Was machen, wenn die Jugendlichen aus dem eigenen Ort, zum Teil die eigenen Konfirmanden, vor aller Augen einen Bus mit türkischen Jugendlichen angreifen? „Musik“, hieß die Antwort von Pfarrerin Beatrice Spreng und ihren Mitstreiterinnen. Eine leidvolle Erfolgsgeschichte aus dem brandenburgischen Joachimsthal.
Die Schorfheide ist eine idyllische Seenlandschaft, und ein idyllischer Ort ist auch das 4000-Einwohner-Städtchen Joachimsthal. Im Ortszentrum steht der architektonische Stolz der Stadt: Die 1817 nach Plänen von Karl Friedrich Schinkel erbaute Kreuzkirche.
Die Schinkelkirche von außen und innen
Wer diese Kirche am Nachmittag betritt, kann aus dem rechten Seitenflügel ungewöhnlich weltliche Töne vernehmen: E-Gitarre und Schlagzeug, Popchöre und Rap, harte Rockmusik und Ska. Für einige Jugendliche ist die Kirche nämlich nicht nur ein Sakral-, sondern vor allem ein Bandübungsraum: Sechs Gruppen gibt es derzeit, die Mitglieder sind im Schnitt zwischen 12 und 16 Jahren alt, ein paar mehr Jungen als Mädchen. Zweimal im Jahr zeigen sie allen Joachimsthalern, was sie können: Im Sommer auf dem Festival "Musik im Park", im Winter bei "Jugend im Advent" in der Kirche selbst. Dazu kommen zahlreiche kleine Auftritte in umliegenden Orten. Auch eine Breakdance-Gruppe probt hier - in der sogenannten Winterkirche, einem Raum im ersten Stock des Schinkelbaus.
Nur eine Tür? Nein, hier
geht's zum Bandübungsraum.
Die Tür steht offen bei den Frauen von BAFF
Möglich gemacht haben dies drei Frauen, die im Reeddachhaus gleich gegenüber des Kirchengebäudes ihren Wohn- bzw Arbeitsplatz haben: Pfarrerin Beatrice Spreng und ihre Mitarbeiterinnen Brigitta Klucke und Iris Andrae. Die Tür des evangelischen Pfarrhauses ist geöffnet. "Ja, wir haben hier eine offene Kirche", sagt Beatrice Spreng, "jeder kann jederzeit zu uns kommen." Oft bekommt die blonde 46-jährige nach der Schule Besuch der Jungen und Mädchen, die ein bisschen quatschen möchten, wenn es zu Hause Stress gibt, oder einfach so, wenn sie die Zeit nicht auf der Straße verbringen wollen.
Die Initiatorin: Die "Mutter des
Pfarrerin Hauses":
Beatrice Spreng Brigitta Klucke
Dann stellt Brigitta Klucke, die "Mutter des Hauses", wie Beatrice Spreng sie nennt, noch ein paar Teller mehr auf den Mittagstisch. Die Bürokraft ist die gute Seele des Pfarrhauses. "Ich bin schon hier konfirmiert worden", sagt sie, "und der Gemeinde stark verbunden." Sie war eine der Befürworterinnen, die Beatrice Spreng in die Gemeinde geholt haben, 1994, als die Pfarrerstelle vakant war. "Das war natürlich eine Umstellung", sagt sie schmunzelnd, "da mussten sich einige dran gewöhnen. Eine junge Frau, dann auch noch aus dem Westen, und so energisch!"
Als der Jugendclub schloss, gingen Rechtsextreme auf Mitgliederfang
Beatrice Spreng kam damals "aus dem Hessischen" in die brandenburgische Schorfheide. Der Jugendclub war gerade geschlossen worden und Rechtsradikale aus den Nachbarorten gingen unter den Joachimsthaler Jugendlichen auf Mitstreiterfang. "Hier gibt es gar keine Menschen aus anderen Herkunftsländern", erzählt Beatrice Spreng, "deshalb entstehen leichter Vorurteile." Um die abzubauen, organisierte sie Begegnungen. Ihr Mann, Wolfhard Schultze, leitet in Berlin die
Kreuzberger Musikalische Aktion (KMA), die Musikworkshops und Proberäume für deutsche und ausländische Jugendliche anbietet. Was lag näher, als diese Bands zum Konzert nach Joachimsthal zu laden?
