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Das Bewusstsein für Gleichwertigkeit stärken

Eine neue deutsch-englische Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung berichtet über die Arbeit von sieben ausgewählten Projekten, die  sich für die Stärkung der Gleichwertigkeit aller Menschen im Alltag einsetzen. Diese Projekte entstanden in den vergangenen zwei Jahren im Rahmen des Praxisverbunds "Living Equality", was so viel wie "Gleichwertigkeit leben" bedeutet. Diese - eigentlich selbstverständliche - Grundhaltung steht im scharfen Kontrast zur Vorstellung von Rassisten und Rechtsextremisten, dass manche Menschen(gruppen) weniger wert seien als andere. In solchen Fällen sprechen Wissenschaftler von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Die neue Broschüre zeigt Erfahrungsberichte auf und entwickelt Rezepte gegen solche Rassismen.

Zum Hintergrund: In seiner auf zehn Jahre angelegten Langzeitstudie „Deutsche Zustände“ untersucht der Bielefelder Sozialwissenschaftler Wilhelm Heitmeyer seit 2002 eine Frage, die von vielen Menschen verdrängt und eher selten diskutiert wird: Wie feindselig ist die deutsche Gesellschaft gegenüber ethnischen und sozialen Minderheiten eingestellt? Diese feindselige Haltung wird als „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ bezeichnet – auf den ersten Blick ein Ungetüm von einem Wort. Auf den zweiten Blick eine sehr knappe und treffende Definition.

Von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wird gesprochen, wenn sich Ablehnung oder Ausgrenzung nicht gegen einzelne Personen, sondern gegen bestimmte Gruppen richtet. Sie äußert sich auf ganz unterschiedliche Weise: Verbale und körperliche Gewalt gegenüber Türken oder Afrodeutschen (Rassismus), Hakenkreuzschmierereien auf jüdischen Grabsteinen (Antisemitismus), frauenfeindliche Äußerungen (Sexismus), Gewalt gegenüber Schwulen und Lesben (Homophobie) – um nur wenige Beispiele zu nennen. Wesentlich sei dabei eine wichtige, inzwischen wissenschaftlich belegte Annahme, berichtet Andreas Zick, Professor für Sozialisation und Konfliktforschung an der Universität Bielefeld: Die unterschiedlichen Vorurteile sind Elemente eines „Syndroms“ der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, und diese Elemente sind eng miteinander verbunden.

An dieser Stelle setzt der Projektverbund „Living Equality“ an, der sich zum Ziel gesetzt hat, die Gleichwertigkeit aller Menschen im Alltag zu stärken. Denn: Allen Elementen der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit gemeinsam ist eine Ideologie der Ungleichwertigkeit. Das bedeutet, dass bestimmte Menschen als „weniger wert“ erachtet werden als andere: „Diese Ideologie kommt in Gestalt der Abwertung schwacher Gruppen zum Ausdruck, die wiederum eine Legitimationsfunktion für Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt erfüllt oder zumindest erfüllen kann“, stellt Heitmeyer in Folge 6 seiner Studie fest.

Das Syndrom Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit

Die jeweiligen abwertenden Haltungen können also nicht nur getrennt voneinander betrachtet werden, sondern müssen auf ihre Gemeinsamkeiten hin untersucht werden. In der Praxis ergibt sich, dass Menschen, die abwertend über eine bestimmte Gruppe von Menschen denken, oft auch negativ gegenüber anderen Gruppen eingestellt sind. Das heißt zum Beispiel, dass Menschen mit einer antisemitischen Grundhaltung häufig zu Vorurteilen gegenüber Muslimen neigen. Oder dass Menschen mit einer sexistischen Einstellung sich häufig abfällig gegenüber Homosexuellen äußern. Aus diesem Grund bezeichnet Heitmeyer die gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit als ein Syndrom. Dieses Syndrom konnte erstmals 2002 anhand der verschiedenen feindseligen Einstellungen nachgewiesen werden.

Dieser Ansatz war und ist die Basis für den Projektverbund „Living Equality“, der verschiedene Projekte zu unterschiedlichen Themen vernetzt, die im Sinne der „Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ zusammenhängen. Mehrere Projektpartner engagieren sich im Rahmen von „Living Equality“, dazu zählen:

- Der Landesverband der Sinti und Roma in Baden-Württemberg widmet sich einem bisher vernachlässigten Element der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, dem Antiziganismus (Feindlichkeit gegenüber Sinti und Roma).

- Mit der ganzen Bandbreite des Syndroms beschäftigt sich ein Projekt der Bundesarbeitsgemeinschaft der RAA (Regionale Arbeitsstellen für interkulturelle Bildung, Jugendarbeit und Schule), die ein Instrument zur Selbstbewertung für Schulen, Jugendhilfeeinrichtungen und Stadtteile anwendet, um dort langfristig eine Kultur der gegenseitigen Anerkennung zu etablieren.

- Das Zentrum Demokratische Kultur (ZDK) konzentriert sich in seiner Arbeit auf Rassismus und Rechtsextremismus im kommunalen Raum und stärkt mit Projekten demokratisch orientierte Menschen und Institutionen, die sich offensiv mit der rechtsextremen Problematik vor Ort auseinander setzen.

- Die AG „Migrantischer Antisemitismus und Islamismus“ thematisiert aktuellen Antisemitismus, der häufig in muslimisch geprägten Communities besonders stark verbreitet ist. Akteure aus ganz Deutschland erstellen gemeinsam eine Broschüre zu diesem Thema, um anhand beispielhafter Projekte neue Handlungsansätze im Umgang mit "migrantischem" Antisemitismus aufzuzeigen.

- Die Amadeu Antonio Stiftung beschäftigt sich mit der Intervention gegen Antisemitismus und konzentriert sich dabei vor allem auf Kommunen im ländlichen Raum in Sachsen-Anhalt und Niedersachsen.

Im Projektverbund haben sich alle Beteiligten darauf geeinigt, mit eigenen Projekten gezielt ein oder mehrere Elemente der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit zu bearbeiten und dafür neue Methoden zu entwickeln.
Insgesamt wurden bislang 22 Projekte im Rahmen von Living Equality gefördert. Die Ergebnisse aus den einzelnen Projekten wurden in regelmäßigen Abständen diskutiert, um aus ihnen heraus einen Rahmen für Interventionen gegen Ungleichwertigkeitsideologien zu entwickeln. Im Zentrum des Interventionsansatzes steht die Orientierung auf Gleichwertigkeit, Partizipation, Integration, Anerkennung und Selbstwirksamkeit.


Die deutsch-englische Broschüre "Living Equality" stellt auf 64 Seiten neben einführenden Artikeln zum Thema und den Ergebnissen der wissenschaftlichen Begleitung ausgewählte sieben Projekte aus dem kommunalen Raum, sie kann über einen Unkostenbeitrag von 5 Euro in Briefmarken bei der Amadeu Antonio Stiftung, Linienstrasse 139, 10115 Berlin bestellt werden oder per Rechnung unter: buero@amadeu-antonio-stiftung.de.

Zum Thema: "Pfui - wie sieht das denn aus" - Ein Ausstellungsprojekt aus dem sächsischen Borna

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / js-hk / Foto:hk

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Living Equality Broschüre