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„…werden auch wir verdächtigt“?

Aufgrund der Diskussion um die „Extremismusklausel“ haben die Kreuzberger Kiezagenten einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesfamilienministerin Kristina Schröder und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich geschrieben.

Die Kreuzberger Kiezagenten sind Jugendliche, die sich in einem Projekt, das im Rahmen des Programms des Bundesfamilienministeriums „Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie" gefördert wurde, für Kreuzberger Jugendliche engagieren und sie ermutigen, selbst Projekte gegen Rassismus und Antisemitismus umzusetzen. Aufgrund der „Extremismusklausel“, die Bedingung für zukünftige Förderung der Bundesprogramme werden soll, schrieben sie einen offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel, Bundesfamilienministerin Kristina Schröder und Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich.


Offener Brief der LAP Kiezagenten Berlin-Kreuzberg zur „Extremismusklausel“

Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel,
sehr geehrte Frau Bundesministerin Dr. Kristina Schröder,
sehr geehrter Herr Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich,

wir sind Jugendliche aus Berlin-Kreuzberg und leben am Mehringplatz, einem sogenannten „sozialen Brennpunkt“ in Kreuzberg. Seit letztem Jahr engagieren wir uns bei der Förderung und Umsetzung von kleinen Projekten für bessere Möglichkeiten in unserem Kiez und Bezirk für „Vielfalt, Toleranz und Demokratie- gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“.

Als ausgebildete Kiezagenten haben wir andere Jugendliche im öffentlichen Raum, in Schulen und Jugendeinrichtungen sowie Sozialpädagogen/ Erzieher angesprochen und diese ebenfalls mit den Inhalten und Zielen des Lokalen Aktionsplans Friedrichshain-Kreuzberg vertraut gemacht und sie über die Möglichkeit, Projekte schnell und einfach umzusetzen, informiert und beraten. Darüber hinaus haben wir auch ein Projekt beantragt und erfolgreich umgesetzt.

Bisher sind wir noch nie in Berührung mit solchen Projekten und deren Umsetzung gekommen. Das war Neuland für uns. Aber durch die ganze Arbeit haben wir mit sozialpädagogischer Anleitung gelernt, wie man auf fremde Menschen zugeht, ohne sich zu schämen und wie wir - in selbst gewählten Teams - andere Jugendliche ansprechen und für die Projektidee begeistern können. Während der Gespräche und Diskussionen mit den Jugendlichen und Erwachsenen haben wir Denkprozesse in Gang gesetzt und Vorurteilen entgegengewirkt. Und das auf beiden Seiten. Denn auch Erwachsene haben ab und zu Vorurteile gegenüber Jugendlichen mit Migrationshintergrund und sind dann plötzlich ganz überrascht, dass man sich ganz normal mit uns unterhalten kann.

Aber auch wir als Kiezagenten haben dazu gelernt. Uns hat dieses Projekt persönlich viel gegeben. Nicht nur dass wir unser Engagement mit in unsere Bewerbungen legen können und uns das dann noch mehr hilft, eine Ausbildungsstelle zu bekommen, sondern es hat uns großen Spaß gemacht und wir haben das Gefühl bekommen, etwas bewegen zu können.

Im Gegensatz zu der „Extremismusklausel“ ging und geht es in unserer Arbeit als Kiezagenten um Vertrauen und den unvoreingenommenen Kontakt zu den Jugendlichen in Kreuzberg. Wir können doch keinen untersuchen oder ausspitzeln und sagen „…Du darfst und Du darfst nicht. Ich glaube, Du bist ein Extremist…etc.“. Das geht doch nicht. Dann will doch keiner mehr mit uns arbeiten, wenn er weiß, dass wir ihn von vornherein beschuldigen, dass er/sie extremistische Strukturen unterstützt, obwohl das in den meisten Fällen bestimmt nicht so ist. Oder besser noch „…werden auch wir verdächtigt“? Wir haben nichts zu verheimlichen, aber was ist das denn für ein Arbeiten ohne Vertrauen?

Wir als Kiezagenten haben das gleiche Ziel wie die Jugendlichen, die die Projekte im Kopf haben und umsetzen wollen. Wir wollen damit Entwicklungen anschieben, Demokratie und Toleranz fördern und die einzelnen Talente der Jugendlichen in Kreuzberg stärken und auch ihnen das Gefühl geben, etwas bewegen zu können.

Wir haben 2010 die Projekte gefördert und eine gute Arbeit gemacht. Es ist alles gut gelaufen und wir sind uns sicher, dass es dieses Jahr 2011, im Sinne von „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“, genauso gut läuft. Wir möchten uns auch dieses Jahr unbedingt für diese Themen engagieren. Dazu brauchen die jugendlichen Antragsteller unser Vertrauen und wir brauchen das Vertrauen der PolitikerInnen.

Wir als Kiezagenten bitten Sie daher und fordern Sie auf:

dass die Unterschrift für die Demokratieerklärung nicht zur Bedingung für eine Förderung aus dem Bundesprogramm wird und dass die Absätze 2 und 3 ersatzlos gestrichen werden.

Mit freundlichen Grüßen,


Kevin Idah (18), Ayman Ben Salah (18), Habib Hamad (18), Ali El-Chafei (15)

Foto: von StaneStane via Flickr, cc

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Kreuzberg
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