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Sachsen gehört unter Beobachtung. Allerdings nicht unter die Beobachtung des Verfassungsschutzes, sondern unter die Beobachtung durch Zivilgesellschaft und kritische Journalisten. Das Land befindet sich auf einem Sonderweg, der immer wieder Recht und Gesetz in gefährlicher Weise biegt und instrumentalisiert.
Von Michael Kraske, debattiersalon.de
Es ist nur eine Petitesse, eine teure Seifenblase, aber die geplante Image-Kampagne für das Land Sachsen gibt einen guten Hinweis darauf, wie dieses Land tickt, das sich auf so penetrante Weise als Freistaat geriert, das einen Tag der Sachsen feiert; wo der Radio-Zuhörer sogar das Sachsen-Wetter ertragen muss, ganz so, als machten Wolken und Sonne an der Landesgrenze halt. In diesen Tagen soll die mit 32 Millionen Euro bislang teuerste Selbstdarstellung des Landes starten. Dazu hat die Kommunikationsagentur Ketchum Pleon Sprüche entworfen wie: „Kraft ohne Hannelore“. Ein Bundesland mit einem Schienbeintritt gegen die von regierenden Christdemokraten geschmähten Sozen bewerben zu wollen, dürfte in der bundesdeutschen Geschichte einmalig sein. Auch sonst gibt es beunruhigende Hinweise auf einen sächsischen Sonderweg, der sich immer wieder in einem fragwürdigen Rechtsverständnis und in der arroganten Wurschtigkeit gegenüber Bürgerrechten zeigt.
Vor dem Dresdner Amtsgericht muss sich seit einiger Zeit der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König wegen schweren Landfriedensbruchs und Beihilfe zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verantworten. Er soll während der Dresdner Anti-Nazi-Demo im Februar 2011 zu Gewalt gegen Polizeibeamte aufgerufen haben. Das sind gravierende Vorwürfe. Träfen sie zu, müsste der Mann, der als einer der ersten im Land die Gefahr erkannte, die von den zu Terroristen heranreifenden Neonazis Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe ausging, verurteilt werden.
Doch nach mehreren Prozess-Tagen kommt die Prozessbeobachterin von Spiegel Online zu dem Urteil, das Verfahren gerate „völlig zur Farce“. Angebliche Beweise lösten sich zunehmend in Luft aus, so die Gerichtsreporterin. So habe ein stellvertretender Gruppenführer der Polizei ausgesagt, der Pastor habe den blauen Transporter keineswegs in der Absicht auf die Polizisten gesteuert, diese zu rammen, sonst hätte er nicht gebremst. Diesen Ablauf hatte er zuvor schon bei einer Vernehmung ausführlich geschildert. Doch offenbar gelangte diese entlastende Aussage nicht in die Prozess-Akte. Königs Verteidiger Johannes Eisenberg und Lea Voigt warfen der Staatsanwältin Ute Schmerler-Kreuzer vor, systematisch Ermittlungsergebnisse aus den Akten gelassen zu haben.
Eifrig gegen Journalisten
Der Fall reiht sich in eine Reihe eigenartiger Fälle ein, die Strafverteidiger Professor Ulrich Sommer so zusammen fasst: „Wie hier in Sachsen versucht wird, mit staatlicher Macht Einfluss auf juristische Verfahren zu nehmen, das ist in Deutschland neu und unüblich. Um es einmal zurückhaltend auszudrücken.“ Für diese These spricht der Verfolgungseifer gegen die Leipziger Journalisten Thomas Datt und Arndt Ginzel, die wegen Beleidigung vor Gericht gezerrt wurden, weil sie es gewagt hatten, in einem Beitrag für Zeit Online über den so genannten Sachsensumpf zwei Fragen zu stellen und in einem Spiegel-Artikel angeblich einen beleidigenden Satz und ein böses Wort verwendet hatten. In Sachsen kann man schon dafür bestraft werden, Fragen zu stellen.
