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für Engagement
Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Das Internet-Projekt Störungsmelder der ZEIT ist knapp sieben Monate nach seiner Gründung mit einem Online Award des Grimme Instituts ausgezeichnet worden. Das Grimme-Institut begründete die Ehrung wie folgt: "Die hohe Anzahl und die inhaltliche Qualität der Kommentare machen deutlich, dass in diesem Blog ein Thema behandelt wird, über das nach wie vor geredet werden muss. 'Störungsmelder' überzeugt sowohl durch eine hohe Aktualität als auch durch eine intensive Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Debatte. Das Weblog schließt sich dabei nicht populistischen Argumentationen an, sondern bezieht auch selbst Stellung."
Die MUT-Redaktion gratuliert und veröffentlicht einen Gastbeitrag von Christian Bangel, dem Leiter der Störungs-Melder Redaktion. Er hat, als das Internetforum über Neonazis drei Monate alt wurde, für MUT einmal notiert, wie die Neonaziszene auf ein solches Forum reagiert. Hier sein Text über den "Nazi an der Maus":
Von Christian Bangel
"Etwa hundert Tage sind seit dem Start des Störungsmelders vergangen. Und uns geht es gut. Ganz sicher war das vorher nicht. Wer im Kampf gegen Rechtsextremismus auf die Öffentlichkeit setzt, Demonstrationen organisiert, Unterschriften sammelt, kennt dieses ungute Gefühl. Die bohrende Frage, ob sich genügend Unterstützer finden. Oder ob am Ende die Erkenntnis steht, dass viele der Angesprochenen den Nazis gleichgültig gegenüber stehen. In Online-Communitys, wo nur wenige User genügen, um Diskussionen eine ganz neue Richtung zu geben, wird diese Frage auf die Spitze getrieben.
Rechtsextremisten wissen das. Für sie war das Projekt Störungsmelder eine Chance, ihre Wortergreifungsstrategie noch viel effektiver umzusetzen, als das lokal am Ort möglich ist. Welch ein Triumph wäre es gewesen, wenn diese mit großer Medienpräsenz angekündigte Seite von ihnen geentert worden wäre. Wenn gar der Eindruck entstanden wäre, die schweigende Mehrheit stünde hinter ihnen.
Kein Wunder also, dass Rechtsextremisten vom ersten Tag an versuchten, im Störungsmelder präsent zu sein. In einschlägigen Foren verabredeten sie Diskussionsstrategien, bekannte Neonazis verwiesen in ihren Blogs auf die Seite. In den ersten Tagen erlebten wir einige offene Attacken. So schrieb User „Peter“:
“Ich finde es schade, daß das Dritte Reich immer nur in seinen negativen Seiten wahrgenommen wird. Die Aufbruchsbegeisterung, der Stolz, die Freude, das Glück, das damals die Zeit bestimmte - all das wird doch heute nicht mehr wahrgenommen. Stattdessen schauen wir darauf, wie es den 0,2% Juden und 0,1% Kommunisten ging.”
Den meisten Rechtsextremisten war jedoch bewusst, dass sie mit Gepöbel nicht weit kommen würden. So riet in einem Naziforum jemand dem User “Kahlkopf” (der sich über die Löschung seines Beitrags beschwerte): „Outest Du Dich als »einer von uns« wird man Dir nie richtig zuhören und Deine Beiträge einfach als Propaganda aus der rechten Ecke abwerten und ggf. sogar löschen. Besser wäre es, sich zu ihnen zu gesellen, sei einer von ihnen, sei naiv, sei demokratisch, sei systemtreu...”.
Wie aus einschlägigen Veranstaltungen bekannt, nutzten die Neonazis auch bei uns zwei argumentative Hebel. Immer wieder verwiesen sie auf Ausländerkriminalität und Linksextremismus. Vor allem während des Wahlkampfs in Hessen waren sie darum bemüht, sich als Vertreter einer ganz normalen politischen Ansicht inszenieren. Außerdem stellten sie sich häufig als die einzig wahren Demokraten dar, deren Meinung von der „Lizenzpresse“ und den sie vertretenden Moderatoren unterdrückt würde.
Doch den Neonazis gelang es nicht, den Austausch von Meinungen und Informationen über sie dauerhaft zu sabotieren. Dies hatte mehrere Gründe. Schnell fand sich eine Gruppe von Stammnutzern, die die Argumente und Statistiken von Rechtsextremisten zügig widerlegten. Viele rechtsextreme User verloren bald die Lust an detaillierten Beweisführungen. Durch klare Blogregeln zwangen wir die Nutzer, beim Thema Rechtsextremismus zu bleiben. So schlossen wir die für Nazis so wichtigen Diskussionen über die Ausländerkriminalität aus. Wichtig war auch die ständige Betreuung des Blogs durch aufmerksame Moderatoren, denn immer wieder versuchten Rechtsextremisten, mit konzertierten Attacken auf mehrere Threads bestehende Diskussionen zu stören.
Offenbar erschwerte die schriftliche Form des Blogs den Rechtsextremisten die Argumentation. Der erregte Augenblick, den jeder Populist nutzt, ist in einer gut moderierten Blogdiskussion schwerer zu erzeugen und erhalten. In der Hitze einer mündlichen Diskussion ist es recht einfach, von einem Fall von Ausländerkriminalität ausgehend das Ausweisen von Migranten zu fordern. In einem Internetforum dagegen stellt sich schnell heraus, dass die Nazis nicht etwa wegen schlecht funktionierender Integration eine monoethnische Gesellschaft fordern. Sondern, weil ihr rassistisches Weltbild das grundsätzlich vorsieht. In der Schriftform fällt es leichter, den populären Kampfbegriff von der „bedrohten deutschen Kultur“ zu entschlüsseln, während in einer mündlichen Diskussion wichtige Zeit vergeht, bis seine Widersprüchlichkeit erklärt ist. Ein schriftlicher Kommentar dazu kann gedacht und knackig formuliert werden – und bleibt für den Leser trotzdem eine direkte Antwort.
Störungsmelder.org ist eine gut genutzte, stabile Plattform, auf der rechtsextreme Geschehnisse diskutiert werden und auf der über die Ursachen des Rechtsextremismus debattiert wird. Internetcommunitys gegen Rechtsextremismus können funktionieren, ohne von Neonazis überflutet zu werden.
Vor allem für bedrohte Regionen ist das eine gute Nachricht. Dort, wo Aktivisten versprengt und wenige staatliche Institutionen präsent sind, könnten regionale Internetforen helfen, Netzwerke intakt zu halten und Außenstehenden einen Einblick in Aktivitäten der Neonazis geben. Dafür bräuchten kleine Initiativen Unterstützung von bereits bestehenden Onlineportalen. Wir jedenfalls wünschen uns solche Projekte."
MUT wünscht unseren Kollegen beim Störungsmelder (und dem zugehörigen neuen Netz-gegen-Nazis) auch für die Zukunft viel Erfolg und Durchhaltekraft und freut sich auf eine weiterhin fruchtbare Zusammenarbeit! Und Gratulation auch an das Grimme-Institut, das zum dritten Mal in Folge eine Website nominiert hat, die sich mit dem Thema Rechtsextremismus auseinandersetzt. 2006 war dies www.mut-gegen-rechte-gewalt.de und 2007 www.npd-blog.info. Solche Ermutigung ist gerade für solche kleinen Redaktionen von ganz erheblichem Wert.
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Holger Kulick