Der Anfang von BAFF war ein Überfall
Nach dem ersten Auftritt 1994 passierte es dann: 30 Jugendliche umringten den Bandbus der türkischen Kids, "versuchten ihn aufzuschaukeln", wie Beatrice Spreng es nennt, bedrohten die Insassen. "Die ganze Gemeinde war schockiert. Unsere Kinder, zum Teil unsere Konfirmanden." Deshalb stand die Gemeinde auch hinter ihr, als sie beschloss: Wir müssen etwas tun.
Im Ort war Zustimmung nicht so leicht zu finden. Beatrix Spreng galt als Nestbeschmutzerin, weil sie rechtsextremen Tendenzen benannte. "Immer wenn jemand zu mir gesagt hat: ‚Das sind doch unsere Kinder, die sind doch keine Rechten’, habe ich geantwortet: Natürlich sind das keine Rechten. Aber es sind Jugendliche auf der Suche nach Anerkennung, und mit einem so geringen Selbstwertgefühl, dass sie sich der rechten Agitation nicht entgegenstellen."
Rocken gegen rechtsextreme Gedanken
Da hilft, dachte sich Beatrice Spreng, Musik machen. Es ist Jugendkultur, interessiert die Kids also auch. Man muss sich zuhören und gegenseitig respektieren, um einen Song zustande zu bekommen. Damit auch schnelle Erfolgserlebnisse möglich sind, sollten die Bands von Profimusikern betreut werden: "Sonst ist das doch wieder nur was für die Kreativen und Begabten. Aber jeder kann Spaß an Musik haben", sagt sie. So wurde "BAFF" geboren, "Bands auf festen Füßen". Gemäß der Idee, wie Spreng es so schön nennt, "aus einer Bande eine Band zu machen." Am Anfang kamen die Musiklehrer von der KMA, inzwischen gibt es einen Betreuer vor Ort.
Immer raus mit den Gefühlen - Ob als Popchor oder Rockband."Sie hätten mich ja abwählen können"
Heute sind die Aktvitäten von BAFF im Ort anerkannt. "Wir haben gewonnen", sagt Beatrice Spreng und lacht verhalten. Es gibt noch Rechtsextreme, aber sie sind nicht mehr dominant. Mit der evangelischen Gemeinde und BAFF gibt es ein Gegenangebot für nicht-rechte Kids, das gut angenommen wird. Die Eltern sind dankbar. Geblieben sind kleine Querelen mit Gemeindemitgliedern, die finden, dass Rockmusik die Kirche entweiht. "Sie hätten mich ja abwählen können", sagt sie ein wenig trotzig, "aber dann haben 40 Prozent für mich gestimmt und ich wusste: Meine Arbeit kommt doch an."
Das idyllische Pfarrhaus. Hier wurde
eingebrochen, die Scheiben
eingeworfen, die Mitarbeiterinnen bedroht...
Alte Damen mit Regenschirmen gegen Skinheads
In den letzten sieben Jahren musste die Mutter einer kleinen Tochter allerdings einiges Durchhaltevermögen an den Tag legen. Sie wurde bedroht, im Pfarrhaus die Scheiben eingeworfen, das Auto demoliert, in der Kirche die Bibeln zerissen, die Orgelpfeifen beschädigt. 13 Übergriffe waren es insgesamt. Brigitta Klucke erzählt: "Wir haben uns hier zum Teil im Büro regelrecht verschanzt. Was für Konfrontationen – zum Teil waren es wirklich alte Damen mit Regenschirmen gegen einen Haufen Skinheads."
