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Wie die Qualifizierung von Flüchtlingen gelingen kann

Bis heute sind die Qualifizierungsmöglichkeiten für Flüchtlinge alles andere als gut. Besonders Flüchtlinge mit einem unsicheren Aufenthaltsstatus haben mit vielen Hindernissen zu kämpfen. In ihrem Bemühen um eine Integration auf dem Arbeits- oder Ausbildungsmarkt sind sie häufig auf Hilfsangebote nichtstaatlicher Akteure angewiesen.
 
Von Marie Becker
 
Der Zugang für Flüchtlinge zum Arbeits- und Ausbildungsmarkt hängt von ihrem Aufenthaltsstatus ab. Die größten Hürden haben Flüchtlinge zu überwinden, die eine Aufenthaltsgestattung oder eine Aufenthaltsduldung besitzen. In der Theorie sind diese zwei Formen des Aufenthaltsrechts nur als Übergangslösung gedacht. So erhalten alle Flüchtlinge für die Dauer ihres Asylgesuches eine Aufenthaltsgestattung. Eine Duldung bekommen all jene Flüchtlinge, deren Asylgesuch abgelehnt wurde, die aber aufgrund besonderer Umstände nicht abgeschoben werden können. Gerade für diese letzte Gruppe hat sich in der Praxis immer wieder gezeigt, dass sich der Zustand der Duldung über Jahre hinziehen kann. Dadurch ist ihre Lage im Hinblick auf die Integrationsmöglichkeiten in den Arbeitsmarkt besonders prekär.
 
Ein Kampf gegen Windmühlen
 
In den letzten Jahren zeichnete sich ab, dass die Bundesregierung unter dem Druck des demographischen Wandels und des Fachkräftemangels zu einigen Zugeständnissen bereit ist. Von diesen Zugeständnissen konnten bisher aber häufig nur sehr gut qualifizierte Flüchtlinge profitieren. Alle anderen, die einen höheren Förderbedarf haben, bleiben weiterhin auf der Strecke. Das musste auch Tanja Hofbeck, Lehrerin an der Don Bosco Berufsschule der Caritas in Würzburg, feststellen. Zwar können asylsuchende oder geduldete Flüchtlinge seit letztem Jahr bereits nach drei Monaten eine Arbeit und damit auch eine betriebliche Ausbildung aufnehmen. Unterstützung erhalten sie dabei aber kaum. Im Gegenteil, ihnen werden häufig so viele finanzielle und bürokratische Hürden in den Weg gelegt, das ihr berufliches Fortkommen einem Spießrutenlauf gleicht.
 
Deutschkenntnisse als Schlüssel zum Arbeitsmarkt
 
Dieser Spießrutenlauf beginnt zunächst mit fehlenden Möglichkeiten, Deutsch zu lernen. „Gute Deutschkenntnisse sind unabdingbar, um überhaupt eine Chance auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt zu haben“, betont Tanja Hofbeck. Doch im Gegensatz zu Flüchtlingen mit einer Aufenthaltserlaubnis, stellt die Bundesregierung den asylsuchenden und geduldeten Flüchtlingen Deutschkurse nicht kostenlos zur Verfügung. In Bayern haben die Flüchtlinge etwas mehr Glück. Dort kommt ihnen die besondere Reglung zur Schulpflicht entgegen. Denn hier gilt jeder bis zum 21. – und unter besonderen Umständen bis zum 25. Lebensjahr – als schulpflichtig. Dadurch fallen diese Flüchtlinge in die Zuständigkeit von berufsbildenden Schulen, wie der Don Bosco Berufsschule in Würzburg, die ihnen nicht nur Deutschkenntnisse vermitteln, sondern sie auch auf eine berufliche Ausbildung vorbereiten können. Denn selbst wenn Flüchtlinge mit einem höheren Schulabschluss nach Deutschland kommen, müssen viele noch einmal von Null beginnen, da ihre Abschlüsse häufig nicht als gleichwertig anerkannt werden.
 
„Es fehlen einheitliche Standards“
 
Im Hinblick auf die Deutschkurse für Flüchtlinge sieht Tanja Hofbeck nicht nur ein quantitatives, sondern auch ein qualitatives Problem. „Deutschkurse werden von Trägern mit sehr unterschiedlichen Herangehensweisen angeboten. Es fehlt an einheitlichen Standards, die alle befolgen müssen und die garantieren, dass die Flüchtlinge bestmöglich betreut werden. Flüchtlinge brauchen nicht nur allgemeine Deutschkenntnisse, sondern vor allem auch Fachkenntnisse für den Bereich, der für sie als Arbeitsort in Frage kommt“, betont Hofbeck. Und selbst wenn Flüchtlinge es soweit geschafft haben, dass sie sich auf die Suche nach einem Ausbildungs- oder Arbeitsplatz machen können, schrecken die meisten Betriebe und Unternehmen vor dem bürokratischen Aufwand, der bei einer Einstellung der Flüchtlinge anfällt, zurück. Hinzu kommt bei vielen Arbeitgebern die Furcht, Zeit und Geld in einen Menschen zu investieren, der jeden Moment abgeschoben werden könnte.
 
Vorrangprüfung als Instrument der Desintegration
 
Geduldete und asylsuchende Flüchtlinge, die all diese Hürden überwinden konnten und der Ausländerbehörde ein konkretes Jobangebot vorlegen, können sich auch dann noch nicht sicher sein, diesen auch zu bekommen. Denn zunächst wird dieses Angebot von der Agentur für Arbeit geprüft. Dabei wir unter anderem geschaut, ob für dieses Jobangebot nicht ein deutscher Staatsbürger oder ein Flüchtling mit Aufenthaltserlaubnis als Bewerber in Frage kommt (Vorrangprüfung). Pro Asyl kritisiert zu Recht, dass dadurch nicht selten Stellen von Flüchtlingen akquiriert werden, die die Arbeitsagenturen dann an andere vermitteln. Flüchtlinge, die versuchen sich ein eigenes Leben aufzubauen, werden dadurch weiter isoliert und demotiviert. Diese Vorrangprüfung entfällt nach 15 Monaten. Geduldete Flüchtlinge erhalten einen völlig unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt jedoch erst nach vier Jahren.
 
