Sie sind hier

"Wir" und die "Anderen"


Rassismus hat unterschiedliche Facetten und Erscheinungsformen – auch jenseits organisierter Neonazisstrukturen. Das Antidiskriminierungsbüro Sachsen hat eine detailreiche Broschüre zum Thema "Rassismus in Sachsen" herausgegeben.


„Rassismus ist ein weiter gehendes Problem“, sagt Sotiria Midelia vom Antidiskriminierungsbüro Sachsen (ADB). „Staatliches und zivilgesellschaftliches Augenmerk richtet sich vor allem auf die Bedrohung von Neonazis“. Diese Bedrohung zu problematisieren sei natürlich wichtig. „Doch Alltagsrassismus in der Schule, auf dem Arbeitsmarkt oder in Behörden ist zu selten Thema oder wird gar tabuisiert“, so Midelia weiter. In der neuen Broschüre des ADB wird ein facettenreiches Bild von Rassismus gezeichnet. Initiativen und Expertise aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen beleuchtet das Problem – von seinen Ursachen bis hin zu möglichen Lösungsansätzen.

Die Anderen

„Rassismus als Ordnungssystem ordnet jeden Menschen einer von zwei Gruppen zu: der Gruppe der Merheitsdeutschen oder der Gruppe der Anderen“, heißt es im Artikel „Rassismus auf Sächsisch“ vom ADB in der Broschüre. „Mehrheitsdeutsche betrachten sich in der Regel als ‚farbenfrei’/’farblos’ und meinen damit außerhalb der rassistischen Ordnung zu stehen“, so das ADB weiter. Individuelle Unterschiede finden in dieser Unterteilung kaum Platz und die weiße Mehrheitsgesellschaft begreift nicht ihre Position in diesem Gefüge. Wenn es um Migration und Rassismus geht, fällt schnell das Stichwort „Integration“. „Charakteristisch an der hiesigen Integrationspraxis ist die Orientierung an nationalen Normen und Werten“, schreibt die Gruppe LExil in ihrem Beitrag. Dabei fehle aber stets die Frage nach Ursprung und Entwicklung dieser Normen. Die migrantische Perspektive komme nicht vor. Grundsätzlich gehe es in bei Integrationsdebatten um „Anpassungsanforderungen“ an Migrantinnen und Migranten. Die „Anderen“ müssen sich integrieren. Dass dabei beide Gruppen – das „Wir“ und die „Anderen“ – in sich schon sehr verschieden sind, wird dabei nicht bedacht. Wer soll sich eigentlich wohinein integrieren?

Von mangelnder gesundheitlicher Versorgung bis Alltagsrassismus

Nach Schätzungen leben in allein in Leipzig ca. 4.000 bis 10.000 Menschen ohne Papiere. „Illegalisierung bringt die Menschen in eine Lebenssituation, in der ihnen jegliche Rechte verwehrt werden“, schreibt Ulrike Mölle vom Medinetz Leipzig. Bei der gesundheitlichen Situation verschärfe sich diese Situation. Die im Asylbewerbeileitstungsgesetz festgeschriebene Minimalbehandlung sei völlig unzureichend. Doch auch wenn der Aufenthalt geklärt ist oder Menschen sowieso schon seit ihrer Geburt in Deutschland leben, müssen sie Erfahrungen mit alltäglichem Rassismus machen. „Im öffentlichen Raum werden Personen gelegentlich von Polizeibeamten nach ihrer Identität befragt bzw. ihre Dokumente überprüft“, schreibt Walid Adb El Gawad von VASA. „Am Bahnhof Chemnitz werden nach Ankunft von Zügen gezielt ausländisch aussehende Personen kontrolliert“, so El Gawad weiter. Wer weiß ist, wird natürlich nicht kontrolliert. Auch in sächsischen Schulen ist Rassismus verbreitet. Nach den quantitativen Auswertungen der Projekttage des „Netzwerks für Demokratie und Courage“ beispielsweise haben 71 Prozent der sächsischen Schülerinnen und Schüler mehr oder weniger rassistische Vorurteile.

Anlaufstelle bei Diskriminierung

Für das umfangreiche Problem Rassismus, braucht es verschiedene Lösungsansätze. Das ADB ist zentrale Anlaufstelle für von Diskriminierung Betroffene in Sachsen. Diskriminierung und Benachteiligung aufgrund von rassistischen oder ethnischen Zuschreibungen, des Geschlechts, der sexuellen Identität, einer Behinderung, des Lebensalters und der Religion bzw. Weltanschauung stehen dabei im Fokus des ADB. Damit ist es bundesweit die einzige Anlaufstelle, die sich mit allen diesen Diskriminierungstatbeständen beschäftigt. Das ADB bietet dazu beispielsweise Seminare zum Antidiskriminierungsrecht bis hin zu Workshops über Strategien gegen Mobbing an. Wichtig ist in der konkreten Arbeit vor allem, Betroffenen zeitnah und direkt durch Einzelfallhilfe mit professioneller Beratung, emotionaler Unterstützung und Stärkung des Selbsthilfepotentials beizustehen. Im Themenfeld Rassismus sollten nach Meinung des ADB Betroffene informiert und unterstützt, Mehrheitsdeutsche sensibilisiert und Strukturen, also Gesetze, Verwaltungshandeln oder politische Teilhabe, verändert werden. „Alles ist in Sachsen unterentwickelt“, kommt das ADB zum vernichtenden Urteil. Es bleibt viel zu tun. Wie viel – darüber gibt die von der Amadeu Antonio Stiftung geförderte Broschüre einen sehr guten Überblick. Wer sich grundsätzlich mit dem Thema Rassismus beschäftigen möchte, sollte sie lesen. Aber vor allem auch diejenigen, die meinen, Rassismus habe nur „was mit Nazis“ zu tun. Zum Download geht's hier.


Von Nora Winter
Foto: Cover der Broschüre

 

Interview mit Grit Armonies von der Opferberatung Sachsen

adb-web.jpg

Rassismus in Sachsen