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10 Jahre Amadeu Antonio Stiftung

Vor 10 Jahren wurde in Berlin die Amadeu Antonio Stiftung gegründet - um kleine Initiativen für Zivilgesellschaft und demokratische Kultur zu ermutigen, zu beraten und zu fördern. Auf einer Pressekonferenz im Deutschen Bundestag zog die Stiftung am 19.11.  Bilanz: Was hat sich verändert? Was ist (immer) noch zu tun? Lohnt all das Engagement überhaupt?

Von Holger Kulick

Die Frage an den Gastgeber musste ja kommen: Wieso er vor zehn Jahren Schirmherr der Amadeu Antonio Stiftung geworden sei, wurde Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse gleich zu Anfang der Pressekonferenz gefragt, die in einem Konferenzsaal des Bundestags stattfand.  Er habe „nicht glauben wollen, dass Rechtsextremismus und Ausländerfeindlichkeit der Preis für die Wiedervereinigung sein sollten“, antwortete Thierse.  Deshalb sei es für ihn "selbstverständlich" gewesen, sich auf diesem Feld zu engagieren und Initiativen wie der Amadeu Antonio Stiftung zu „kontinuierlicher Aufmerksamkeit für ihre gesellschaftspolitisch wichtige Arbeit zu verhelfen“.

Unter den Projekten der Stiftung habe ihm besonders die Aussteigerinitiative EXIT und der Opferfonds Cura, ein Hilfsfonds für Opfer rechter Gewalt imponiert, denen er mehr Unterstützung wünsche – und der Stiftung „wohlmögende Spender“ für eine Kapitalerhöhung. Als er vor einigen Jahren gewarnt habe, das Problem des Rechtsextremismus und Rassismus setze sich in der Mitte der Gesellschaft fest, sei die Reaktion Empörung gewesen, vor allem seitens der CDU. Das sei heute gänzlich anders. In den zehn Jahren seitdem sei „das Problembewusstsein für Rechtsextremismus zwar gewachsen, das Problem allerdings nicht kleiner geworden“, denn der Rechtsextremismus sei „bürgerlicher“ geworden und nicht mehr an einer Glatze erkennbar.

Genau dies sei die Herausforderung für die Gesamtgesellschaft, in der sich auch Unternehmer nicht mehr verstecken sollten. Denen sei jedoch „Demokratie zu politisch“ habe ihr einmal ein Industrievertreter geantwortet, den Anetta Kahane um Unterstützung bat.

Wolfgang Thierse und Anetta kahane
Wolfgang Thierse und Anetta kahane

Die Vorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung (r.) zog eine zwiespältige Bilanz. Es sei ein "sehr großer Erfolg", dass in Städten wie Hoyerswerda und Eberswalde kaum noch organisierte Aktivitäten von Neonazis möglich seien, allerdings gebe es "noch eine Menge zu tun". In einem Jahr, in dem deutschlandweit fünf Menschen von Rechtsextremisten getötet wurden, sei es schwer, eine positive Bilanz zu ziehen.

Kahane sagte, vor zehn und auch noch fünf Jahren habe es als "unfein" und "linksextremistisch" gegolten, überhaupt von Problemen mit Neonazis zu sprechen, obwohl sie jeder mit offenen Augen wahrnehmen konnte.  Das habe sich mittlerweile geändert. Aber es sei "harte Arbeit",  Bürger, Politiker und Behörden auch dazu zu bewegen, zusammenzuarbeiten.  Ein Negativbeispiel sei die abschätzige Reaktion der Dresdner CDU auf den Aufruf zum "Gehdenken" in Dresden am 14. Februar, wenn dort mehrere tausend Neonazis aufmarschieren wollen. Bei der dortigen Kranzniederlegung am Vortag seien mittlerweile mehr Vertreter der rechten Szene anwesend als Bürger, die um verstorbene Angehörige trauerten. Das sei "für Demokraten" nicht länger hinnehmbar.

