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Wer sind die Salafisten eigentlich? Und was wollen sie? Entscheidend ist vor allem: Ruhe bewahren. Populistische Panikmache wie das Gerede vom »Religionskrieg« ist nur Wasser auf die Mühlen der Salafisten – einen größeren Gefallen kann man ihnen gar nicht tun.
Von Jochen Müller
Frau Merkel sei gewarnt, verkündete der salafistische Prediger Abu Abdullah Anfang Mai im Rahmen einer Demonstration in Köln: Deutsche Bürger seien in arabischen Staaten nun nicht mehr sicher... Mit dieser dubiosen Drohung versuchte Abu Abdullah den Eindruck zu erwecken, dass die islamische Welt auf Deutschland schaue, weil hier Muslime diffamiert und unterdrückt würden. Nur allzu gern möchte er ein Szenario wie beim Karikaturenstreit im Jahr 2006 heraufbeschwören. Tatsächlich hatte ja die rechtsextreme Pro-NRW-Bewegung dazu aufgerufen, Karikaturen vom Islam und seinem Propheten anzufertigen, um sie vor Moscheen zu präsentieren und auf diese Weise zu provozieren.
Doch in der arabisch-islamischen Welt kümmerte sich im Jahr 2012 kein Mensch um die Pro-NRW-Karikaturen. Und auch die vier Millionen deutschen Muslime fielen weder auf die Propaganda von Rechts- noch auf die von Islamextremen herein. So blieben die Salafisten trotz aller Mobilisierung im Internet unter sich. Mehr noch: Von der ohnehin kleinen Szene der laut Verfassungsschutz rund 4.000 salafistischen Islamisten in Deutschland spaltete sich im Zuge der Auseinandersetzungen um Koranverteilungen und Karikaturen in den vergangenen Wochen ein Flügel von ein paar hundert Militanten ab. Sie waren es, die durch Angriffe auf PolizistInnen für viel mediale Aufmerksamkeit sorgten.
Die Gesellschaft islamisieren
Wer sind die Salafisten eigentlich? Und was wollen sie? Salafisten heißen sie nach dem arabischen Wort salaf für Altvordere, worunter die ersten Gefährten des Propheten Muhammad und deren Nachfolger verstanden werden. Sie sind fundamentalistische Muslime, denn als Regelwerk für sämtliche Fragen menschlichen Zusammenlebens lassen sie allein den Wortlaut des Koran und der Überlieferungen vom Propheten Muhammad (sunna) gelten. »Menschengemachte« Gesetze lehnen sie ab. Dass die religiösen Quellen interpretiert werden müssen, leugnen sie und erheben ihr Islamverständnis zum einzig wahren.
Vor diesem Hintergrund sind es zunächst andersdenkende und -lebende Muslime, auf die die sunnitischen Salafisten es abgesehen haben und die sie mitunter zu Ungläubigen erklären (takfir). Der radikalste Zweig des vor allem aus Saudi-Arabien weltweit ideologisch und materiell geförderten Salafismus befürwortet Gewalt und Terror zur – wie sie sagen – Verteidigung des Islam, den sie durch den »Westen« und etwa in Afghanistan bedroht sehen. In Deutschland treten Salafisten seit etwa sieben Jahren in Erscheinung. Vorbildern aus den USA und Großbritannien nacheifernd, begannen einzelne Prediger durch die Moscheen verschiedener Städte zu ziehen, Vorträge auf deutsch zu halten und diese dann ins Internet zu stellen. Zu nennen wären Hassan Dabbagh aus Leipzig, der Berliner Abdul Adhim und Abu Jibriel aus Wuppertal. Inzwischen sind etwa zwanzig salafistische »Wanderprediger« in Deutschland unterwegs. Ihre Mission ist es, den Islam – so wie sie ihn sehen – zu verbreiten und die Gesellschaft zu islamisieren. Dazu sollten auch die Koranverteilungen in einigen Städten dienen.
