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Was sich die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in NRW für das Jahr 2012 wünscht.
Von Claudia Luzar, Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt NRW
Nach jedem mutmaßlich rechtsextremen Gewaltakt, der eine breite Öffentlichkeit erreicht, ist die Reaktion der verantwortlichen Politikerinnen und Politikern vorhersehbar: Als Konsequenz auf die Gewalt fordern sie ein Verbot der rechtsextremen NPD. So war es nach dem Splitterbombenanschlag am S-Bahnhof Düsseldorf-Wehrhahn (2001), bei dem zehn Menschen schwer verletzt wurden – oder nach dem Messerattentat auf den Passauer Polizeidirektor Alois Mannichl (2008). Und so ist es auch jetzt, nachdem man die jahrelang ungeklärte Mordserie an neun migrantischen Kleinunternehmern und einer Polizistin sowie den Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße der Zwickauer Terrorzelle anlasten kann.
Mehr Sensibilität für Opfer statt Verbotsdebatten
Die NPD aber existiert noch immer. Keiner der Fälle wurde von den Sicherheitsbehörden selbst aufgeklärt, geschweige denn verhindert. Auch uns als Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in Nordrhein-Westfalen (NRW) ist klar, dass ein längst wirksames Verbot der NPD nicht die Gewaltbereitschaft der rechtsextremen Szene eingedämmt hätte. Erst recht hätte es nicht mehr Schutz für die Opfer der erwähnten Fälle gegen – auch nicht für all die anderen Menschen, um die wir uns kümmern, weil sie täglich Opfer rechter Gewalt werden. Wir als Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in NRW wünschen uns vor allem mehr Sensibilität für rechte Gewalt. Das ist wichtiger als das Verbot einer Partei, die hierzulande wie im übrigen Westdeutschland keine Rolle mehr spielt. Unser Wunsch richtet sich an die gesamte Gesellschaft, vor allem aber an die Sicherheitsbehörden – und schließlich an die Politik. Statt über die Verbotsdebatte von den eigentlichen Problemen abzulenken, sollte sie sich um die Opfer kümmern und der weit verbreiteten Menschenfeindlichkeit entgegen wirken.
Politisch rechte Motivation erkennen
Zumal es das Wesen rechter Gewalt ist, dass sie oft Menschen trifft, die in der Mehrheitsgesellschaft wenig Gehör finden oder ganz allgemein angefeindet werden: Migrantinnen und Migranten sowie Andersdenkende. Dabei stellen wir fest, dass die meisten Übergriffe von Neonazis nicht als politisch motivierte Gewalttaten erkannt werden. So wie im Fall der Mordserie auf die migrantischen Kleinunternehmer, deren Motiv von den Ermittlungsbehörden in kriminelle Verstrickungen der Opfer selbst vermutet wurden. Was für ein Hohn! Der gleiche Hohn aber richtet sich fortwährend gegen politisch aktive Menschen, die ins Visier gewalttätiger Neonazis geraten. Gerade hier in NRW überziehen so genannte „Autonome Nationalisten“ ihre Gegner zunehmend mit Gewalt und Psychoterror. Seit rund sechs Jahren ist eine Zunahme der Gewalt von rechts zu beobachten. Diese Feststellung hat das Innenministerium gemacht, dem die meisten Fälle erst gar nicht bekannt werden. Denn vielen ermittelnden Beamtinnen und Beamten vor Ort fehlt es an der Sensibilität, eine Körperverletzung oder eine Sachbeschädigung als politisch motiviert zu erkennen. Und allzu häufig – berichten uns die Opfer –ist bei Strafanzeigen dieser Satz zu hören: „Da sind sie doch selber schuld!“ Selber schuld, wenn die Menschenfeindlichkeit, gegen die man sich stellt, in Gewalt umschlägt? Von Neonazis, für die der alltägliche Terror eine Methode in ihrem Kampf um die Deutungshoheit an Orten und Plätzen ist. Auf Bahnsteigen, Schulhöfen, auf dem Weg zum Fußballstadion oder am Rande eines Weihnachtsmarktes, wie wir es zuletzt in Dortmund erlebt haben: Dort wurden zwei türkischstämmige Jugendliche von einer Gruppe Neonazis brutal zusammengeschlagen. Einer der mutmaßlichen Täter hatte gerade erst eine Haftstrafe abgesessen, weil er einen jungen Mann erstochen hatte, der Stellung gegen die rechtsextreme Gesinnung des Täters bezogen hatte. War das Opfer damit Schuld an seinem eigenen Tod?
Wir als Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in NRW wünschen uns mehr Schutz für die Opfer durch mehr Sensibilität - auch für die weit verbreitete Menschenfeindlichkeit in der Mehrheitsgesellschaft.