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für Engagement
Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Rechtsextreme werden in meiner Stadt aktiv, haben eine Aktion angekündigt, einen Treffpunkt aufgemacht oder jagen Menschen Angst ein. Hinnehmen sollte das niemand. Doch worauf sollte achten, wer sich in seinem Heimatort gegen Neonazis engagieren und ein Projekt initiieren will? Wie baut man eine Gruppe auf, kontaktiert die Presse, sammelt Spenden und gestaltet eine Homepage?
Von Holger Kulick
Es muss nicht gleich ein Verein sein. Zunächst reicht es, eine Arbeitsgruppe einzurichten, sei es an der Schule, Universität, im Betrieb oder unter Freunden. Mindestens zu dritt sollte man sein und mit Aushängen, kleinen Klebezetteln, Telefonrundrufen oder Rundmails für sich werben. Es ist sinnvoll für das erste Treffen drei verschiedene Termine anzubieten. Der Termin, der den meisten Zuspruch erhält, wird zum Gründungsdatum. Wichtig ist, dann ein klares Ziel zu definieren und sich über die Wege zu einigen, die dorthin führen sollen. Damit verbunden ist eine klare Aufgabenverteilung und die Festschreibung einer Zeitschiene, bis wann wer was erledigt hat. Der Austausch von Telefonnummern und E-Mail-Adressen ist unerlässlich.
Erstes Spendensammeln: Das Prinzip 10x50
Für die ersten Werbemaßnahmen wie z.B. Plakate, Flugblätter oder ''Spuckies'' (preiswerte Aufkleber zum Befeuchten mit Spucke) braucht man Startkapitel. Es liegt nahe, dass zunächst die Gründungsmitglieder etwas Geld zusammenlegen, aber vielleicht hat einer der Akteure auch kostenlos einen Fotokopierer zur Verfügung und ein anderer ein besondes grafisches Talent für das Plakat-Design. In der zweiten Stufe, dann, wenn es etwa um eine Publikation, den Druck von Plakaten oder die Miete für Technik oder einen Veranstaltungsaal geht, gilt es gezielt Mitfinanziers oder Sponsoren zu suchen. Es lohnt sich in der Regel örtliche Geschäftsleute nach dem Prinzip "10x50" anzusprechen. Zehn respektierte Unternehmer vor Ort werden gebeten, jeweils 50 oder 100 Euro in die Startkasse zu spenden. Das ist keine Überforderung und in einer Kleinstadt durchaus gemeinschaftsbildend. Einen kostenlosen Tagungs-Raum stellt vielleicht auch einer der Angesprochnen zur Verfügung. Auch an Schulen funktioniert das gut. Zehn Lehrer spenden jeweils 5 oder 10 Euro, jeder Schüler einen. Auf diese Weise kommt schnell ein Grundstock für erste Arbeitsmaterialien zusammen.
Vernetzung ist das A und O
Damit ist allerdings noch keine Breitenwirkung erzielt. Die Gruppe muss sich gut vernetzen, um möglichst viele Mitakteure zu gewinnen. Deshalb Kontakt mit Ansprechpartnern aus Kirchen, örtlichen Vereinen, Unternehmen und den demokratischen Parteien aufnehmen! Wer aus der Gruppe kann das auf die sympathischste Art? Wer hat schon viele Kontakte? Wichtig ist, dass sich die Gruppe nach außen möglichst überparteilich verhält. Mit mindestens sieben Leuten besteht die Möglichkeit einen Verein zu gründen – für Vereine finden sich auch einfacher Sponsoren. Ratsam ist es, dann einen Anwalt oder zumindest kompetenten Jurastudenten an Bord zu haben, da das Vereinsrecht ziemlich kompliziert ist (mehr Tipps dazu unter www.vereinsrecht.de bzw. www.socialnet.de ). Auch Tipps und Informationen von bereits bestehenden Initiativen sollten eingeholt werden.
Wie macht man auf die Gruppe aufmerksam?
Will der Verein oder die Initiative kontinuierlich arbeiten, empfiehlt es sich, regelmäßig auf sich aufmerksam zu machen. Dies kann durch Kleinveranstaltungen geschehen, zu denen Referenten eingeladen werden, Filme gezeigt oder lehrreiche Stadtspaziergänge organisiert werden, zum Beispiel über die Geschichte von Naziopfern in der Stadt. Von hohem Nutzen ist es, eine stadtbekannte Persönlichkeit als Mitakteur zu werben. Damit ist der "Aufmerksamkeitsgrad" und der "Mitmacheffekt" gleich höher.
