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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Die Situation in Freital spitzt sich immer weiter zu: PEGIDA-Anhänger_innen, Neonazis und rassistische Bürger_innen aus Freital, Dresden und Umgebung treffen sich tagtäglich, um die Geflüchteten und Unterstützer_innen vor dem Hotel Leonardo zu beleidigen, zu bedrohen und auch anzugreifen. Mitarbeiter_innen des Projekts Schutzschild der Amadeu Antonio Stiftung waren am Donnerstag vor Ort, um sich solidarisch mit den Refugees und Unterstützer_innen zu zeigen.
Von Imke Kummer und Karsten Stöber
Im Internet haben wir Videos mit „Wir wollen Euch hängen sehen“-Sprechchören gesehen, Aufrufe zur Gewalt auf den Facebook-Seiten der sogenannten "Heim-Gegner " gelesen. Auch vor Ort fühlt sich die Stimmung drastisch an. Direkt bei unserer Ankunft in Sichtweite des Hotels werden wir mit massiven rassistischen Beschimpfungen, "Buh-Rufen" und Pöbeleien vom Mob "begrüßt". Hinter der Polizeiabsperrung, auf Seite der Refugee-Unterstützer_innen, bestätigt sich dieser Eindruck. Eine Aktivistin berichte aufgeregt, sie sei kürzlich beim Aussteigen aus dem Bus auf dem Heimweg von Rechten beschimpft und verfolgt worden. Sie entkam ihren Verfolger_innen nur haarscharf. Eine andere Person schildert, dass die Unterstützer_innen von der Polizei für die Situation verantwortlich gemacht werden. Ein Polizist lehnte gar die Bitte ab, Unterstützer_innen zum Auto zu geleiten: "Was auf dem Weg zu Ihrem Auto geschieht, kann ich nicht sehen. Das steht in Ihrer Verantwortung."
So fühlen sich die Aktivist_innen vor Ort mit ihrer Angst nicht nur von der Polizei und der Stadt alleine gelassen – sie sind es auch und können aktuell offenbar leider keine Unterstützung seitens der Politik erwarten. Dies übernehmen die zivigesellschaftlichen Initiativen wie die Opferberatung der RAA Sachsen und das Mobile Beratungsteam gegen Rechtsextremismus des Kulturbüro Sachsen. Es ist bewundernswert, mit welcher Kraft und Ausdauer die Geflüchteten und Engagierten vor Ort diese schreckliche Situation aushalten. Der gewaltigen Bedrohung zum Trotz führen Engagierte vom Willkommensbündnis Freital und Geflüchtete gemeinsame Aktivitäten wie Ausflüge oder Fußballspielen fort. Sie lassen sich nicht unterkriegen und hoffen weiter, dass die Stadt anfängt, die Verantwortung zu übernehmen, die Sicherheit für die Geflüchteten in der Unterkunft zu gewährleisten und das Grundrecht auf Asyl durchzusetzen.
Freital als "hausgemachtes Problem"?
Der Umgang mit Protesten gegen Flüchtlingsunterkünfte ist für Kommunalpolitik oft kompliziert. In Freital jedoch erscheint das Versagen besonders eklatant. "Die Kandidaten zu den Freitaler Oberbürgermeisterwahlen in diesem Jahr haben sich selbst mit rassistischer Hetze überboten und die gängigen Vorurteile über Geflüchtete bedient und geschürt", erklärt uns ein Unterstützer der Geflüchteten vor Ort. So hat die Kommunalpolitik einiges dazu beigetragen, die Stimmung vor Ort weiter anzuheizen. Der zukünftige Freitaler Oberbürgermeister Uwe Rumberg (CDU), ab August im Amt, sagte etwa im Zuge des Wahlkampfs: "Es muss stärker unterschieden werden zwischen wirklich Hilfsbedürftigen und sogenannten Glücksrittern, die nach Deutschland kommen, um auf Kosten der Gemeinschaft ein sorgloses Leben ohne Gegenleistung zu führen." Ebenfalls betonte er, dass Willkommenskultur irgendwo ihre Grenzen habe. Damit spricht er den Rassist_innen vor Ort aus der Seele.
