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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
In Deutschland gibt es rivalisierende rechtsextremistische Parteien nebeneinander. Diese Zersplitterung ist zweifellos eine, mit Sicherheit aber nicht die alleinige Ursache dafür, dass diese nicht dieselben Erfolge feiern können, wie ähnliche Parteien in Frankreich, Italien oder Österreich.
In Westdeutschland lassen sich bis 1990 drei Erfolgswellen des organisierten Rechtsextremismus anhand der Mitgliederentwicklung herausarbeiten:
Phase 1: Gründungszeit der Bundesrepublik (1945-1965).
Dominiert von den Nachwirkungen des 3. Reiches, aber dann geprägt von der überraschend schnell wachsenden Integrationskraft des demokratischen politischen Systems und von ökonomischem Wachstum.
Die parteiförmigen Organisationen der extremen Rechten konnten bis ca. 1953 in Gestalt der Deutschen Reichspartei (DRP) oder der Sozialistischen Reichspartei (SRP) verschiedene kleinere Wahlerfolge feiern. Nach dem Verbot der SRP im Jahre 1952 fristeten rechtsextreme Parteien ein Schattendasein. Das änderte sich erst mit der Gründung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) im November 1964 und der für sie günstigen gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen.
Phase 2: 1966-1982.
Geprägt von ökonomischem Abschwung und einem Mangel an parlamentarischer Opposition während der Großen Koalition.
Das hierdurch entstehende politische Vakuum auf der extremen Rechten wurde vor allem ausgefüllt durch die NPD, die ab Ende 1966 eine Serie spektakulärer Wahlerfolge erzielen konnte (u.a. insgesamt 61 Landtagssitze in sieben Länderparlamenten). Bei der Bundestagswahl 1969 verfehlte die NPD die 5%-Hürde jedoch knapp mit 4,3% der Stimmen (1,4 Millionen Wähler). Dieses als Niederlage empfundene Ergebnis führte zu einer inneren Krise der NPD, die die programmatischen und taktischen Gegensätze zwischen dem aktionistisch-revolutionären und dem eher intellektuell-gemäßigten Flügel voll zutage förderte. Schließlich machten sich jene nationalkonservativen Kräfte selbstständig, die für eine Kooperation mit den rechten Flügeln von CDU und CSU eintraten. In diesem Zusammenhang entstand im Jahre 1971 die Deutsche Volksunion (DVU) des Gerhard Frey.
Phase 3: Seit 1983
Geprägt vom Einklagen der von Helmut Kohl vor seinem Wahlsieg 1983 angekündigten „geistig-moralischen Wende“. In ihrer Oppositionszeit ließ die Union keine Gelegenheit aus, sich als Dachverband aller Rechten und konservativ-national Gesinnten zu etablieren. Hierdurch wurden Erwartungen geweckt, die die Union nach der Regierungsübernahme nicht einlösen konnte – und wollte.
Vorher unter Mithilfe von CDU/CSU gegründete neokonservative Zirkel warteten vergeblich auf die Revitalisierung der bürgerlich-traditionellen Familie oder die Rehabilitierung von althergebrachten Traditionen und Werten. In diesem von Enttäuschung geprägtem politischen Klima konnte sich der Rechtsextremismus wieder entfalten. Ein Ergebnis war die Gründung der Republikaner (REP) im November 1983 durch zwei ehemalige CSU-Bundestagsabgeordnete, Franz Handlos und Ekkehard Voigt, sowie den Journalisten Franz Schönhuber.
Begünstigt durch europäische bzw. globale Entwicklungen, wie sozialer Wandel, Massenarbeitslosigkeit, Wertewandel, Migrationsbewegungen, Asylproblematik oder dem Bedeutungsverlust der Nationalstaaten – um nur einige Themen zu nennen –, erzielten rechtsradikale Parteien ab Mitte der 80er Jahre wieder Wahlerfolge. Die größten Erfolge feierten die relativ jungen Republikaner im Januar 1989 mit sehr beachtlichen 7,5% der Stimmen und elf Mandaten im Berliner Abgeordnetenhaus, sowie über zwei Millionen Stimmen bei der Europawahl im Juni 1989 (7,1%, sechs Sitze). Nie vorher oder nachher konnte eine rechtsradikale Partei so viele Stimmen in einer bundesweiten Wahl verbuchen.
Nach 1990
Mit der deutschen Einheit erhielt die Erfolgswelle der dritten Phase des westdeutschen Rechtsextremismus einen zusätzlichen Schub. Der gesamtdeutsche Rechtsextremismus begann auf einem sehr hohen Niveau. Nach Öffnung der Mauer setzte eine äußerst eifrige Propagandatätigkeit der westdeutschen Parteien und Gruppen in der DDR ein. Diese Bemühungen gingen nicht ins Leere, hatte sich doch in der DDR trotz der offiziellen Antifaschismusdoktrin eine ansehnliche rechtsextreme Szene gebildet, die in nicht geringen Teilen der Bevölkerung Zustimmung erfuhr. Im Jahr 2001 gab es in Gesamtdeutschland ca. 40.100 rechtsextrem organisierte Personen.
Wer die gegenwärtige Situation des Rechtsextremismus in Ost- und Westdeutschland vergleicht, gelangt zu dem Befund, dass der Rechtsextremismus im Westen überwiegend durch Organisationen wie Parteien, Verbände oder auch Verlage geprägt ist, während im Osten der eher spontane, dafür aber besonders aggressive Aktionismus vorherrscht. Der Rechtsextremismus ist in den neuen Ländern offenbar vorwiegend subkultureller Natur und stark bewegungsorientiert d.h. nicht parteilich organisiert (Skinheads, Kameradschaften etc.). Daher wird zu Recht davor gewarnt, den Rechtsextremismus in Ostdeutschland nur aus der institutionellen Perspektive zu sehen. Diese ignoriert die mentale Verwurzelung der Subkulturen und Szenen vor Ort, deren Bedeutung sich nicht durch Mitglieder- und Wählerzahlen erschließen lässt. Derzeit stagniert das Organisationswesen parallel zu einer wachsenden Gewaltbereitschaft und einem Bedeutungsgewinn der Subkulturen.
Standpunkte. Erziehung für Demokratie • gegen Rechtsextremismus, CD-Rom für LehrerInnen. RAA Berlin e.V. / LISUM 2002