen Anstieg der Straftaten mit rechtsextremen Hintergrund und rechnet mit der weiteren Zunahme der Fallzahlen im Vorfeld der Wahlen“, berichtet Reinfrank und stellt fest, „dass zwar über Anschläge geschrieben wird, aber nicht über das gesellschaftliche Klima in dem diese Anschläge möglich sind. Möglichkeiten des Umgangs mit ihnen werden nicht präsentiert.“

Medial beachtet werden vor allem größere Aktionen der NPD und ihres Umfelds, wie z.B. die Hetzkampagne gegen Landesinnenminister Lorenz Caffier und die Anschlagsserie auf die Parteibüros aller demokratischen Parteien. Weniger Eingang in die Berichterstattung finden hingegen die zahlreichen kleineren Übergriffe auf Einzelpersonen. Ebenso die vielerorts sichtbaren Schmierereien, die Verunsicherung schüren sollen. Die Kombination von großen und kleinen Aktionen soll ein lähmendes Klima der Angst erzeugen und so den Weg für die NPD bahnen.

Anfang vom Ende

Dieser Strategie der Verunsicherung will die Kampagne „Kein Ort für Neonazis“ entgegenwirken. Die Projekte sollen kreativ, bunt und gewaltfrei sein, wie beispielsweise eine Kirchengemeinde, die eine Radtour gegen Rechts organisiert, eine Schule, die ein „Laut gegen Nazis“- Konzert plant oder eine Jungendinitiative, die in einer Ausstellung Orte rechtsextremer Übergriffen dokumentiert. Die Kampagne „Kein Ort für Neonazis“ kann allerdings nur ein neuer Auftakt sein. „Es bedarf eines langfristigen Engagements, um der NPD und dem Weltbild für das sie steht entgegenzuwirken. Das müssen Politik und Zivilgesellschaft zusammen tun“, so Reinfrank.


Die Kampagne wird in MV bereits durch den Landesjugendring Mecklenburg-Vorpommern, die RAA Mecklenburg-Vorpommern e.V., der landesweiten Opferberatung, Lobbi – Beratung für Betroffene rechter Gewalt in MV, dem größten sozialen Netzwerk im Land „MV Spion“, Gedenkstätten, wie dem Verein Mahn- und Gedenkstätten Landkreis Ludwigslust e.V., Instituten für politische Bildung, wie dem Verein Soziale Bildung Rostock e.V., Kulturzentren, wie dem IKuWo e.V. Greifswald, dem Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern, der Landeskampagne Wir. Erfolg braucht Vielfalt und vielen anderen unterstützt. Alle demokratischen Institutionen sind eingeladen, sich zu beteiligen.

Pressemitteilung der Amadeu Antonio Stiftung

Foto: Plakat der Aktion, RAA Regionalzentrum Südvorpommern, c

 

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