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Bundesinnenminister Friedrich und der Springer-Verlag verdrehen eine wissenschaftliche Studie und schüren den Hass gegen Muslime in Deutschland. Augenscheinlich wurde nur nach einer Gelegenheit gesucht, nach Wochen, in denen die Öffentlichkeit über rechten Terror sprach, endlich zu den vermeintlich wahren Problemen zurückzukehren.
Von Marion Kraske
Die BILD-Zeitung, mal ganz nett formuliert, steht nicht eben für seriösesten Journalismus. Auch wenn der smarte Berlin-Chef des bunten Blättchens bei seinen Auftritten in den unzähligen Talk-Shows in den vergangenen Wochen eben dies immer wieder unter Beweis stellen wollte: Es habe keine Kampagne gegen den damaligen Bundespräsidenten Wulff gegeben. Und selbstverständlich habe man nur ganz honorige Ziele verfolgt. Und nein, man habe natürlich zu keiner Zeit aus taktischen Gründen nur häppchenweise Informationen lanciert, um einerseits die Auflage über Wochen mit fetten Schlagzeilen hochzutreiben und das Katz-und-Maus-Spiel mit den Unzulänglichkeiten des Präsidenten schööööön in die Länge zu ziehen und daraus Profit zu schlagen.
Da die Unzulänglichkeiten des Christian Wulff nunmehr auch die Staatsanwaltschaft interessiert, stand das hässliche Springer-Entlein dann aber doch ausnahmsweise mal auf der richtigen Seite. Geschenkt.
Vergangene Woche führte BILD jedoch neuerlich vor, was nach wie vor ihre eigentliche Stärke ist: Hetze betreiben. Die Rezepte sind einfach: Man nehme eine Minderheit, dazu eine wissenschaftliche Studie, reiße einzelne Ergebnisse hübsch aus dem Zusammenhang, spitze sie so zu, dass selbst die Autoren der Studie erschrocken sind und verbreite den wüsten Inhalt mit fetten Lettern und Totschlagschlagzeilen wie „Schock-Studie“. Danach würden „gut 20 Prozent aller Muslime in Deutschland eine Integration ablehnen. Besonders radikal sind junge Muslime ohne deutschen Pass“.
Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich zeigte sich auf BILD-Nachfrage denn auch gleich ganz fürchterlich besorgt über die alarmierenden Ergebnisse der Studie. Kampagne erfolgreich gesetzt.
Besorgt zeigt sich seither aber auch einer der maßgeblichen Autoren, Prof. Dr. Klaus Boehnke von der Jacobs University Bremen, der die Studie “Lebenswelten junger Muslime in Deutschland” mit verfasst hat. Völlig zu unrecht, so Boehnke auf CICERO Online, rücke die BILD-Zeitung die Radikalität junger Muslime in den Mittelpunkt. Dieser Aspekt sei angesichts der umfassenden Forschungsergebnisse von randständiger Wichtigkeit. „Man hat das viertelleere Glas dargestellt und nicht das dreiviertel volle“, so Boehnke.
Am Gesamtbild, wonach Muslimen eine gute Integrationsbereitschaft bescheinigt wird, hat BILD selbstverständlich kein Interesse. Aus der Tatsache, dass der weitaus größte Teil entweder bereits integriert oder offen für Integration ist lässt sich ja auch keine Hammer-Schlagzeile stricken. Wie durchsichtig BILD agiert, beweist nicht zuletzt, die Tatsache, dass der Begriffl “Integrationsverweigerer” in der Studie selbst kein einziges Mal auftaucht.
Irritiert zeigt sich Wissenschaftler Boehncke auch darüber, wie das Ganze an die BILD lanciert wurde. Die Studie sei noch nicht veröffentlicht worden, es habe offenbar einen Tipp aus dem Ministerium gegeben, mutmaßt der Forscher. Und so lässt sich auf eine etwas unschöne Kooperation zwischen Ministerium und Springer-Blättchen schließen.
Innenminister Friedrich, der die Studie quasi von seinen Vorgängern im Amt geerbt hat – in Auftrag gegeben wurde sie von Wolfgang Schäuble – nahm die BILD-Berichterstattung denn auch gleich zum Anlass, vor einer Radikalisierung junger Muslime zu warnen. Deutschland, so sagte er, werde „den Import autoritärer, antidemokratischer und religiös-fanatischer Ansichten nicht akzeptieren. Wer Freiheit und Demokratie bekämpft, wird hier keine Zukunft haben – dies klarzumachen, ist die Aufgabe eines jeden.“ Man könnte hinzufügen: Eines jeden Populisten.
700 Seiten stark ist die Studie dick, doch ausgerechnet die Radikalität ist der politische Extrakt, den BILD und der zuständige Minister daraus ziehen. Für Wissenschaftler Boehnke steht fest, dass Friedrichs Umgang mit der Studie unlauter ist. Von völligen Verfälschungen ist die Rede, von gezielter Stimmungsmache.
Schlaflose Nächte hätten Boehnke und seine Kollegen angesichts der verzerrenden Darstellungen verbracht. Friedrich benutze die Studie, „um dem bayerischen Stammtisch sowie Sarrazin und seinen Befürwortern nach dem Munde zu reden. Er will den rechten Rand binden. Die Studie interessiert ihn eigentlich überhaupt nicht“, so das Fazit des Forschers. Eine Ohrfeige sondergleichen Die Wissenschaft wehrt sich gegen die Instrumentalisierung ihrer Arbeit.
Es ist unerträglich: Kaum ist die Feierstunde für die zehn Opfer des rechten Terrors vorüber, kaum hat die Kanzlerin den Familien signalisiert, dass Deutschland aus den Morden, begangen durch die Zwickauer Terrorzelle NSU mit ihrem weit verzweigten Helfernetz, gelernt habe, schürt ein Minister ihres Kabinetts gezielt den Hass auf Muslime. Anders ist die punktuelle Herauslösung derart verkürzter Sachverhalte aus einer komplexen Studie nicht zu interpretieren. Augenscheinlich sucht das Innenministerium nach einer Gelegenheit, wie man nach Wochen, in denen die Öffentlichkeit über rechten Terror sprach, endlich zu den vermeintlich wahren Problemen zurückkehren konnte – denen mit Ausländern. Populismus in Reinkultur.
Will Merkel, wie angekündigt, den Kampf gegen rechte Gesinnungstäter führen, muss sie diese auch in den eigenen Reihen zurückpfeifen. Es darf nicht sein, dass die überwiegende Integrationsleistung einer Mehrheit negiert, dafür aber Probleme mutwillig aufgebauscht werden, zudem Wissenschaft missbraucht wird, um xenophobe Stimmung zu schüren. Die ungerechtfertigte und unausgewogene Muslim-Bashing a la Sarrazin und Friedrich ist keine geeignete Prävention gegen rechten Extremismus. Ganz im Gegenteil, es liefert den gefährlichen Nährboden. Und BILD liefert mit.
Marion Kraske, studierte Politologin, ist freie Journalistin, Kolumnistin und Buchautorin. In ihrem 2009 erschienenen Buch „Ach Austria. Verrücktes Alpenland“ (Molden-Verlag) zeigt Kraske unter anderem die Problematik des geistigen Rechtsextremismus in Österreich auf. Sie ist außerdem Gründerin des Polit-Blogs www.debattiersalon.de.