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Deutschland peinlich Vaterland

Nach dem Versagen deutscher Sicherheitsbehörden, nach den Verdächtigungen der Angehörigen der NSU-Opfer hat der Prozess gegen Beate Zschäpe ein großes Ziel: Es soll das verlorene Vertrauen in Deutschland wieder herstellen. Das Vorgehen des Oberlandesgerichts bewirkt das Gegenteil.

Ein Kommentar von Marion Kraske, zuerst erschienen bei debattiersalon.de

Man stelle sich das vor: In der Türkei werden zehn Deutsche ermordet, immer wieder, über Jahre, macht es bumm, hinterrücks oder von vorne, ganz egal, Hauptsache draufhalten, einfach so, weil sie Deutsche, miese Deutsche sind. Die türkischen Behörden wollen trotz etlicher Indizien keine fremdenfeindlichen Motive erkennen. Wieso auch? Gab es nicht genug Hinweise darauf, dass die Toten verwickelt waren in dunkle Geschäfte? Am Bosporus laufen zwielichtige Ausländer aus allen Herren Ländern herum, man sah die Opfer regelmäßig, in teuren Restaurants, mit teuren Uhren und hochbeinigen Frauen am Arm. Kriminelle eben – die Täter, das liegt nahe, kamen auch aus diesem Milieu. Woher wohl sonst?

Dann das böse Erwachen: Die heimtückischen Taten, sogenannte Kraut-Morde, wurden verübt von einer kleinen Zelle Radikaler, die einen Hass auf alles Deutsche mit sich herum trugen. Einen Hass, der sie Jahre lang mordend durchs Land ziehen ließ. Ein Hass, der grenzüberschreitend für Empörung sorgte. Vor allem in Deutschland.

Dann der Prozess: Das Gericht in Istanbul wählt für den aufsehenerregenden Prozess einen kleinen Gerichtssaal, in dem normalerweise läppische Familien-Streitigkeiten verhandelt werden. Sicherheitsrisiken werden geltend gemacht. Das Gericht vergibt nach Gutsherrenart die begehrten Sitzplätze für Journalisten, nur um sich nachher hinter vermeintlichen gesetzlichen Vorgaben zu verstecken. Am Ende ergattert kein einziges deutsches Medium einen Platz für den Prozess, in dem die rassistische Tötungsserie verhandelt werden soll. Der Aufschrei in Deutschland ist groß. Erst die barbarischen Taten und nun das unzivile, unmenschliche Verhalten des Gerichts!

Undenkbar? Undenkbar.

Nur in Deutschland ist das Undenkbare machbar, es wird derzeit von der Münchener Justiz im Falle des in Kürze startenden NSU-Prozesses praktiziert. Zehn Morde gingen auf das Konto der NSU-Zelle, die meisten von den Opfern waren türkischer Herkunft. Das Vorgehen des Oberlandesgerichts ist daher peinlich und infam. 123 Journalisten meldeten sich zur Akkreditierung an, KEIN einziges Medium aus der Türkei kam zum Zuge. Angeblich wurden die Zusagen nach der Reihenfolge der Eingänge berücksichtigt. Glaubhaft ist das nicht. Wieso sollten sich alle ausländischen Medien, auch renommierte englisch-sprachige allesamt zu spät angemeldet haben? Und wenn doch: Wäre es nicht in jedem Falle die Pflicht des Gerichts, dann eine adäquate Auswahl zu treffen, um die speziellen Interessen an einem solchen Verfahren zu berücksichtigen? Dass das Gericht diese Pflicht nicht sah, ist ein Armutszeugnis.

Wie engstirnig das Gericht agiert, zeigte sich auch, als es zunächst Tauschaktionen der Journalisten untereinander verbieten wollte. Deutsche Medienvertreter wollten aus Scham darüber, dass das Gericht keine vernunftgesteuerte Lösung anzubieten hatte, ihre Plätze mit türkischen Kollegen teilen. Erst kam das kategorische Nein des Gerichts, nun – nach einem weiteren Aufschrei der Öffentlichkeit – können immerhin türkische Kollegen nachrücken, wenn deutsche Kollegen ganz auf ihren Platz verzichten.