Nach Darstellung der beiden Journalisten drängten die Dresdner Staatsanwälte zunächst Polizisten zu einer Anzeige, die das jedoch ablehnten. Erst unter Beteiligung des eingeschalteten Innenministeriums habe sich schließlich der ehemalige Leipziger Polizei-Chef bereit gefunden, die Journalisten anzuzeigen. Hintergrund sind 15000 Seiten Geheimdossiers, die der sächsische Verfassungsschutz u.a. auch über die angeblichen Rotlicht-Verstrickungen hochrangiger Juristen gesammelt hatte. Die Landesregierung hatte die beschriebenen Vorgänge kurzerhand als heiße Luft abgetan. Die Staatsanwaltschaft überzog daraufhin auch Journalisten, die über die Vorgänge berichtet hatten, mit Strafverfahren.
Nachdem Datt und Ginzel in der ersten Instanz vor dem Amtsgericht zu einer Geldstrafe verurteilt worden waren, sprach das Landgericht als nächste Instanz die Journalisten frei. Die Dresdner Staatsanwaltschaft akzeptierte den hergestellten Rechtsfrieden jedoch nicht. Gegen jedes erkennbare öffentliche Interesse legte die Behörde Revision ein. Auf Beobachter aus ganz Deutschland wirkt dieser Eifer bestenfalls befremdlich. Die Vermutung, dass hier andere Motive eine Rolle spielen als juristische, liegt nahe. Mit dem gleichen Eifer werden zwei ehemalige Zwangsprostituierte verfolgt, denen vorgeworfen wird, fälschlicherweise zwei hochrangige Juristen als Gäste des ehemaligen Leipziger Kinderbordells „Jasmin“ benannt zu haben. Während die Staatsanwaltschaft die beiden Gewaltopfer einige Zeit sogar als Prostituierte verunglimpfte, hat eines der beiden Opfer nunmehr unter ihrem richtigen Namen ihre Version der Geschichte als Buch veröffentlicht. Die mutige Frau kämpft um ihre Ehre. Wofür die Staatsanwaltschaft kämpft bleibt offen.
Der Rechtsbruch von Handygate
Auffällig ist, dass sich der juristische Verfolgungseifer in Sachsen bisweilen auf geradezu groteske Weise von Fall zu Fall unterscheidet. Im Umfeld der Dresdner Anti-Nazi-Demos im Februar 2011 genehmigten Ermittlungsrichter kurzerhand die großflächige, mittlerweile bundesweit berüchtigte Funkzellenabfrage, bei der laut Leipziger Volkszeitung mehr als eine Million Verkehrsdatensätze mit über 320.000 Rufnummern erfasst wurden.
Staatsanwaltschaft und Richter setzten sich über die engen Grenzen hinweg, die das Bundesverfassungsgericht dieser Fahndungsmethode gesetzt hatte. In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage teilte die Bundesregierung mit, dass im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung insbesondere zu berücksichtigen sei, inwiefern dritte Personen von der Maßnahme betroffen sind. Anders gesagt: Selbst wenn unter Tausenden Ausgespähten Straftäter sind, rechtfertigt das noch nicht den flächendeckenden Abgriff von Handydaten. In Sachsen aber wurden auch die aufgrund ihrer Tätigkeit unter besonderem Schutz stehenden Journalisten, Rechtsanwälte und Geistliche erfasst, die sich während der Maßnahme in Dresden aufhielten.
Das Dresdner Landgericht hat mittlerweile festgestellt, dass zwei von drei dieser Handyverbindungs-Auswertungen rechtswidrig waren. Die Aktion verstieß also gegen geltendes Recht. Interessant ist, wie der sächsische Datenschutzbeauftragte vor diesem Urteil massiv angegriffen wurde, weil er es gewagt hatte, die später als rechtswidrig festgestellte Aktion zu kritisieren. Dessen Aufgabe ist es gemäß Artikel 57 der sächsischen Verfassung, die Exekutive, also auch Polizei und Staatsanwaltschaft, lückenlos, unabhängig und weisungsfrei zu kontrollieren.
