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Die Diskussion um die „Extremismusklausel“ geht weiter. Das Bundesfamilienministerium hat ein weiteres Rechtsgutachten angefordert. Auch dieses bezeichnet die Klausel als „interpretationsbedürftig“. Außerdem zeigt es die Abhängigkeit der deutschen Zivilgesellschaft von staatlichem Wohlwollen.
Von Nora Winter
Nachdem bekannt wurde, dass bei zukünftigen Förderungen durch das Bundesfamilien und –innenministerium eine Klausel unterschrieben werden sollte, in der begünstigte Initiativen sich zum Grundgesetz bekennen und auch ihre Partner auf Grundgesetztreue überprüfen, entbrannte eine lebhafte Debatte. Mehrere Rechtsgutachten wurden angeforderten und sollten die Verfassungsmäßigkeit der „Extremismusklausel“ überprüfen. Nun hat auch das Bundesfamilienministerium ein Gutachten angefordert. Und selbst dieses, verfasst von Prof. Dr. iur. Fritz Ossenbühl, bestätigt die Unklarheit der Sätze 2 und 3 der Klausel. Diese verlangen die Überprüfung von Partnern. Denn staatliche Gelder dürfen nicht zur Unterstützung „extremistischer Strukturen“ verwendet werden.
Unglücklich ausgedrückt
Auch wenn Familienministerin Kristina Schröder sich auf Twitter freut: „Gutachten stützt meine Demokratieerklärung für Initiativen gegen Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus", so klar ist das Gutachten nicht. Ossenbühl stellt fest, dass die Formulierungen „nicht ganz glücklich“ gewählt und „interpretationsbedürftig“ seien. Vor allem bemängelt er, dass eine Verpflichtung auf die „Ziele des Grundgesetzes“ ein aktives Tun der Initiativen nahe legt. Dies sei aber wohl nicht gemeint, interpretiert er. Vielmehr gehe es um das Urteil der Initiativen. Sie suchen sich Partner, die ihre verfassungsrechtlichen Grundpositionen teilen. Logisch. Natürlich arbeiten Initiativen nur mit denjenigen Gruppen und Vereinen zusammen, mit denen sie politisch an einem Strang ziehen. Alles andere wäre absurd. Nur, und das zeigt das eigentliche Problem der deutschen Zivilgesellschaft, wer definiert denn „verfassungsrechtliche Grundpositionen“?
Meinungsfreiheit?
Ossenbühl zieht in seinem Gutachten in Zweifel, dass die Meinungsfreiheit von Projekten durch die „Extremismusklausel“ gefährdet wird. „Es steht jeder Organisation frei, auf eine Zuwendung zu verzichten“, schreibt er. Dieses Argument ist natürlich ein Schlag ins Gesicht. Und kann nur vorgebracht werden, wenn man die Situation der Projekte und Initiativen nicht kennt. Die Zivilgesellschaft in Deutschland ist abhängig vom Staat. Das widerspricht eigentlich ihrer Aufgabe. Sie bringt sich politisch ein, regt auf, engagiert sich und ist dabei eben auch manchmal unbequem. Aber sie lebt nur durch staatliche Gelder. Diese Unterstützung ist an Bedingungen geknüpft. Wer diese Bedingungen nicht akzeptiert, kann das Geld natürlich ablehnen – allerdings nur um den Preis seiner Existenz. Schon mit dem staatlichen Geld hangeln sich die Organisationen von Projekt zu Projekt. Das ist die sogenannte Projektitis. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind nur für die Dauer ihrer bei Ministerien beantragten Projekte beschäftigt. Danach muss ein neues Projekt her oder sie verlieren ihren Arbeitsplatz. Vor diesem Hintergrund ist die Meinungsfreiheit sehr wohl durch die Klausel beeinträchtigt.
Definitionsmacht
Problematischer wird die Angelegenheit noch, wenn die Bedingungen des Staates mit dem Grundgesetz begründet werden. Den „Werten und Zielen des Grundgesetzes“ soll man sich verpflichtet fühlen. Aber werden diese Werte und Ziele denn vom Bundesfamilienministerium definiert? Oder entsteht ihre Bedeutung und Praxis nicht vielmehr durch eine aktive Diskussion in einer demokratischen Gesellschaft, die vor allem auch durch eine Zivilgesellschaft lebt? Über Werte muss nun mal gestritten werden. Wenn der Staat hier eingreift – und sei es mit finanzieller Förderung – muss er vorsichtig sein. „Demokratische Kultur setzt sensibles Verhalten des Staates voraus. Die politische Willensbildung funktioniert laut Grundgesetz von unten nach oben“, sagte Prof. Dr. Dr. hc. Ulrich Battis, Verfasser des ersten Rechtsgutachtens zur Klausel. Die Unterzeichnung der Klausel zeigt den Initiativen nicht nur „sichtbarer und eindrücklicher“ ihre Pflichten, wie Ossenbühl resümiert. Die „Extremismusklausel“ zeigt der Zivilgesellschaft sichtbar und eindrücklich, was Abhängigkeit vom Staat bedeutet.
Foto: von SPD in Niedersachsen, via Flickr, cc