Die Kluft zwischen Paragraph und Lebenssituation
 
All diese gesetzlichen Vorschriften berücksichtigen in keinster Weise, dass sich die Flüchtlinge allein schon aufgrund ihrer Fluchtgeschichte in Ausnahmesituationen befinden.  Diese Blindheit der gesetzlichen Paragraphen gegenüber der besonderen Situation der Flüchtlinge macht sich auch auf schulischer Ebene bemerkbar. So scheitern Tanja Hofbecks Schüler in der IHK Prüfung an vermeidbaren Dingen. Viele bräuchten entweder nur ein bisschen mehr Zeit oder die Hilfe eines Wörterbuchs, um die Prüfung bestehen zu können „Bei jedem Jugendlichen mit einem sicheren Aufenthaltsstatus gibt es die Möglichkeit einen Nachteilsausgleich zu stellen oder besondere Förderungsmaßnahmen zu beantragen“, erklärt Hofbeck. „Für einen traumatisierten Flüchtling mit unsicheren Aufenthaltsstatus, der eine ganz neue Sprache erlenen muss, gibt es all dies nicht, obwohl es dringend notwendig wäre.“
 
Sammelunterkünfte als Abschreckungsinstrument
 
Sammelunterkünfte stellen ein weiteres großes Problem dar und das ist politisch auch häufig so gewollt.  Welche Folgen die Zustände in den Sammelunterkünften für den einzelnen Flüchtling haben, interessiert die meisten Politiker nicht. So bieten diese Unterkünfte keinen Raum und keine Ruhe um zu lernen. Im Gegenteil, sie verschlechtern nachweisbar die psychische und körperliche Verfassung der Flüchtlinge. Diese Situation wird zusätzlich noch durch den begrenzten Zugang der Flüchtlinge zur medizinischen Grundversorgung verschärft. Diese Sammelunterkünfte müssten nicht sein, hätten die Bundesländer die Versorgung der Flüchtlinge nicht lange Jahre bewusst so sträflich vernachlässigt. Dabei würden die Länder durch eine dezentrale Unterbringung einiges einsparen können. Das gilt auch für die Investition in die Bildung der Flüchtlinge. Doch selbst wenn diese Kosten-Nutzen-Rechnung nicht aufgehen würde, gilt doch immer noch das Recht eines jeden Menschen auf Bildung und medizinische Versorgung.
 
Mit eigenen Initiativen etwas verändern
 
Bis sich für die Flüchtlinge mit unsicherem Aufenthaltsstatus etwas grundlegend ändert, sind sie auf private Initiativen angewiesen, die versuchen, die Lücke, die die staatlichen Akteure hinterlassen, zu schließen. Die Amadeu Antonio Stiftung hat solch eine Initiative aus Potsdam über mehrere Jahre finanziell unterstützt. Das Projekthaus Potsdam-Babelsberg ist ein selbstorganisiertes Zentrum, das die verschiedenen Lebensbereiche Bildung, Arbeit, politisches und soziales Engagement, Kultur und Wohnen miteinander verbindet. Vor ein paar Jahren wurden auch die ersten Qualifikationsmöglichkeiten für Flüchtlinge angeboten. Die Resonanz darauf war so groß, dass nicht alle Interessierten aufgenommen werden konnten. Rund 250 Flüchtlinge haben das Projekt „Integration durch Qualifikation“ bereits durchlaufen. Dabei  gibt es neben Sprachkursen auch Seminare im Bereich Handwerk, Technik, Gartenarbeit und Computer, die von den Flüchtlingen belegt werden können. Darüber hinaus steht ihnen das ganze Programm des Projekthauses offen. So können sie Vorträge halten oder selbst zu Multiplikatoren für andere Flüchtlinge werden. Im letzten Jahr wurde das Qualifikationsprojekt erweitert. So wollen die Veranstaltenden den ersten Flüchtlingen ein Ausbildungs- oder Arbeitsplatz vermitteln.  
 
Bessere Vernetzung schaffen
 
Um diese Initiativen besser mit Behörden auf Kommunal- und Landesebene zu vernetzen, findet am 5. und 6. März in Stuttgart ein Treffen der Arbeitsgemeinschaft Weinheimer Initiative statt. Dieser  bundesweite Zusammenschluss aus Städten und Landkreisen, bemüht schon seit einigen Jahren um einen besseren Übergang junger Menschen von der Schule in die Arbeitswelt. Auf dem Treffen in Stuttgart stehen besonders die Belange von jungen, unbegleiteten Flüchtlingen im Vordergrund, denen man eine bessere Lebens- und Berufsperspektive in Deutschland ermöglichen will. Die Initiative möchte vor allem erreichen, dass  minderjährige Flüchtlinge für die Zeit der schulischen und beruflichen Ausbildung eine Aufenthaltsgenehmigung erhalten. Auch Timo Reinfrank und Jan Riebe von der Amadeu Antonio Stiftung beteiligen sich an diesem Treffen. In ihren Beiträgen werden sie auf die Qualifizierungsmöglichkeiten und die besonderen Lebensumstände junger Flüchtlinge eingehen.
 
Foto: © kellinahandbasket (CC BY 2.0)
 

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Eine Deutschklasse an der Volkshochschule Heidelberg. Foto: © kellinahandbasket