Kritiker mundtot machen
Gleichwohl warf der sächsische Generalstaatsanwalt dem Datenschützer einen Eingriff in die Justiz vor, der ihm nicht zustehe. Der sächsische Richterverein keilte ebenfalls gegen den Datenschützer aus und warf ihm vor, die richterliche Unabhängigkeit zu gefährden. Der Präsident des Dresdner Oberlandesgerichts forderte ihn sogar zu einer Korrektur seines Berichts auf: „Im Interesse eines konstruktiven Zusammenwirkens aller Staatsgewalten.“ Was an den sprachlichen Duktus von Obrigkeitsstaaten erinnert. Im Nachhinein entlarven sich diese Aussagen als regierungsnahe Lobby-Statements. Das Urteil, das Handygate als Rechtsbruch entlarvt, ist eine schallende Ohrfeige für die große sächsische Koalition derjenigen, die nicht nur Bürgerrechte missachten, sondern sogar Kritik an solchen Missständen und gravierenden Fehlentscheidungen verbieten wollen.
Der grüne Landtagsabgeordnete Johannes Lichdi analysiert diese sächsischen Zustände mit den Worten: „Offenbar ist hier eine Mentalität der Staatsanwälte und Ermittlungsrichter am Werke, die sich nicht als Schutzschild der Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger, sondern als Türöffner für polizeiliche Ermittlungsanliegen versteht. Die Selbstkorrekturfähigkeit des Apparats scheint verkümmert. Bis heute erscheinen die Beteiligten in einem reflexhaften Korpsgeist befangen.“
Dafür spricht, dass diejenigen Demonstranten, die nachträglich die ihnen rechtmäßig zustehende Auskunft über die Ausspähmaßnahme einforderten, nicht automatisch informiert wurden. Das Amtsgericht begann erst nach einem Jahr, Beschwerden gegen die Funkzellenabfragen zu bearbeiten, so Lichdi. Die Staatsanwaltschaft konstruierte sogar eine abstruse Theorie über unschuldig ins Visier geratene Demonstranten: „Es ist anzunehmen, dass diese Personen kein Interesse an der Benachrichtigung haben.“ Das ist angesichts von 1500 Auskunftsanträgen bis Juni 2012 eine geradezu bösartig zurecht phantasierte Unterstellung.
Der verschleppte Nazi-Prozess
Auffallend wenig Verfolgungseifer zeigte das Dresdner Landgericht beim Revisionsprozess gegen die Neonazi-Kameradschaft Sturm 34. Im Prozess gegen die Haupttäter der Bande, die politische Gegner systematisch überfielen und einige Opfer beinahe tot schlugen, hatte das Gericht die Angeklagten vom Vorwurf frei gesprochen, eine kriminelle Vereinigung zu sein. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil jedoch als fehlerhaft auf. Das Landgericht sah sich jedoch über fast drei Jahre nicht in der Lage, den Prozess neu zu verhandeln. Mit der Folge, dass der Gründer der Kameradschaft zwischenzeitlich seine Nachbarn terrorisierte und allen Angeklagten am Ende aufgrund der langen Wartezeit ein Abschlag beim Strafmaß zustand.
Eher bescheiden ist auch der sächsische Aufklärungseifer, was den NSU-Komplex angeht. Während die Untersuchungsausschüsse in Berlin und Erfurt akribisch daran arbeiten, die offenen Fragen rund um die Rechtsterroristen um Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe aufzuklären, arbeitet der sächsische Untersuchungsausschuss langsam und wenig effizient. Von Anfang an waren die sächsischen Regierungsvertreter daran interessiert, das „Jenaer Terror-Trio“ als Thüringer Phänomen abzuschieben, ganz so, als habe das Trio nicht jahrelang in Chemnitz und Zwickau, seine Basis gehabt.