Diese flüchtlingsfeindlichen „Argumente“ führen zum rassistischen Mob, der seit Montag vor dem Hotel Leonardo gegen Geflüchtete Stimmung macht. Einer der ersten Unterstützer: PEGIDA-Anführer Lutz Bachmann. Er schreibt am Montag auf seinem Facebook-Profil: "Spontane Zusammenkunft von Anwohnern in Freital am Glücksritter-Heim Leonardo. Aus anfänglich ca. 30 sind ca 80-100 Anwohner geworden, die vor Ort gegen den Wahnsinn Gesicht zeigen". [Fehler im Original]
Auch das Kulturbüro Sachsen und die Opferberatung der RAA Sachsen nennt die Probleme "hausgemacht". „Die hasserfüllten Aktionen und Übergriffe müssen durch die Stadt endlich klar verurteilt werden. Statt die Verantwortung auf andere abzuschieben, könnte darüber nachgedacht werden, wie in Freital die interkulturellen Kompetenzen erhöht und Ausbildungs- und Arbeitsbereiche für geflüchtete Menschen geöffnet werden können,“ sagt Markus Kemper vom Mobilen Beratungsteam des Kulturbüro Sachsen e.V. Der Oberbürgermeister und die Stadtverwaltung scheinen die Situation aussitzen zu wollen. Jedoch bietet ihr Nichts-Tun den Rassist_innen die Möglichkeit, die flüchtlingsfeindliche Hetze zu verbreiten. Statt sich klar für den Schutz der Flüchtlinge aussprechen, schweigen die Stadt und verantwortliche Politiker_innen und lassen damit die Geflüchteten und Aktivist_innen alleine vor Ort. Selbst der Ministerpräsident von Sachsen, Stanislav Tillich (CDU), fand am Donnerstag den Weg ins „Hotel Leonardo“, um wenigstens ein Symbol pro Flüchtlinge zu setzen – der örtliche Bürgermeister noch nicht.
Rassistische Hetze und Gewalt
>>Freital ist überall<<
Freital ist durch die sehr aggressive und rassistische Stimmungsmache ein Brennpunkt, der jedoch in das bundesweite flüchtlingsfeindliche Klima einbettet ist. Gezielte und massive Hetze gegen Flüchtlinge gibt es in Deutschland an vielen Orten – auch mit gewalttätigen Folgen: Im ersten Halbjahr 2015 gab es bundesweit bereits fast 80 Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, 9 Brandanschläge und 31 tätliche Angriffe gegen Flüchtlinge. Nach Recherchen der Amadeu Antonio Stiftung stieg damit die Zahl flüchtlingsfeindlicher Gewalt im Vergleich zum ersten Halbjahr 2014 alarmierend an - um 7 Prozent bei körperlichen Übergriffen und gar 27 Prozent bei den Angriffen auf Unterkünfte. Und das Jahr ist erst halb vorbei.
Erst kürzlich hat das Projekt „Aktion Schutzschild“ den Leitfaden "10 Punkte für eine kommunale Willkommensoffensive" veröffentlicht, eine Anregung für Kommunen, mit den Flüchtlingen und den Anwohner_innen verantwortlich umzugehen. Die Kommunen gestalten vor Ort das gesellschaftliche Klima entscheidend mit. Sie stehen in der Verantwortung, das Grundrecht auf Asyl durchzusetzen und die Sicherheit der Asylbewerber_innen zu gewährleisten. Wie wichtig langfristige Strategien der Kommunal- und Stadtverwaltung gewesen wären, zeigt sich derzeit auch im sächsischen Freital, wo eine solche Strategie offensichtlich fehlt.
Deshalb ist es nun umso wichtiger, jetzt das Willkommensbündnis und Engagierte vor Ort unterstützt werden. Doch auch die Stadt Freital und das Land Sachsen müssen sowohl konkrete als auch langfristige Maßnahmen ergreifen, um die Sicherheit der Geflüchteten zu gewährleisten.
Wenn es um die konkrete Lebenssituation der Flüchtlinge geht, sind in ganz praktischer Weise vor allem die Kommunen gefordert. Der „10 Punkte-Plan für eine kommunale Willkommensoffensive“ der Amadeu Antonio Stiftung gibt Handlungsempfehlungen für Kommunen, um eine aktive Teilhabe von Flüchtlingen zu ermöglichen.