Die Erwachsenen waren auch nicht solidarischer. Im Ort die Anfeindungen, die neue Pfarrerin würde die Rechtsextremen doch nur herbeireden. Die Gemeinde monierte, die Kinder wären zu laut, Rockmusik zu unchristlich, die Pfarrerin zu modern. Wenn alle Welt gegen einen ist – wie hält man das aus?
Breakdance-Workshop
Wenn alle gegen einen sind
"Das haben uns die Kids auch oft gefragt: warum macht ihr das?", sagt Beatrice Spreng und lächelt. Genau darum macht sie es. Weil es funktioniert, weil sie bei den Kindern so viel erreichen. Weil sie es großartig findet, wenn sie und ihre Mitarbeiterinnen den Jugendlichen quasi nebenbei zur Freizeitbeschäftigung, christliche Werte vermitteln können, Nächstenliebe, Gerechtigkeit, Achtung vor allen Menschen und der Schöpfung. "Kinder suchen Werte, und wir können sie ihnen vorleben", sagt sie. Die emotionale Stimme dazu kommt von Brigitta: "Wenn sie dann hier sitzen, ihre Liedtexte schreiben, sich erst genommen fühlen und ihre Gefühle ausdrücken, da geht uns doch einfach das Herz auf."
Iris Andrae organisiert,
dass andere Gemeinden
BAFF entdecken.
In jedem Dorf steht eine Kirche...
Die guten Erfahrungen, die BAFF mit der musikalischen Jugendarbeit gemacht hat, geben die Joachimsthaler nun an andere Gemeinden weiter. Iris Andrae organisiert die Workshops in umliegenden Gemeinden und Jugendclubs. "Erst einmal bieten wir Verschiedenes an, damit die Jugendlichen das finden können, was sie wirklich interessiert", sagt sie, "Pop oder Streetdance oder DJ-ing oder HipHop." Inzwischen gibt es regelmäßige Gruppen in Neuruppin, Neustadt / Dosse, Kyritz und Wittstock. Ein wichtiger Erfolg für die Joachimsthalerinnen und den Kampf gegen Rechtsextremismus. "Wissen Sie, in jedem Dorf steht eine Kirche, und in diese Kirche gehen jeden Sonntag im Schnitt 15 Menschen, die aus ihrem christlichen Glauben heraus gegen Rassismus und Ausländerfeindlichkeit sind", sagt Beatrice Spreng. "Dieses Potenzial müssen wir einfach nutzen."
BAFF erreichen:baff@kirchengemeinde-joachimsthal.de
Tel.: 033361 - 268
Fax: 033361 - 710 95
WANTED! Sie sind Musiker oder Tänzer?
Die Aktion BAFF sucht fortlaufend Musiker und Tänzer aus Brandenburg, die sich an der Arbeit beteiligen möchten. Sie müssen noch nicht unterrichtet haben - für pädagogische Kniffe gibt es Fortbildungsmöglichkeiten. Bitte melden Sie sich unter
baff@kirchengemeinde-joachimsthal.de oder 033361 - 268!
Mehr im Internet:www.kirchengemeinde-joachimsthal.de
(unter "Projekte")
BAFF-Selbstdarstellung:
BAFF - das ist die Abkürzung für: "Bands auf festen Füßen". Fest stehen mit der Achtung vor fremden Menschen, auch wenn eine Mehrheit anders denkt. Fest stehen mit der eigenen Musik, dem eigenen Können, wie Singen und Schlagzeug spielen.
BAFF ist ein Jugend-Rockmusik-Projekt in Brandenburg, das 1994 in der evangelischen Kirchengemeinde Joachimsthal seinen Anfang genommen hat.
Jugendliche proben mit erfahrenen MusikerInnen und TänzerInnen und bereiten sich auf Auftritte vor. Das Projekt hat mit Bands und Break-Dance erfolgreich eine Alternative zu rechten Kameradschaften aufgebaut.
Break-Dance Workshop
Dieses Konzept wird auch anderen Kirchengemeinden, Schulen, Jugendgruppen angeboten. Es umfasst Workshops, Bandarbeit, Auftritte bei Festen, Begegnungen mit multinationalen Bands.
Jugendliche spielen Schlagzeug, E-Gitarre, Keyboard, singen, rappen, tanzen, entdecken Talente und lernen voneinander, miteinander und von erfahrenen Musikern. Sie stärken ihr Selbstwertgefühl, lernen fremde Menschen kennen, entdecken Vorbilder und Ziele, die lebenswert sind. Sie begeistern sich, sie kommen wieder.
Schön im Sommer: FreilufttrommelnZiele von BAFF
- Vermitteln von Erfolgserlebnissen und Aufbau von Selbstbewusstsein
- Erkennen der Gleichwertigkeit der Menschen bei aller Verschiedenheit
- Begegnungen mit anderen Bands aus Brandenburg, Berlin, Polen und
anderswo, und damit Abbau von Fremdenfeindlichkeit
- Vermittlung von sozialem Verhalten in der Gruppe (sich selbst in der
Gruppe wahrnehmen und einordnen)
- Umgang mit Ideologien (besonders dem Nationalsozialismus) und
eigene Wertefindung
- Abbau von Gewalt
- Veränderung und Stabilisierung der psycho-sozialen Disposition
von Jugendlichen
- Altersspezifische Fragen sollen verhandelt werden und den
Jugendlichen echte Lebenshilfe gewährt werden
- Sensiblisierung von Wahrnehmung (Gehör, Körperwahrnehmung etc.)
- Hilfe bei Konflikten, Lösungsvorschläge, Beratung
- Förderung der kreativen Potenziale
Wie macht's der Profi-DJ?Das Gemeindepaket
Kirchengemeinden gibt es überall in Brandenburg. Sie sind Wertevermittler. Jede Kirchengemeinde kann etwas tun. Kirchengemeinden haben Räume und Menschen, die helfen wollen. Sie sind öffentliche Träger und können Anträge stellen. Sie haben MitarbeiterInnen und sind in der ländlichen Bevölkerung verankert. Kirche hat den Auftrag, sich für Schwache und Fremde einzusetzen.
BAFF bietet den Gemeinden deshalb ein Paket von Vorschlägen für die Gemeindearbeit vor Ort an, die jede Gemeinde selbst weiterführen kann, und bildet ein Netzwerk von aktiven Kirchengemeinden, die sich für die Wertschätzung aller Menschen vor Gott einsetzen.
BAFF vermittelt - mit Unterstützung des Jugendkulturprojektes Kreuzberger Musikalische Aktion und der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste e.V.:
Organisation von 1- oder 2-tägigen Workshops
z.B. Rockmusik, Rap, Popchor, HipHop, DJ-ing, Break-Dance, Street-Dance, Bauchtanz, Modern Dance, Sketche / Theater u.a.
Vorkenntnisse sind nicht nötig. Die ersten Workshops sind kostenlos.
Teilnahme an Aufführungen
Anschließend an einen mehrtägigen Workshop werden die Ergebnisse öffentlich präsentiert. Das kann in einer Kirche, Schule, auf einer fahrbaren Bühne o.ä. sein.
Aufbau eines eigenen Projektes
- Hilfe bei der Suche nach regionalen Künstlern
- Hilfe bei Antragstellungen
- Ausbildung von Künstlern zu WorkshopleiterInnen
- Allgemeine Hilfestellung und Vernetzung
Gedenkstättenfahrten
Vermittlung von Fahrten nach z.B. Sachsenhausen, Auschwitz, Ravensbrück mit Hilfe von Überlebenden der Lager und der Aktion Sühnezeichen Friedensdienste.
Fahrten ermöglichen Begegnungen
Gefördert von der
Amadeu Antonio Stiftung