Wichtig ist vor allem regelmäßige Öffentlichkeitsarbeit. Werden Flugblätter verteilt oder Plakate aufgehängt ist ein Eintrag mit einer Kontaktadresse wichtig, denn Druckerzeugnisse brauchen ein "V.i.S.d.P." (Verantwortlich im Sinne des Pressegesetzes). Grundlegend empfiehlt es sich, gute Kontakte zur regionalen Presse aufzubauen. Wichtige Lokalreporter sollten von Beginn an einbezogen werden. Sie sollten zu Hintergrundgesprächen eingeladen und regelmäßig über Planungen informiert werden. Termine von Pressekonferenzen sollten mehrfach mitgeteilt werden: Mindestens eine Woche zuvor und zwei Tage vor der Veranstaltung noch einmal mit einer „freundliche Erinnerung“. Beim Anruf in einer Redaktion nach dem für das Thema zuständigen Kollegen fragen und gut auf das Telefonat vorbereitet sein. Journalisten haben „nie Zeit“. Deshalb sollte das Anliegen binnen einer Minute erläutert sein. Das kann man gut in einem Aufzug üben: Im Verlauf einer Fahrstuhlfahrt muss alles erklärt sein, der Gesprächspartner kann nicht ausweichen, aber wenn die Tür wieder aufgeht, huscht der Ansprechpartner weg...
Die ideale Pressekonferenz
Was man außerdem beachten sollte: Pressekonferenz- und Veranstaltungs-Termine an Freitagen sind ungünstig, dann haben viele Zeitungen früher Redaktionsschluss und der Stress in den Redaktionen ist besonders groß, weil alle ins Wochenende möchten. Zeitlich sind die späten Vormittagsstunden für Pressekonferenzen optimal. Die Zahl der Redner sollte in der Regel drei nicht überschreiten, sonst verrinnt die Zeit und Journalisten fehlt die Gelegenheit zum Nachfragen. Länger als eine Dreiviertelstunde für solch einen Termin haben Reporter selten. Eine vorbereitete Presseerklärung sollte eine Seite nicht überschreiten, das WER? WAS? WANN? WO? Und WARUM knapp erläutern und griffige Zitate anbieten. Und für Nachfragen bitte unbedingt die Telefonnummer eines festen Ansprechpartners mitteilen, auf den sich die Gruppe geeinigt hat. Nicht vergessen, das Podium auch attraktiv für Fotografen zu gestalten, dazu gehört deutlich sichtbar ein Banner, Plakat oder Logo mit dem Namen der Initiative. Bei Veranstaltungen schon auf der Einladung eine Vorsichtsmaßnahme ergreifen und mitteilen: Nazis haben keinen Zutritt und vom Hausrecht wird ggf. Gebrauch gemacht.
Gegenüber Medien ist auch hilfreich, gezielt Wochenwerbeblätter anzusprechen, beispielsweise, in dem man deren Redaktionen aufsucht. Sie suchen in der Regel händeringend nach Lesestoff mit lokalem Bezug. Der Vorteil: Diese kostenlosen Zeitungen landen in jedem Haushalt, eine eigene Tageszeitung wiederum leistet sich nicht jeder.
Vor Demonstrationen nicht vergessen: Journalisten berichten um so eher, wenn ihnen klare Fakten und ein origineller Einfall, ein gutes Bild versprochen wird. Hier heißt es: Kreativ sein! Oft haben Journalisten aber zu viele Termine zur gleichen Zeit. Deshalb Lokalzeitungen auch anbieten, nach einer Veranstaltung selber eine kurze Reportage oder einen konzentrierten Pressetext zu verfassen und mit einem Foto (in guter Auflösung) an die Redaktion zu mailen.
Unerlässliches Hilfsmittel: das Internet
Da Zeitungen oder auch Lokalrundfunk in der Regel nur sporadisch über das Anliegen der Initiative berichten werden, ist es ausgesprochen sinnvoll, für Interessierte eine ständig aktualisierte Internetseite zu schaffen. Drei Formen bieten sich an:
* Eine individuelle Homepage oder ein Blog mit dem Themenschwerpunkt Rechtsextremismus.
* Eine Homepage für eine Initiativgruppe, die kontinuierlich aktualisiert wird, über ihr Engagement informiert und eventuell Spenden einwirbt.
* Eine Website, die nur für ein spezifisches Event wirbt, zum Beispiel eine Demonstration oder ein Konzert.