Dabei ist ihr Welt- und Islamverständnis patriarchal und antiliberal. Es kennt nur richtig und falsch, gut und böse, islamisch und unislamisch oder halal und haram (islamisch erlaubt bzw. verboten, im allgemeinen Sprachgebrauch oft auch im Sinne von »tabu« verwendet.). Es ist von der Forderung nach Gehorsam und Unterwerfung unter den vermeintlichen Willen Gottes geprägt, den salafistische Prediger genau zu kennen und zu vertreten vorgeben. So legen sie unter Berufung auf religiöse Quellen und einzelne Gelehrte genauestens fest, wie Männer und vor allem Frauen sich zu kleiden haben, was man essen, trinken und was man sagen und denken darf und was nicht. Wer sich daran hält und gehorcht, wird, so versprechen sie es, mit dem Paradies belohnt – allen anderen drohen sie mit der Hölle. Salafisten sind also antidemokratisch nicht erst, wenn sie Gewalt legitimieren und anwenden, sondern auch in ihrem absoluten Wahrheitsanspruch, der Forderung nach Gehorsam, dem Verstoß gegen Gleichheitsgrundsätze, der Diffamierung Andersdenkender sowie der Ablehnung von Pluralismus, Parteien und Parlamenten.
Vorrangige Zielgruppe salafistischer Propaganda sind Jugendliche und junge Erwachsene. Viele von ihnen sind nicht zuletzt vor dem Hintergrund der kritischen Islamdiskurse in Politik und Medien in den vergangenen Jahren verstärkt auf der Suche nach Wissen über ihren Glauben. Dieser ist – auch als Trotzreaktion – ein zunehmend wichtiger Bestandteil der Identität vieler muslimischer Jugendlicher geworden, und zwar unabhängig davon, wie religiös sie eigentlich sind. Weil Imame und Eltern ihnen aber auf der Suche nach Informationen, die ihren Lebenswelten entsprechen, oft keine überzeugenden Angebote machen können, landen Jugendliche im Internet, bei »Scheich Google« und damit bei den Salafisten, die das Netz mit ihren Angeboten dominieren.
Zwar sind den allermeisten muslimischen deutschen Jugendlichen die Salafisten peinlich. Ihnen ist unangenehm, dass diese bizarren Figuren das Bild des Islams in der Öffentlichkeit so stark prägen. Dennoch erfahren Salafisten Zuspruch unter vornehmlich männlichen, allerdings auch vielen, öffentlich aber fast nur in einzelnen Moscheen oder im Internet in Erscheinung tretenden weiblichen Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen 15 und 35. Diese finden hier, was viele von ihnen in ihrem Alltag vermissen: Anerkennung, Zugehörigkeit, Gemeinschaft (oftmals virtuelle) und ein Gefühl von Stärke – oder pädagogisch gesprochen: Selbstwirksamkeit. All das gilt insbesondere auch für die große Zahl der erst zum Islam konvertierten jungen Salafisten deutscher Herkunft, die den Salafismus in Deutschland stark prägen und die vielfach brüchige und schwierige Biografien aufweisen.
Panikmache auf beiden Seiten
Und noch etwas spielt bei der Attraktivität des Salafismus für junge Menschen eine wichtige Rolle: Die Möglichkeit, gegen gefühlte und erfahrene Ohnmacht, Ungerechtigkeit und Diskriminierung protestieren und sich für eine vermeintlich gerechte Sache einsetzen zu können. Denn das ist ein Hauptargument salafistischer Propaganda: bestehende Diskriminierungen von Muslimen zuzuspitzen und diese ideologisch zu instrumentalisieren. So erklärte der Kölner Pierre Vogel, der bekannteste deutsche salafistische Prediger, dass der nächste Holocaust den Muslimen drohe. Er schloss die Aufforderung an, die Muslime müssten sich gegen eine ihnen feindlich gesonnene Umwelt in ihrem Glauben eng zusammenschließen.
Deutlich wird daran auch, dass die Attraktion, die vom Salafismus und seinen Predigern ausgeht, ganz von dieser Welt ist: Orientierung, Gemeinschaft, Anerkennung, Überlegenheit, Protest gegen Ungerechtigkeit sowie Provokation. Das sind allesamt Angebote, die typischen Bedürfnissen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen entsprechen. Für manch einen Jugendlichen mag der Salafismus sein, was für andere einmal Punk gewesen ist – eine Attitude maximaler Abgrenzung: Alle schauen auf mich, alle halten mich für gefährlich. Auf diese Weise erfahren sie das, wonach sie am meisten suchen: Aufmerksamkeit. Hinzu kommen der absolute Wahrheitsanspruch der Salafisten sowie die extreme Abgrenzung von der pluralistischen, oder – wie sie sagen – verkommenen, dekadenten und materialistischen Welt, die anziehend wirken können. Mit dem Islam als Religion hat das kaum noch etwas zu tun. Vergleichbare Motive sind es denn auch, die Jugendliche dazu führen können, sich rechtsextremen Milieus anzuschließen.
So drängt sich die Frage auf, wie dieser Strömung und ihrer Ideologie zu begegnen wäre? Zunächst einmal: Ruhe bewahren. Populistische Panikmache wie das Gerede vom »Religionskrieg« ist nur Wasser auf die Mühlen der Salafisten – einen größeren Gefallen kann man ihnen gar nicht tun. Das gilt auch für die Forderungen nach Verboten: Es gibt nur wenige Strukturen und Einrichtungen in der Szene, die sich überhaupt verbieten ließen – ganz abgesehen von den juristischen Voraussetzungen, die das erforderte. Außerdem dürften die überdrehten Reden, das uncoole Äußere und die militanten Auftritte des radikalen Flügels der Salafisten von ganz alleine zu Spaltungen innerhalb der Szene sorgen und bewirken, dass sie noch mehr an Einfluss unter »normalen« Jugendlichen verlieren. Zu diesem Flügel zählen etwa der österreichische Prediger Abu Uthama al-Gharib (»der Merkwürdige«, wie ihn der Leipziger Imam Hassan Dabbagh, selbst ein Salafist der ersten Stunde, inzwischen in einem Internetvideo ironisch tituliert), der besagte Abu Abdullah oder der ehemalige Rapper Deso Dogg.
Trotzdem sollte man die Salafisten auf keinen Fall bagatellisieren: Weil auch die »moderaten« unter ihnen antidemokratische Positionen verbreiten, weil sie die Lebenswege von Jugendlichen und jungen Erwachsenen massiv beeinflussen, weil sie ein negatives Bild vom Islam in der Öffentlichkeit befördern, und auch weil Einzelne in ihrer ideologischen Verblendung zu Attentätern werden können.
Islam gegen Islamismus?
Zur Minimierung der Attraktivität des Salafismus beitragen könnte zunächst ein öffentlicher Diskurs, der die Selbstverständlichkeit des Islam in Deutschland und deutscher Muslime ohne Wenn und Aber herausstellt. Insbesondere die Jugendlichen und jungen Erwachsenen unter ihnen – gleich ob sie religiös sind oder nicht – sollten nicht durch beständige Vorhaltungen und Vorbehalte in eine Verteidigungshaltung und zur Selbstbehauptung gezwungen werden. In vielen Fällen führt das erst in die Isolierung und kann einige anfällig für radikale Ideologien machen.
Dazu müssen auch die in Politik und Medien ständig wiederkehrenden Rückschlüsse von radikalen Überzeugungen und traditionalistischen Lebensformen auf »den Islam« und »die Muslime« aufhören. Zum einen, weil auf diese Weise Muslime und MigrantInnen in Diskussionen um Islamismus, Gewalt, Geschlechterrollen oder Ehrenmorde unter Generalverdacht gestellt werden. Zum anderen, weil diese Gleichsetzung von Islamismus, Traditionalismus und Islam genau der fundamentalistischen Ideologie der Salafisten folgt, die es glänzend verstehen, sich selbst als Vertreter »der Muslime« zu stilisieren.
Hier sind aber auch muslimische Verbände, Einrichtungen, Theologen sowie (muslimische wie nichtmuslimische) PädagogInnen gefragt: Viel zu sehr überlassen sie noch solchen Stimmen das Feld, die fundamentalistische und traditionalistische Positionen zum »wahren Islam« erklären. Demgegenüber ginge es darum, Jugendlichen, die das wollen, ein lebensweltorientiertes Verständnis ihrer Religion zu vermitteln, das von Werten wie Toleranz, Nächstenliebe oder sozialer Gerechtigkeit geprägt ist, die auch im Islam zuhause sind. Auf diese Weise können Jugendliche und junge Erwachsene, denen ihr Glaube wichtig ist, gegen die Verlockungen des salafistischen Fundamentalismus immunisiert werden.
Der Text erscheint hier mit freundlicher Genehmigung des Autors und des iz3w, das den Text in der Ausgabe Nr. 331 veröffentlichte. Der Artikel erschien außerdem in den Blättern für deutsche und internationale Politik.
Jochen Müller ist Islamwissenschaftler und Mitbegründer des Berliner Vereins ufuq.de, der sich mit Islam und islamischen Jugendkulturen in Deutschland sowie der Islamismusprävention beschäftigt. Er ist Mitautor der Broschüre »Ich lebe nur für Allah. Argumente und Anziehungskraft des Salafismus« (www.zentrum-demokratische-kultur.de).