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Neuer Reflektionsband über aktuellen Antisemitismus

Ein neues Buch aus der Publikationsreihe der Rosa-Luxemburg-Stiftung versucht das Problem des Antisemitismus aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Der Titel: „Neues vom Antisemitismus: Zustände in Deutschland.“ Hintergrund der Publikation ist eine Tagung die Anfang 2007 von der Rosa-Luxemburg-Stiftung ausgerichtet wurde.

Von Björn Damm und Sebastian Dolsdorf

Täglich werden durchschnittlich vier antisemitische Straftaten in Deutschland verübt, so Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamtes bei einer Anhörung des Innenausschusses im Bundestag. Antisemitismus ist somit also noch lange kein Fall für die Geschichtsbücher, sondern ist noch immer alltäglich. Doch der Antisemitismus tritt nicht mehr nur im Gewand des rassistischen Antisemitismus oder des christlichen Antijudaismus auf, sondern hat sich modernisiert und erscheint als sekundärer Antisemitismus mit Geschichtsrelativierung und Täter-Opfer-Umkehr und als antisemitische Israelkritik und Antizionismus.

Ein neues Buch aus der Publikationsreihe der Rosa-Luxemburg-Stiftung versucht das Problem des Antisemitismus aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten. Der Titel: „Neues vom Antisemitismus: Zustände in Deutschland.“ Hintergrund der Publikation ist eine Tagung die Anfang 2007 von der Rosa-Luxemburg-Stiftung ausgerichtet wurde. Ziel der Tagung war es zu überprüfen, was sich seit der der OSZE-Konferenz gegen Antisemitismus 2004 in Berlin an der Gesamtsituation geändert hat. Auf dieser wurde die „Berliner Erklärung“ verabschiedet, mit der sich die Staaten verpflichten nationale Aktionspläne gegen Antisemitismus durchzusetzen. Als Folge der OSZE-Konferenzen wurde der Posten eines persönlichen Beauftragten des OSZE-Vorsitzenden für den Bereich Bekämpfung des Antisemitismus geschaffen. Die Bundesregierung hat einen „Beauftragten für Beziehungen zu jüdischen Organisationen und für Antisemitismusfragen“ ernannt.

Das Buch zeigt Handlungsmöglichkeiten für die Arbeit gegen Antisemitismus auf. Neben Definitionen des Antisemitismus und der Darstellung seiner aktuellen Erscheinungsformen zeichnet es sich vor allem durch seine interessanten methodischen Ansätze aus. Der Kampf gegen Antisemitismus kann nicht nur auf staatlicher Ebene geführt werden, sondern muss hauptsächlich eine Anstrengung der Zivilgesellschaft sein. „Wir brauchen mehr als Symbolpolitik und Beschlüsse“, meint auch Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio Stiftung anlässlich des Erscheinens des Sammelbandes, „alles in allem sind die Maßnahmen zu beschränkt und wenig phantasievoll, um das Problem wirklich angemessen anzugehen.“

Das Buch gliedert sich in drei große Abschnitte. Im ersten Abschnitt geht es um „Geschichtliches und Politisches“ mit Beiträgen von Reiner Zilkenat, Dirk Burczyk, Mario Keßler, Petra Pau und Horst Helas. Der zweite Abschnitt beinhaltet Texte von Juliane Wetzel, Yves Pallade, Timo Reinfrank, Thomas Heppener, Heike Radvan, Michael Rump-Räuber, Gabi Moser, Guido Strohfeldt und Benjamin Köhler zum Thema aktueller Antisemitismus, die anlässlich der Antisemitismus-Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung entstanden. Im dritten Abschnitt geht es um „Quellen zum Thema“ vom Historiker Reiner Zilkenat.

Diagnose und Rezepte

Beispielhaft seien hier vier Artikel vorgestellt, die sich alle auf die Diagnose des aktuellen Antisemitismus beziehen und die Bearbeitung der neueren Erscheinungsformen des Antisemitismus in den Vordergrund stellen. In dem Beitrag „Globalisierter Antisemitismus im 21. Jahrhundert. Zur Arbeit gegen den aktuelle Antisemitismus in Deutschland“ von Timo Reinfrank geht es um die Modernisierung des Antisemitismus, der trotz neuer Projektionsfläche – dem Nahostkonflikt – durch die alten Stereotype geprägt sei.

Zu Beginn des Beitrages geht er auf die unterschiedlichen Elemente des Antisemitismus ein. Im Folgenden beschreibt der Autor, dass sich Antisemitismus auch in einer demokratisch verfassten Gesellschaft fest verankert ist und bis weit in die Mitte der Gesellschaft hineinreicht. Anschließend geht Reinfrank auf die Anschläge vom 11. September 2001 ein, die er als Schlüsselmoment für das Erstarken des globalisierten Antisemitismus betrachtet.

Er beschreibt zwar auch den Antisemitismus in islamistischen Kreisen betont allerdings, man solle trotz Auseinandersetzung mit eben diesem den Antisemitismus der Mehrheitsbevölkerung nicht vernachlässigen. Dieser breche sich vor allem als Antizionismus Bahn und sei meist mit Antiamerikanismus verbunden. Die Autorin Heike Radvan stellt in ihrem Beitrag „Was kann die Zivilgesellschaft gegen Antisemitismus tun? Erfahrungen aus der Arbeit zivilgesellschaftlicher Akteure in den neuen Bundesländern gegen Antisemitismus vor.