Die ersten Schritte zum eigenen Web-Auftritt
Individuelle Homepages kann jedermann zunächst kostenlos einrichten, z.B. bei myspace. Für junge Leute empfiehlt sich auch eine Gruppe im Schüler- oder StudiVZ anzulegen. Später lässt sich das auch auf eigene Domains ausbauen. Jan R., ein Ilmenauer Student, startete so 2006 zunächst ein Forum über Neonazis in seiner näheren Umgebung unter „www.myblog.de/bluejax“. Er holte sich dafür Rat bei erfahrenen Webanbietern, z.B. darüber, wie er mit Drohungen aus der rechtsextremen Szene umgehen soll und fragte andere Initiativen, ob er sie verlinken darf. Websites wie www. mut-gegen-rechte-gewalt.de erlauben das prinzipiell. Inzwischen hat er sein Hobby zum Studieninhalt gemacht und betreibt zusätzlich die Website www.bluejax.net, die sich längst auch anderer zeitkritischer Themen annimmt.
Ein beispielsetzendes Projekt, das von Anbeginn auch eine vielseitige Website aufgebaut hat, ist das ABC-Pößneck in Thüringen: www.abc-poessneck.de dient zur Vernetzung der Mitglieder der Gruppe und zur Information Neugieriger. Sie bietet zahlreiche Features wie ein Gästebuch, Umfragen, Presseinfos sowie Veranstaltungskalender.
Zum Gästebuch gehört selbstverständlich eine Hausordnung: "Das Aktionsbündnis Courage distanziert sich ausdrücklich von allen Einträgen im Gästebuch und im Forum. Wir haben keinen Einfluss darauf, wer was in unser Forum posted. Seien Sie sich im Klaren darüber, dass extremistische, das 3. Reich verherrlichende Einträge gelöscht werden."
Link-Disclaimer als Juristische Absicherung
Wichtig sind auch juristische Vorkehrungen. Das ABC-Pößneck hat dies relativ vorbildlich gelöst: Im notwendigen Impressum finden sich zwei nützliche rechtliche Vorbehalte, der Link-Disclaimer und eine Notiz zum Urheberrecht, beides kann unter Umständen helfen, viel Ärger und Kosten zu sparen, ist aber keine Garantie. Beim ABC-Pößneck lauten sie so:
"Mit Urteil vom 12. Mai 1998 hat das Landgericht Hamburg entschieden, dass man durch die Ausbringung eines Links die Inhalte der gelinkten Seite ggf. mit zu verantworten hat. Dies kann, so das LG, nur dadurch verhindert werden, dass man sich ausdrücklich von diesen Inhalten distanziert. Ich habe auf meiner WebSite Links zu anderen Seiten im Internet gelegt. Für alle diese Links gilt: Ich möchte ausdrücklich betonen, dass ich keinerlei Einfluss auf die Gestaltung und die Inhalte der gelinkten Seiten habe. Deshalb distanziere ich mich hiermit ausdrücklich von allen Inhalten aller gelinkten Seiten auf meiner Website. Diese Erklärung gilt für alle auf meiner Website ausgebrachten Links und für alle Inhalte der Seiten, zu denen die Banner und Links führen."
Wichtig: Von der Mit-Verantwortung für verlinkte Websites entlässt eine solche Formulierung im Ernstfall nicht. Auch zum Urheberrecht hat das ABC-Pößneck eine Musterformulierung parat:
"Der Autor ist bestrebt, in allen Publikationen die Urheberrechte der verwendeten Grafiken, Sounds und Texte zu beachten, von ihm selbst erstellte Grafiken, Tondokumente, Videosequenzen und Texte zu nutzen oder auf lizenzfreie Grafiken, Sounds und Texte zurückzugreifen. Sollte sich auf den jeweiligen Seiten dennoch eine ungekennzeichnete, aber durch fremdes Copyright geschützte Grafik, ein Tondokument, eine Videosequenz oder Text befinden, so konnte das Copyright vom Autor nicht festgestellt werden. Im Falle einer solchen unbeabsichtigten Copyrightverletzung wird der Autor das entsprechende Objekt nach Benachrichtigung aus seiner Publikation entfernen bzw. mit dem entsprechenden Copyright kenntlich machen. Das Copyright für veröffentlichte, vom Autor selbst erstellte Objekte bleibt allein beim Autor der Seiten. Eine Vervielfältigung oder Verwendung solcher Grafiken, Sounds oder Texte in anderen elektronischen oder gedruckten Publikationen ist ohne ausdrückliche Zustimmung des Autors nicht gestattet."
