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"Danke, dass ihr da wart"

Jahrelang hatte die Polizei Opfer zu Tätern gemacht: Friseur Hasan Yildirim über seine Gefühle nach dem Birlikte-Festival in Köln, bei dem 120 000 Besucher der Opfer des NSU-Terrors und des Nagelbomben-Anschlags gedachten.

Von Uli Hauser

Mit Worten bin ich nicht gut. Ich beobachte lieber. Als Friseur schaue ich mir die Menschen genau an. 1997 bin ich mit 23 Jahren aus Ankara nach Deutschland gekommen, mein Deutsch ist nicht so, dass ich mich jetzt perfekt ausdrücken kann. Aber ich kann versuchen zu beschreiben, wie es mir geht. Nach diesem großen Fest, das wir Birlikte genannt haben. Miteinander, auf Deutsch. Gemeinsam. Zusammen.

Ich bin dankbar, dass so viele Deutsche da waren. Weil es Deutsche waren, die vor unserem Geschäft eine Bombe gezündet hatten, vor zehn Jahren. Ich wurde damals wie viele andere verletzt, ich wusste nicht, welche Wunde ich zuerst zuhalten sollte. Uns flogen die Nägel um die Ohren. Im Krankenhaus wurden meine Hände, meine Stirn und meine Arme genäht. Es war schlimm. Auch was danach passiert ist. Mehr als sieben Jahre lang hat die Polizei uns so behandelt, als hätten wir etwas mit dieser Bombe zu tun. Mein Bruder Özcan war an dem Tag nicht im Laden. Deshalb geriet er in Verdacht. Sieben Jahre lang wurden wir immer und immer wieder verhört und auf die Polizeiwache bestellt.


Özcan Yildirim (r.): „Die erste Bombe hat uns zwar verletzt, aber das was danach kam, war wie eine zweite Bombe.“ . Sein Bruder Hasan Yildirim (l.) wurde bei dem Nagelbombenattentat mit 22 Verletzten am schwersten verwundet. Foto:© Robert Damrau

Ich hatte dem Mann, der das Fahrrad mit der Bombe abgestellt hatte, durchs Fenster in die Augen gesehen, zwei, drei Sekunden lang. Weil ich dachte, der kommt gleich rein und will sich die Haare schneiden lassen. Ich habe erzählt, dass er Koteletten trug, ungefähr 1,80 Meter groß war und vom Typ leicht blond. Ein Polizist meinte: „Kann es nicht ein Dunkelhaariger gewesen sein?“

Ich bin darüber verzweifelt, ich habe nachts nur noch mit Licht geschlafen, monatelang. Ich dachte, vielleicht kommt dieser Mann wieder. Ich war bei Psychologen, ich war in der Türkei, ich wurde fast verrückt. Wir hatten doch mit niemandem Streit, warum sollte vor unserem Haus jemand eine Bombe zünden? Ich habe immer wieder gesagt, vielleicht waren es Neonazis. Aber die Polizisten haben nur gesagt: Ihr wisst, wer es war. Wenn ihr uns sagt, wer das gemacht hat, dann kriegt ihr vom deutschen Staat ein neues Leben, ein neues Haus, ein neues Auto. Diese Sätze haben mich, sie haben uns alle verletzt. Die Bombe war eine schlimme Sache, aber Gott sei Dank sind wir wieder gesund, wir leben. Aber diese Verhöre! Wenn einer dir jeden Tag sagt, dass es nicht so sein kann, wie du es sagst, wenn dir einer deine Worte und Empfindung umdreht: Da glaubst du am Ende, du bist verrückt.

Und dann kam vor knapp drei Jahren die Nachricht, dass Neonazis die Bombe gezündet hatten. Und dass es der Typ mit dem Käppi und den Koteletten war, den ich erkannt hatte. Am Anfang war diese Meldung wie eine Befreiung. Und doch fühlte ich mich danach wie erschlagen. Vor dem Angriff in der Keupstraße mussten fünf Menschen sterben, nach dem Anschlag wurden fünf weitere ermordet. Ich kenne die weinenden Kinder, die Mütter, die Ehefrauen. Fünf Menschen könnten heute vielleicht noch leben, hätte man auf uns gehört, wären wir nicht wie Täter behandelt worden.

Unser Birlikte-Festival war sehr wichtig für mich. Der deutsche Justizminister Heiko Maas hat gesagt, dass er sich schämt. Der deutsche Journalist Stefan Aust hat gesagt, man solle den Verfassungsschutz schließen. Und der deutsche Bundespräsident Joachim Gauck hat sich bei mir bedankt, dass wir nicht in die Türkei zurückgegangen sind.

Als vor ein paar Monaten ein paar Leute aus Hamburg und Köln zu uns kamen und meinten, wir wollen in der Keupstraße zu Ehren und zum Gedenken an die Opfer rechten Terrors ein Fest veranstalten, wussten wir nicht, was wir sagen sollten. Was passiert ist, kann niemand gutmachen. Aber wir haben miteinander geredet. Sehr vorsichtig. Ich weiß noch, wie mein Bruder dastand, mit verschränkten Armen. Er wollte vertrauen, aber er konnte nicht.

Meine Frau war schwanger, als die Bombe explodierte. Ich habe eine Tochter, die ist zehn Jahre alt. Sie heißt Lara und fragt mich, was passiert ist. Ich sage ihr dann, dass es böse Menschen gibt. Und gute. Und dass die Guten zusammenhalten müssen. So, wie wir das in Köln probiert haben. Das Schönste ist, dass mein Bruder nach dem Fest sagte, dass er wieder ruhig schlafen kann.

Uli Hauser organisierte Birlikte mit. Er zeichnete Hasan Yildirims Gedanken auf – und ist dankbar für dessen Gastfreundschaft.

Bewegend 500 Künstler, 30 Bühnen, eine große Kundgebung und Prominenz aus Politik und Wirtschaft: Pfingsten feierten nicht nur Deutsche, Kurden und Türken in Köln das Miteinander. Mehr unter: www.birlikte.info

 

120 000 Menschen sind am Birlikte-Wochenende in die Kölner Keupstraße gekommen, um zusammenzustehen gegen Rassismus und Ausgrenzung. Foto: © Robert Damrau