Dabei erläutert sie das Konzept des Active Monitoring, beschreibt die Aktionswochen gegen Antisemitismus und geht auf die Wanderausstellungen der Amadeu Antonio Stiftung „’Man hat sich hierzulande daran gewöhnt’ – Antisemitismus in Deutschland heute“ und „’Das hat´s bei uns nicht gegeben!’ Antisemitismus in der DDR ein. Abschließend diskutiert Radvan die verschiedenen Arten der Unterstützung pädagogischer Handlungskompetenz.

Michael Rump-Räuber, Referent im Landesinstitut für Schule und Medien Berlin-Brandenburg, erläutert in seinem Beitrag „Antisemitismus als Herausforderung in der Lehrerfortbildung“ die unterschiedlichen Erscheinungsformen des Antisemitismus an Schulen. Anschließend stellt er die wesentlichen Ergebnisse einer Expertenrunde zum Thema „Bildungsarbeit gegen Antisemitismus“ dar. Weiterhin beschreibt er die verschiedenen Ebenen des Projekts „Youth Leader – Fit machen gegen Antisemitismus, für Demokratie und Toleranz“, bei dem neue Bildungsangebote entwickelt und außerschulisches Engagement gefördert wird. Abschließend berichtet Rump-Räuber über die Ergebnisse des Projektes, das sich sich als positives Moment bei der Identitätsfindung bewiesen habe.

Der Text von Yves Pallade „Aktueller Antisemitismus in der Bundesrepublik Deutschland“ war ein viel diskutierter Beitrag der Antisemitismus-Konferenz der Rosa-Luxemburg-Stiftung im Januar 2007. Die von Pallade beschriebenen antisemitischen Ideologeme reichen dabei vom rechtsextremen Milieu über die bürgerliche Mitte („Fall Möllemann“) bis in das linke Lager. Überschneidungen und Abgrenzungen sind dabei aus seiner Sicht eher fließend als eindeutig. Ein Schwerpunkt des Textes sind antizionistische Argumentationen innerhalb der politischen Linken. Der Nahost-Konflikt wird aus seiner Sicht zur Projektionsfläche, die sowohl von Islamisten als auch von Mitgliedern des linken politischen Spektrums benutzt wird, um antisemitische Ideologeme und Stereotype für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Prominente und umstrittene Beispiele sind Oskar Lafontaine (Vorsitzender Bundestagsfraktion Die Linke) und Norman Paech (Außenpolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag), in deren Argumentationsmustern zum Nahostkonflikt erkennt Pallade unzweifelhaft die Verwendung antisemitischer Klischees. Oskar Lafontaine, antwortete beispielsweise auf die Frage »Wird es im Heiligen Land je Ruhe geben?« mit: »Noch regiert das Alte Testament: Wer einen Menschen erschlägt, wird mit Tod bestraft … Leben für Leben … Auge um Auge … Zahn um Zahn. Den Weg zum Frieden weist das Neue Testament. Dort steht: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.« Norman Paech behauptete unter anderem, Israel würde einen „Vernichtungskrieg“ im Libanon führen.

Fazit

Die Auseinandersetzung um eine angemessene Analyse und Interpretation des Nahostkonflikts in der Linken insgesamt wird häufig kontrovers und mitunter auch emotional und provokativ geführt. Wohl kaum jemand, der sich als Teil dieses politischen Spektrums begreift, würde sich selbst als Antisemiten bezeichnen. Und doch steht häufig der Vorwurf im Raum, hinter antiisraelischen oder antizionistischen Meinungen stünden tradierte antisemitische Argumentationsmuster. Sowohl die Folgen eines staatlich verordneten Antizionismus im Osten als auch ein in Folge des Sechs-Tage-Krieges erstarkter Antizionismus in der westdeutschen Linken sind eine schwere Bürde für eine Partei, die sich (zumindest im Westen) als linke Sammlungsbewegung verstanden wissen will.

Will die Linkspartei ein ernsthafter und glaubwürdiger Akteur in der Auseinandersetzung mit dem globalisierten Antisemitismus sein, so muss sie kritische Diskussionen auch über sich selbst und ihre Mitglieder zulassen. Nur so kann sich die Partei klar von antisemitischen Argumentationsmustern abgrenzen, was nötig ist, wenn man emanzipatorisch in die Zivilgesellschaft hinein wirken möchte.

In diesem Sinne hielt Gregor Gysi im April 2008
auf einer Veranstaltung "60 Jahre Israel" der Rosa-Luxemburg-Stiftung einen Vortrag. Sein Thema:Die Haltung der deutschen Linken zum Staat Israel“. Er könnte - auch wenn er das Problem des Antisemitismus von links nicht konkret beim Namen nennt - der Anfang einer bitter nötigen Auseinandersetzung sein.

Horst Helas, Dagmar Rubisch, Reiner Zilkenat (Hrsg.)
„Neues vom Antisemitismus: Zustände in Deutschland“
Karl Dietz Verlag
Berlin 2008

Es gibt das Buch auch zum Download.


www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Foto: Rosa-Luxemburg-Stiftung

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buchcover: neues vom antisemitismus