Wegen des unseligen Gezerres um die kostbaren Sitze im Saal steht das Gericht bis auf die Knochen blamiert da. Deutsche Beamte, die Dienst nach Vorschrift machen, sich hinter fragwürdigen Regeln verschanzen und nicht erkennen, dass ihr Tunnelblick und der ganz offensichtliche Unwille für Lösungen, die der Tragweite des Verfahrens gerecht werden, dem Ansehen des Landes nachhaltig schaden. Deutschland peinlich Vaterland.

Auch bei der diskutierten Frage der Videoübertragung in einen anderen Saal beweisen die Verantwortlichen des Oberlandesgerichts, dass sie der Verantwortung für diesen Prozess nicht gewachsen sind. Führende Strafrechtler sehen kein Problem in einer solchen Lösung, um einem größeren Kreis von Zuschauern zu ermöglichen, den Prozess live mit zu verfolgen. Unter ihnen ist auch der Münchener Strafverteidiger Werner Leitner, der immerhin zum Thema „Videotechnik im Strafverfahren“ promoviert hat. Es gäbe somit Möglichkeiten, wenn das Verantwortungsbewusstsein des Gerichts funktionieren würde. Dies scheint nicht der Fall.

Dass auch die bayerische Justizministerin keine Möglichkeit (oder keinen Anlass) sieht, dem blinden Treiben des Gerichts zu begegnen („Es ist nun so gemacht. Das darf und will ich nicht kommentieren.“) passt ins Bild. Augen-zu-und-Durch-Mentalität statt wacher Problemorientierung, um das Schlimmste noch abzuwenden. Warum sollte ein Gespräch mit der Gerichtsleitung, warum sollte eine vernunftgesteuerte Lösung, die auch der Opferseite gerecht würde, die Grundfeste der unabhängigen Justiz ins Wanken bringen?

Schließlich ist der Prozess gegen Beate Zschäpe und mutmaßliche Unterstützer kein normaler Prozess. Die zehn Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds, begangen an Menschen, die in Deutschland eine zweite Heimat fanden, stellen einen tiefen und traurigen Einschnitt in unserer Geschichte dar. Die Taten waren monströs, eine derartige Mordserie, verübt aus Menschen verachtendem Fremdenhass – sie sind es, die das gesellschaftliche Fundament dieses Landes bedrohen.

Das Gericht hat augenscheinlich Angst vor diesen Ausmaßen. Angst aber ist kein guter Ratgeber. Statt der grenzüberschreitenden und Grenzen überschreitenden Dimension des NSU-Falles Rechnung zu tragen, duckt sich das Gericht weg, macht sich klein, wie der Hase, der im Feld nicht entdeckt werden will. Vorschriften sind Vorschriften. Mit dieser Haltung, das beweist die deutsche Geschichte, ist bereits viel angerichtet werden. Mit so einer Haltung, das beweist nun das Vorgehen des Oberlandesgerichts, ist ein moralisch verantwortungsvolles Handeln nicht möglich. Angst macht klein, klein sind auch die Taten, die aus einer solchen Haltung erwachsen.

Dabei wäre genau das Gegenteil das Gebot der Stunde: Nach dem fortgesetzten Versagen deutscher Sicherheitsbehörden, nach den fortgesetzten Verdächtigungen der Angehörigen der Getöteten hat der Prozess gegen Beate Zschäpe neben der eigentlichen Rechtsprechung ein höheres, übergeordnetes, großes Ziel: Es soll das verlorene Vertrauen in Deutschland wieder herstellen. Bei den Familien der NSU-Opfer, bei jenen Menschen mit fremden Wurzeln, die in Deutschland leben und die die Tötungsserie samt des unverzeihlichen Behördenversagens tief verunsichert haben, aber auch im Ausland, allen voran in der Türkei, dem Herkunftsland der meisten Opfer.

Vertrauen lässt sich nicht mit kleiner Beamtenmentalität und der Angst, etwas Falsches zu tun, wieder herstellen. Es bedarf einer angemessenen Sensibilität, den richtigen Gesten, ja vor allem Großzügigkeit im Denken und im Handeln. Die Welt schaut auf Deutschland. Und schon im Vorfeld des Prozesses ist es zum Schämen.
 
Marion Kraske, studierte Politologin, ist freie Journalistin, Kolumnistin und Buchautorin. In ihrem 2009 erschienenen Buch „Ach Austria. Verrücktes Alpenland“ (Molden-Verlag) zeigt Kraske unter anderem die Problematik des geistigen Rechtsextremismus in Österreich auf. Sie ist außerdem Gründerin des Polit-Blogs www.debattiersalon.de.

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