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Als am vergangenen Dienstag Anwohnerinnen und Anwohner über ein geplantes Flüchtlingsheim in Hellersdorf informiert werden sollten, zeigte Berlin sein hässliches Gesicht.
Ein Kommentar von Ulla Scharfenberg
Dass die Menschen Asylsuchenden überwiegend ablehnend gegenüberstehen, ist leider nichts Neues. Die Art und Weise, wie diese Ablehnung geäußert wird, erschreckt im aktuellen Beispiel aber besonders. Längst vergessen geglaubte Vorurteile werden mit voller Ernsthaftigkeit vorgebracht („Flüchtlinge sind kriminell“) und gänzlich irrationale Ängste geäußert („Wer schützt unsere Kinder?“). Der Slogan der ominösen Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf, „Nein zum Heim!“ ist das neue „Deutschland den Deutschen“ geworden.
Wer an diesem späten Nachmittag auf dem Schulhof am Rosenhain dabei gewesen ist, kann nachvollziehen, wie es sich 1992 in Rostock-Lichtenhagen angefühlt haben muss. Neonazis, die offen ihre Hetze verbreiten, Bürgerinnen und Bürger, die in wütendem, ja aggressivem, Ton ihre rassistischen Vorurteile äußern. Die Grenzen sind fließend. Was ist da passiert?
Medien und Politik zeigen sich schockiert über die Geschehnisse. So etwas habe er noch nicht erlebt, sagt Franz Allert, Präsident des Berliner Landesamts für Gesundheit und Soziales und bezirksübergreifend verantwortlich für die Unterbringung Asylsuchender. Die NPD habe die Veranstaltung instrumentalisiert, meint Bezirksbürgermeister Stefan Konoß. Er ist mit dieser Deutung nicht allein. Wer hätte denn ahnen können, dass die Neonazis heute sogar Frauen vorschicken, um für ihre Sache zu werben? Ja, Herr Konoß: Nazis sind auch weiblich.
Aber ist es denn so einfach? Eine Versammlung besorgter Bürgerinnen und Bürger, die ihre „berechtigten“ Fragen zu Sicherheit und Ordnung stellen möchten, wird von Neonazis, die zu großen Teilen von außerhalb angereist seien, unterwandert. Dass diese Deutung nicht zutrifft, wird spätestens offensichtlich, wirft man einen Blick in die Facebookgruppe der Bürgerinitiative. Dort ist in nahezu jedem Kommentar die rassistische Grundhaltung der „Mitglieder“ zu lesen. Von genereller Ablehnung der Fremden, über übelste Hetze, bis hin zum offenem Aufruf, das Heim „samt Inhalt“ niederzubrennen.
Woher der ganze Hass kommt, ist nicht zu beantworten. Es fällt jedoch auf, dass neben den rassistischen Vorurteilen vor allem die eigene Unzufriedenheit der Schreiberinnen und Schreiber die Kommentare beherrscht. Immer wieder wird angeführt, dass Kitaplätze und Jugendeinrichtungen fehlen würden, dass für alle etwas getan würde, nur nicht für „das eigene Volk“. Folgender Kommentar ist exemplarisch: „Haben viel Geld in die Wohnung gesteckt.haben uns hier so wohl gefühlt und jetzt? Was ist mit unserem Auto mit dem Kinderwagen und unserer Sicherheit die Lautstärke.???? Ich finde es so unmöglich das hier soviele Menschen jetzt drunter leiden müssen die hier wohnen nur weil Deutschland wieder jeden retten will.(mehr schein als sein) für andere Länder sind sie da und wir dir hier wohnen,steuern zahlen,arbeiten gehen. Usw wir werden hintergangen und in Stich gelassen“, schreibt Sandra.*
Die „Meinung“ der Heimgegner ist eine bräunliche Mischung aus purem Rassismus („Ihr habt doch alle den knall nicht gehört dieser ecklige pack will hier keiner haben!!!“), Sozialneid („warum sollen denn nun schon wiede ausländer da hin haben die leute noch nicht genug von den leuten da mensch sollen sie die nachhause schicken und unser land in ruhe lassen unsere leute schmeißen die aus der wohnung weil sie die nicht mehr bezahlen können und leute aus fremden ländern bekommen ein obdach das kann nicht sein“), Politikverdrossenheit („Man muss sich fragen welche PARTEI man überhaupt noch wählt, da man von allen vor den Kopf gestoßen wird, es sind keine Volksvertreter sonder Volks eigende Betrüger, Diäten erhöhen und das Volk verarschen, immer recht so“) und gefährlichem Nationalchauvinismus („Wir zahlen Milliarden an Griechenland um ihr eigenes Versagen im Land wieder gutzumachen. Und was ist da der Dank? Schon wieder sind wir Nazis weil wir die Bedingung haben das unser Geld gut genutzt wird. Ich habe es langsam satt das wir ständig für andere hinhalten“).