Beim Provider Sozialrabatt nachfragen
Eigene Websites lassen sich heutzutage relativ kostengünstig, gegebenenfalls sogar kostenlos einrichten. Manche Provider geben auch "Sozialrabatt" für Initiativen. Wichtig ist, Euch einen griffigen Domain-Namen auszudenken, den man sich leicht einprägen und den auch Google schnell einordnen kann. Fast noch wichtiger ist, dass sich mindestens einer aus der Gruppe für die Website verantwortlich fühlt und auch über ein entsprechendes Zeitbudget verfügt. Denn eine einigermaßen aktualisierte Website mit einem moderierten Forum erfordert im Minimum ein bis zwei Stunden Arbeit am Tag!
Etwas weniger aufwändig sind Websites, die nur zu einem Anlass eingerichtet werden, sei es für einen Demonstrationsaufruf oder ein Konzertprogramm. Auf Werbezetteln bzw. Flugblättern wird dann auf die Website hingewiesen, auf der sich alle wichtigen Aktualisierungen, Fotos und Details zum Programmablauf finden. Ein Beispiel ist www.leipzig-courage-zeigen.de, ein kostenloses Konzert-Event gegen Nazis, das jährlich Ende April vor dem Leipziger Völkerschlachtdenkmal stattfindet.
Learning by Doing
Auch das sollte beherzigt werden: Sich nicht abschrecken lassen, wenn manche andere Website beneidenswert perfekt aussieht - alle technischen Kniffe lernt man nur durch das Prinzip "learning by doing". Auch die eigene Website wird sich "steigern". Wenn sie eingerichtet ist, sollte man auch seine Regionalzeitung davon überzeugen, darauf aufmerksam zu machen.
Was sollte noch beachtet werden? Bittet einen guten Freund oder eine Freundin, auf frisch geschriebene Texte zu schauen und sie gegenzulesen. Dieses "Vier-Augen-Prinzip" lohnt sich, um Sinn- und Tippfehler schnell zu beheben. Am Monitor übersieht man oft doch sehr viel.
Und wenn Neonazis schreiben, die Initiative beschimpfen oder drohen? Erst einmal entspannt bleiben und im Zweifel der Polizei melden. Eigentlich kann sich die Initiative sogar freuen, denn der Internetauftritt und das Anliegen wird augenscheinlich ernst genommen. Denn nichts fürchten Neonazis mehr, als dass sich Leute gegen sie wehren, über sie aufklären und somit auch Verunsicherung bei der eigenen Klientel schaffen. Wichtig ist, Bedrohungen umgehend öffentlich zu machen und dabei deutlich zu machen, dass dies keineswegs verunsichert, sondern dass sich auf diese Weise zeigt, wie wichtig es ist, sich konsequent gegen solche Leute zu engagieren.
Zum Schluss: Förderanträge stellen
Hat eine Initiative durch ihr Engagement (und den Einfallsreichtum ihrer Mitglieder) in der Kommune sicher Fuß gefasst und besteht die Übereinkunft weiter zu handeln, sollten nicht nur Spenden gesammelt, sondern auch Fördermittel beantragt werden. Dazu im Rathaus und Landratsamt fragen, ob es lokale Aktionspläne gegen Rechtsextremismus gibt, in deren Rahmen Mittel beantragt werden könnten. Auch bei Einrichtungen wie der „Amadeu-Antonio-Stiftung“ nachfragen, die einige Kleinprojekte gegen Rechtsextremismus und Antisemitismus fördert, aber auch eine Nachfrage bei der www.aktion-mensch.de oder der Initiative des Bundesfamilienministeriums www.vielfalt-tut-gut.de.
Auch um Preise bemühen lohnt sich. Das Bündnis für Demokratie und Toleranz ehrt jährlich bundesweit zahlreiche "best-practice-Beispiele" mit Zuschüssen von bis zu 5.000 Euro, mehr darüber unter: http://www.buendnis-toleranz.de.
Eine besonders kreative Initiative, die auf Anhieb mehrere Auszeichnungen erhielt, ist das Bürgerforum Gräfenberg (www.graefenberg-ist-bunt.de). Ihr Sprecher Michael Helmbrecht hat dazu weiterführende Tipps formuliert. Der Titel: Kreativ demonstrieren. Aber wie? Mehr dazu unter: http://www.bpb.de/themen/XJ6ZHA,0,Kreativ_demonstrieren_Aber_wie.html
Hier noch mehr Antworten auf häufig gestellte Fragen auf der Fachwebsite der Bundeszentrale für politische Bildung www.bpb.de/rechtsextremismus, die von der MUT-Redaktion zusammengestellt wird.
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Foto aufgenommen in Dresden: H.Kulick