Die Unterstützung durch die Amadeu Antonio Stiftung sei für zahlreiche Projekte existenzermöglichend und lebensrettend gewesen, um überhaupt an die Öffentlichkeit treten zu können, berichtete Friedemann Bringt (l.) vom Kulturbüro Sachsen. Kleinspenden in Höhe von oftmals nur 500 oder 1000 Euro erwiesen sich nützlich wie kleine "Mikrokredite".

Friedemann Bringt und Jörn Menge
Friedemann Bringt und Jörn Menge

Jörn Menge (r.), der in Hamburg die Kampagne "Laut gegen Nazis" leitet, berichtete von einem "steigenden Alltags-Rassismus". Gleichzeitig rief er die Wirtschaft dazu auf, Initiativen gegen Rechts stärker zu unterstützen. Als er kürzlich bei 200 Unternehmen um Geld warb, habe die Erfolgsquote bei 0,5 Prozent gelegen. Eine Gastronomen-Umfrage habe ergeben, dass 60 Prozent von ihnen Rassismus an ihren Kneipentischen zu hören bekämen. Dagegen mache jetzt eine Gastronomenoffensive mobil - ebenfalls unterstützt von der Amadeu Antonio Stiftung.


Anlässlich ihres zehnjährigen Bestehens gibt die Stiftung eine Zeitung heraus - hier für Sie kostenlos zum Downloaden:
"Ermutigen" (PDF, 1.917 KB)

Hier erfahren Sie mehr über 10 Jahre Engagement für Demokratie:
www.amadeu-antonio-stiftung.de/10-jahre  

Logo 10 jahre amadeu antonio stiftung
Logo 10 jahre amadeu antonio stiftung

Seit ihrer Gründung 1998 ist es das Ziel der Amadeu Antonio Stiftung, eine demokratische Zivilgesellschaft zu stärken, die sich konsequent gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus wendet. Benannt ist sie nach dem Angolaner Amadeu Antonio Kiowa, der 1990 als einer der ersten Ausländer nach der Wende in Deutschland, nachts in Eberswalde von einem Mob erschlagen worden war.

Der in ihrer Satzung festgeschriebene Siftungszweck heißt. "Die Amadeu Antonio Stiftung dient der Förderung der Erziehung, Volks- und Berufsbildung, der Förderung der Jugendhilfe sowie der Förderung der internationalen Gesinnung, der Toleranz und des Völkerverständigungsgedankens.... Darüber hinaus soll sich die Stiftung die Dokumentation und Vermittlung von demokratischer Kultur und von Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Jugendgewalt zum Anliegen machen". Zu diesem Zweck unterstützte sie in den vergangenen 10 Jahren 340 lokale Initiativen und Projekte mit 2,57 Mio Euro in den Bereichen Jugend und Schule, Opferschutz und Opferhilfe, alternative Jugendkultur und Kommunale Netzwerke. Dazu kommen 120 Projekte, die aus Mitteln der stern-Aktion Mut gegen rechte Gewalt gefördert werden, allen voran die Aussteigerinitiative für Rechtsextreme, EXIT-Deutschland.

Das Ziel: Eigeninitiative vor Ort stärken


Als besonders wichtige Aufgabe betrachtet es die Stiftung, Projekte über eine finanzielle Unterstützung hinaus zu ermutigen, ihre Eigeninitiative vor Ort zu stärken und sie zu vernetzen. Die Amadeu Antonio Stiftung unterhält außerdem den Opferfonds CURA, der für Opfer rechter Gewalt eine schnelle und unkomplizierte Hilfe darstellt. Außerdem gehört zur Stiftung seit fünf Jahren diese Website - www.mut-gegen-rechte-gewalt.de, deren Redaktion seit zwei Jahren auch den Internetauftritt der Bundeszentrale für politische Bildung, www.bpb.de/rechtsextremismus mitbetreut. Dazu kommen Forschungsprojekte zum Beispiel über Antisemitismus(bekämpfung) im Alltag. Daraus hervor ging auch eine überaus erfolgreiche Wanderausstellung über verschwiegenen Antisemitismus in der DDR, die derzeit an mehreren Orten in Deutschland gezeigt wird. Schüler haben sie erarbeitet.