Die offenen Fragen zum NSU
Während in Thüringen das ernsthafte Bemühen erkennbar ist, selbstkritisch die Fehler aufzuarbeiten, kam die CDU-geführte Regierung in Sachsen bis heute nicht zu einer schonungslosen Analyse der eigenen Fehler: Wie konnten die Terroristen unerkannt bleiben, obwohl LKA und Verfassungsschutz sie in der Region Chemnitz/Zwickau im Visier hatten? Warum hat die hoch gelobte Sonderkommission Rechtsextremismus (Soko Rex) sie nicht aufspüren können? Ist trotz etlicher V-Leute im NSU-Umfeld tatsächlich keine Information über die Morde an die Behörden gelangt? Hat man die Terroristen tatsächlich aus den Augen verloren, obwohl man die richtigen Unterstützer im Visier hatte? Wie konnte es sein, dass das angeblich erfolgreich verbotene Blood and Honour-Netzwerk die Terroristen in Sachsen erfolgreich ins Untergrundleben abtauchen lassen konnte? Warum darf auch in Sachsen der Verfassungsschutz einfach weiter machen, als sei nichts gewesen?
Sachsen gehört unter Beobachtung. Allerdings nicht unter die Beobachtung des Verfassungsschutzes, sondern unter die Beobachtung durch Zivilgesellschaft und kritische Journalisten. Das Land befindet sich auf einem Sonderweg, der immer wieder Recht und Gesetz in gefährlicher Weise biegt und instrumentalisiert. In Sachsen lässt sich beobachten, welche unheilvollen Effekte die ununterbrochene Herrschaft einer Partei bewirken kann. Wenn die Exekutive und die Judikative sich in ihrem Handeln bisweilen nicht an Recht und Gesetz zu orientieren scheinen, sondern an dem angenommenen oder offen ausgesprochenen Willen der Regierung. Die CDU hat es in Sachsen verstanden, sich mit dem Land gleich zu setzen. Sie beansprucht die Deutungshoheit darüber, was gut und was schlecht für Sachsen ist, was rechtstaatlich und was verfassungsfeindlich.
Entlarvender Ausbruch
Ab und an schlägt die mangelnde Demut vor dem demokratischen Prinzip des Machtwechsels und der Gewaltenteilung so offen in Verachtung für den politischen Gegner um, dass die Haltung kaum noch von antidemokratischer Allmachtsphantasie zu unterscheiden ist. Der kurz nach der Veröffentlichung wieder gelöschte Twitter-Text unter dem Namen des Dresdner Stadtrats „Peter J. Krüger“, den nach dessen Aussage gar nicht er selbst, sondern ein Mitarbeiter ohne sein Wissen veröffentlicht hatte, gibt einen tiefen Einblick in die Geisteshaltung eines Teils der sächsischen Christdemokraten: …dieser widerwärtige Hetzer gehört in den Knast. Der 13. Februar soll friedliches Gedenken zu Inhalt haben!“ Der als widerwärtiger Hetzer Denunzierte ist der Jenaer Jugendpfarrer Lothar König. Der kann als Lebensleistung vorbringen, sich Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe in den Weg gestellt haben, als die noch keine Terroristen, aber gewaltbereite Neonazis waren. Manch einer in Sachsen, der was zu sagen hat oder etwas sagen zu müssen glaubt, kann als Leistung nicht viel mehr vorzeigen, als die, sich mutigen Bürgern und Demokraten mit fragwürdigen Methoden in den Weg zu stellen.
Michael Kraske ist Journalist und Buchautor u.a. von "Und morgen das ganze Land - Neue Nazis, befreite Zonen und die tägliche Angst; ein Insiderbericht" (Herder) sowie Mitbegründer des Politblogs debattiersalon.de. Michael Kraske wurde mehrfach für seine Berichterstattung über Ostdeutschland und Rechtsextremismus ausgezeichnet.
Wir danken Michael Kraske und www.debattiersalon.de für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung!