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"Mut gegen rechte Gewalt" fragte Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Zivilgesellschaft, was sie sich für 2012 wünschen. Heute antwortet Luise Amtsberg, Landtagsabgeordnete für die Grünen in Schleswig-Holstein.
„Die Mordserie der Zwickauer Terrorzelle hat Deutschland wachgerüttelt“ – beinahe wie ein Mantra wurde es in den vergangenen sechs Wochen immer und immer wieder in den einschlägigen Medien kundgetan. Jetzt, am Ende des Jahres, wo der Medienrummel sich gelegt hat und die Aufregung in eine breite Anerkennung der gefährlichen Dimension des Problems rechtsextremer Gewalt gemündet ist, bleibt dennoch ein fader Beigeschmack. Denn der Anlass, welcher der Diskussion um das Thema Rechtsextremismus neuen Aufwind verschafft hat, ist traurig und noch viel beklemmender das Gefühl für all diejenigen, die seit Jahren schon auf die Gefahren hinweisen.
In Schleswig-Holstein werden proportional zur Einwohnerzahl die meisten rechten Gewalttaten in Westdeutschland verübt und allein das Jahr 2011 zeichnet eine eindeutige Bilanz. In Bredstedt agitierte eine Lehrerin aus ihrem Beruf heraus für die NPD – angeblich vom gesamten LehrerInnenkollegium unbemerkt. Glinde hat einen neuen Thor-Steinar-Laden. In Plön hatte die Heimattreue Deutsche Jugend ihren Vereinssitz. In Husum überfielen Neonazis eine Gewerkschaftskundgebung – die Polizei konnte es nicht verhindern. In Rieseby hat ein bekannter Neonazi versucht über einen privaten Erbstreit an ein Grundstück für ein Schulungszentrum zu kommen. Regelmäßig müssen Initiativen vor Ort von Neonazis niedergelegte Kränze wegräumen. Jedes Jahr marschieren Nazis in der Hansestadt Lübeck und verbreiten in der Innenstadt ihre geschichtsrevisionistische rechte Propaganda. All das ist und war schon immer Anlass genug für die Politik zu handeln denn ganz eindeutig haben wir ein Problem mit Rechtsextremen.
Wir müssen handeln!
Die logische Folge daraus ist, dass wir nun auch handeln – allen voran die Politik! Sie muss in Bezug auf politischen Extremismus raus aus den Schützengräben zwischen Rechts und Links denn die Grenze verläuft zwischen Demokraten und denen, die unsere Demokratie zerstören wollen! Für eine ehrliche Auseinandersetzung mit diesem Problem ist es zwingend notwendig, dass man auch über den Medienrummel hinaus aufhört das Problem beiseite zu schieben, wegzuschauen weil man sich dafür schämt, dass auch über ein halbes Jahrhundert später diese kranke Ideologie auf fruchtbaren Boden in Deutschland stößt. Es wäre viel gewonnen wenn die konservativen Kräfte aufhören würden linke und rechte Gewalt in einen Topf zu werfen. Es würde helfen wenn die Stigmatisierung linker Initiativen endlich ein Ende hätte, die Extremismusklausel abgeschafft würde und man beginnen würde all diese Akteure als Verbündete im Kampf gegen Rechts zu begreifen.
Unser demokratisches System muss dabei über jeden Verdacht erhaben sein – nach den Erkenntnissen der vergangenen Wochen ist aber klar: die Demokratie und die ihr zugehörigen Institutionen haben versagt und zum jetzigen Zeitpunkt können wir noch nicht einmal ausschließen, dass sie sich nicht auch schuldig gemacht haben.
Der Norden braucht ein Konzept
Was also soll man sich wünschen für das kommende Jahr? Die Antwort scheint klarer denn je! Für eine ehrliche Debatte benötigen wir ein umfangreiches Bild der Neonaziszene in Schleswig-Holstein. Denn auch hier hat das konservative Lager beharrlich Links- und Rechtsextremismus zusammen abgehandelt. Eine differenzierte Debatte ist damit bisher ausgeblieben. In einem Flächenland wie Schleswig-Holstein ist es eine Herausforderung, gegen Nazis anzugehen, der Norden braucht deshalb dringend ein Konzept! Ich wünsche mir ein klares Bekenntnis aller politischen Akteure gegen Rechts und Maßnahmen zur Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Initiativen, mobile Beratungsteams und Ausstiegsprogramme. Hier nämlich bildet Schleswig-Holstein absolutes Schlusslicht!
Luise Amtsberg, 27 Jahre alt, ist seit 2009 Landtagsabgeordnete für die Grünen in Schleswig-Holstein und befasst sich dort mit den rechtsextremen Strukturen vor Ort.