Eins der erfolgreichsten mitangestoßenen Projekte seit Gründung der Stiftung ist die Aktion Zivilcourage in Pirna, der es einfallsreich gelang für einen spürbaren Klimawandel weg vom rechtsextremen Mainstream in der Sächsischen Schweiz zu sorgen. Eins der jüngsten Projekte ist "Lola für Lulu" in Ludwigslust, um dort gemeinsam mit Mädchen und Frauen Alternativen zum Einstieg in die rechtsextreme Szene zu entwickeln. Eine Reihe weiterer lokaler Projekte wird im Rahmen einer Kooperation mit der Ford Foundation unter dem Namen "Living equality" gefördert - gelebte Gleichheit, um Rezepte gegen 'gruppenorientierte Menschenfeindlichkeit' zu entwickeln.

Bei der PK
Bei der PK

Kongress am 1. Dezember

Zum zehnjährigen Jubiläum der Stiftung wird am 1. Dezember im Berliner Centrum Judaicum einen Kongress über Demokratie und Zivilgesellschaft veranstaltet. Über die dringende Notwendigkeit weiterer Arbeit gegen Rechtsextremismus gibt auch die aktuelle Polizeistatistik Auskunft. Die offiziell registrierte Zahl rechtsextrem motivierter Straftaten betrug von Januar bis September 2008 mindestens 15.280 rechte Delikte, das entspricht laut BKA-Chef Zielke Anfang November auf einer Pressekonferenz in der Amadeu Antonio Stiftung einer Zunahme von 8,9%. Neben den zahlreichen Propagandadelikten wurden annhähernd 800 Gewalttaten registriert.

Insbesondere in Sachsen ist die Zahl solcher Straftaten emporgeschnellt. Nach Angaben des dortigen Innenministeriums gab es in den ersten neun Monaten dieses Jahres rund 1800 Straftaten mit rechtem Hintergrund. Im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sei das ein Anstieg um knapp 20 Prozent. Deswegen wurde dort auch die polizeiliche 'Sonderkommission Rex' wieder um 12 auf insgesamt 30 Polizisten aufgestockt – doch was geschieht zusätzlich im zivilgesellschaftlichen Sektor?

Genau dies ist die Aufgabe, der sich die Amadeu Antonio Stiftung seit ihrer Gründung vorbildlich stellt. Für Wolfgang Thierse bleibt die Stiftung auch in Zukunft "ein wichtiger Mutmacher" und eine Stimme, die "laut und intelligent der schleichenden Gewöhnung an den Ungeist und die Untaten der Nazis heftig widerspricht". Für Anetta Kahane bleibt zentrales Ziel "die Förderung einer demokratischen Kultur in Deutschland, die Rechtsextremismus, Altagsrassismus und Antisemitismus überwindet". Die Hürden dazu seien allerdings "immens hoch", denn "verdrängen, beschuldigen und sich selbst nicht für zuständig zu erklären, hat bedauerlicherweise eine lange Tradition", so die von Neonazis vehement angefeindete Stiftungschefin.

"Beispielhaftes" - eine neue Serie der MUT-Redaktion

Bis zum 1. Dezember portraitiert die MUT-Redaktion itäglich ein beispielhaftes Projekt, das von der Amadeu Antonio Stiftung gefördert wird oder von ihr unterstützt worden ist. Den Anfang macht das Projekt Bunte Platte in Leipzig. Mehr über die Arbeit der Stiftung und ihre Förderrichtlinien unter www.amadeu-antonio-stiftung.de.


www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / hkulick unter Verwendung von dpa und ddp.  Fotos: Kulick

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Alle teilnehmer am Tisch der Pressekonferenz