Und noch eines fällt auf: Viele der Nutzerinnen und Nutzer wehren sich vehement gegen den Vorwurf des Rassismus. „Das ist ganz sicher nicht rassistisch gemeint, aber…“, ist da zu lesen, auch wird immer wieder beklagt, die Heimgegner würden pauschal als Nazis und Rassisten abgestempelt, was natürlich nicht zuträfe. Das ist ein typischer Mechanismus, der hier nicht zum ersten Mal zu beobachten ist. Die Hellersdorferinnen und Hellersdorfer sind genauso Teil der Gesellschaft, wie Thilo Sarrazin, Heinz Buschkowski oder Gunnar Schupelius, genauso wie Lehrerinnen, Polizeibeamte, Hausmeister, LKW-Fahrerinnen, Ärzte oder Journalisten. Niemand möchte ein Rassist sein, noch weniger sich als solcher bezeichnen lassen. Die Distanzierung vom Vorwurf ändert jedoch nichts an der Tatsache, nichts am rassistischen Gehalt der einzelnen Aussagen.
Rassisten sind in den allermeisten Fällen davon überzeugt, nicht rassistisch zu sein. Häufig aus dem „einfachen“ Grund, weil sie gar nicht wissen, was Rassismus eigentlich ist, bzw. wie es sich anfühlt, davon betroffen zu sein. In Hellersdorf kommt diesem Mangel an Kenntnis, der Verweigerung solche zu erlangen, oder der schlichten Ignoranz, ein lokales Phänomen hinzu. Viele Hellersdorferinnen und Hellersdorfer, auch solche, die den Bezirk schon lange verlassen haben, verfallen reflexhaft in einen Verteidigungsmodus, sobald Negatives über den Stadtteil geäußert wird.
Niemand mag Kritik am eigenen Herkunfts- oder Wohnort, im Falle von Hellersdorf entsteht die Abwehrhaltung aber auch aus jahrelangen Abwertungserfahrungen, die sich selten mit denen anderer Berlinerinnen und Berliner vergleichen lassen. Das vorherrschende Bild des Bezirks Marzahn-Hellersdorf ist ein grundsätzlich negatives, die Bewohnerinnen und Bewohner sind permanent gezwungen sich zu rechtfertigen und die Vorurteile zu entkräften. Sie fühlen sich als dumme, arbeitslose Ossis hingestellt, die rund um die Uhr RTL2 schauen und nun wird ihnen auch noch pauschal vorgeworfen rassistisch zu sein. Das schweißt zusammen. „Wir müssen jetzt zusammenhalten“, heißt es und dem „Nazi-Vorwurf“ erwidern nicht wenige trotzig: „dann bin ich das halt“.
Die Stimmung auf dem Schulhof am Dienstag, die Kommentare auf Facebook, die Ankündigung der NPD, am kommenden Samstag eine Berlinweite Protesttour gegen Asylsuchende zu starten – die Furcht vor dem, was noch passieren kann, ist nicht unbegründet. Es ist kaum vorstellbar, dass die schutzsuchenden Menschen tatsächlich in das ehemalige Max-Reinhardt-Gymnasium einziehen müssen. Kann man mit gutem Gewissen die Flüchtlinge der offenen Ablehnung (eines großen Teils) der Nachbarschaft aussetzen? Nein. Aber der Bürgerinitiative nachzugeben ist keine Option. Dann gewinnen die Rassisten, so einfach ist das. In Rostock-Lichtenhagen haben sie 1992 gewonnen, die angegriffenen Asylsuchenden und ausländischen Vertragsarbeiter wurden evakuiert, der Mob applaudierte.
Es ist ein echtes Dilemma. Und doch nicht hoffnungslos. Im Internet wurde noch am Abend der denkwürdigen Bürgerversammlung eine weitere Gruppe auf Facebook gegründet: „Hellersdorf hilft den Asylbewerbern“ heißt sie und hat nach nicht mal drei Tagen 5.000 Unterstützerinnen und Unterstützer gefunden. Viele bekunden ihre Solidarität mit den zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohnern des Heims, es werden fleißig Ideen gesammelt, wie man den Geflüchteten einen herzlichen Empfang bereiten kann und welche Möglichkeiten es gibt, sie in ihrem neuen „Zuhause“ zu unterstützen. Hier wird eine wichtige Basis geschaffen, die Menschen zeigen, dass Hellersdorf auch anders kann. Wenn die Ersten in das ehemalige Schulgebäude einziehen, werden Menschen da sein, um sie freundlich zu begrüßen.
„Ein anderes Hellersdorf ist möglich“, möchte man allen Anwohnerinnen und Anwohnern zurufen. Und daran glauben möchte man auch. Wenn die Nachbarschaft begreift, dass es Menschen sind, die bald in das Heim einziehen werden, keine „die da“ oder „sowas“, keine „Asylanten“ oder „Sozialschmarotzer“, dann wird ein friedliches Zusammenleben möglich sein. Empfangen ist schöner als Ablehnen, Teilen macht glücklich, verweigern nicht. Nachbarschaft kann zu Freundschaft werden und Feindschaft wünscht sich niemand.
Geben wir den Gegnerinnen und Gegnern des Heims die Chance, das zu verstehen. Dass es funktionieren kann, ist aktuell im brandenburgischen Wandlitz zu beobachten und auch an vielen anderen Orten in Deutschland. Auch wenn es gerade schwerfällt, daran zu glauben, wir haben keine andere Wahl. Die Hellersdorferinnen und Hellersdorfer pauschal und unwiderruflich als unverbesserliche Rassistinnen und Rassisten abzustempeln wird niemandem helfen, schon gar nicht den asylsuchenden Menschen, die sich ihren zukünftigen Wohnort nicht aussuchen können.
*Alle Zitate von der Seite der „Bürgerinitiative Marzahn-Hellersdorf“ wurden unkorrigiert übernommen.