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Kölner Lehrbeispiele

Blüht Neonazismus nur im Osten? Von wegen. Ein lehrreiches neues Arbeitsheft zur Geschichte und Strategie des Rechtsextremismus in Köln hilft insbesondere Jugendlichen, mehr über die Wurzeln von Rechtsextremismus in ihrer nordrhein-westfälischen Umgebung zu lernen und Rezepte dagegen  zu entwickeln.

Von Silke Dürrhauer 

Rechtsextremismus und Köln – für viele scheint dies ein unversöhnlicher Gegensatz zu sein. Nicht im liberalen Köln, so wird gerne behauptet, stelle der Rechtsextremismus eine Gefahr dar, sondern vornehmlich in Ost­deutschland. Die Kölnerinnen und Kölner lieben es, sich und ihre Stadt als weltoffen und tolerant zu halten und glauben, dass in der Domstadt ein Klima herrsche, das für menschenverachtende Ideologien keinen Platz lässt. Nach einem weit verbreiteten Selbstbild schützt eine Art Grundimmunisierung die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt vor jeglichen intoleranten und extremistischen Strömungen. Mit frappierend ähnlichen Argumenten wie beim Thema Rechts­extremismus wurde und wird über die Zeit des Nationalsozialismus in Köln geurteilt, der – anders als anderorts – angeblich hier nie richtig Fuß hätte fassen können und auf erheblichen Widerstand breiter Bevölker­ungskreise gestoßen wäre. Doch leider handelt es sich um einen doppelten Trugschluss.

Das NS-Regime hat in Köln genauso brutal geherrscht und konnte sich dabei genauso auf die Zustimmung der breiten Mehrheit der Bevölkerung stützen wie in anderen Städten. Ebenso wenig besteht kein Anlass, heute rechtsextreme Tendenzen zu bagatellisieren. Seit 1989 sitzen (mit einer durch die Fünf­prozentklausel bedingten Unterbrechung) rechtsextreme Parteien im Rat der Stadt Köln. Rechtsextremes Gedankengut findet sich auch außerhalb von einschlägigen Parteien und Organisationen.
Dies belegt auch sehr eindringlich dieses Arbeitsheft mit didaktischen Materialien. Nach einer allgemeinen Einführung, in der u.a. der Begriff Rechtsextremismus erläutert wird, und der Frage nachgegangen wird, ob der Rechtsextremismus lediglich ein „Ost­phänomen“ darstelle, werden – als Vergleichsebene – Dokumente zu einzelnen Aspekten aus der NS-Zeit in Köln dargeboten. In einem Kapitel werden neben rechtsextremen Plakaten auch antisemitische Briefe von Privatpersonen seit den 1990er Jahren veröffentlicht, die deutlich machen, dass die rechtsextreme Ideologie bis hinein in die Bevölkerung wirkt. Ein eigenes Kapitel ist der Asyldebatte Anfang der neunziger Jahre gewidmet, die zu einem traurigen ersten
„Höhepunkt“ rechtsextremen Auftretens in Köln führte, wenn man allein an die steck­briefähnliche Hetze gegen eine „Schein­asylantin“ im Jahr 1993 denkt. Ausführlich werden sodann u.a. durch Flugblätter, Broschüren und Zeitungsartikel Ideologie und Handeln der rechtsextremen Parteien in Köln seit 1989 dokumentiert und dabei die Kontinuitäten führender Personen über die diversen Parteien und Formationen hinweg sowie Wandel und Fortbestehen der ideologischen Versatzstücke aufgezeigt. Zum Abschluss werden einige denkbare Aktionsformen gegen den Rechts­extremismus und Möglichkeiten für weitere Informationen genannt.

Das Arbeitsheft „Rechtsextremismus in Köln?!“ richtet sich mit seinen didaktischen Materialien an Jugendliche der Sekundar­stufe II, aber auch an Erwachsene. Zu den abgebildeten Materialien sind am Ende eines jeden Kapitels Aufgaben gestellt, die sich auch für Gruppenarbeit von drei bis fünf Personen eignen, aber auch von jedem Leser, jeder Leserin alleine gelöst werden können.
Das Arbeitsheft ist ein Ergebnis eines Praktikums, das sein Verfasser Ioannis Orfanidis im NS-Dokumentationszentrum absolviert hat und bei dem er die dort vorhandenen Materialien zum Rechts­extremismus geordnet hat.

Aufklärung als Ziel des Arbeitsheftes

Aussagen wie „Türken raus!“ sind an offenem Rassismus kaum zu überbieten. Man möchte glauben, solche Meinungen würden lediglich von einer kleinen Minderheit vertreten. Doch das täuscht.  Zwar wird offener Neonazismus und Rechts­extremismus als politische Strömung von einer großen Mehrheit abgelehnt. Auf der anderen Seite vertritt ein nicht geringer Anteil der Bevölkerung antidemokratische, rassistische und antisemitische Einstellungen. Umfragen der Friedrich-Ebert-Stiftung haben ergeben, dass 38,4 Prozent der Deutschen der Meinung sind, dass Ausländer zurück in ihre Heimat geschickt werden sollen, wenn Arbeitsplätze knapp werden. Besonders interessant ist dabei der Vergleich zwischen Ost- und Westdeutschland. Während im Osten erhöhte fremdenfeindliche Ressentiments zu erkennen sind, vertreten in Westdeutschland knapp 16 Prozent der Befragten die Meinung, dass Juden mit üblen Tricks arbeiten würden, um das zu erreichen, was sie wollen.

Die Gefahr, dass sich rechtsextremistische Tendenzen und Werte in der Mitte der Gesellschaft festsetzen, ist also nach wie vor akut und verlangt nach einer gezielten Aufklärungsarbeit. An diesem Punkt setzt dieses Arbeitsheft an. Es soll verhindern, dass sich rechtsextremistisches Gedankengut in der Mitte der Gesellschaft etablieren kann. Was will der Rechtsextremismus genau? Welche Ziele verfolgt er und wie rechtfertigt er seine Ansichten?
Das Heft soll insbesondere den Rechtsextremismus in Köln beleuchten. Ziel ist es, durch gezielte Quellenanalyse von Originalmaterialien ein Feingefühl zu entwickeln für die Brisanz der rechtsextremistischen Sprache und ihren Versuch, Begriffe wie Demokratie, Kultur oder Meinungsfreiheit in ihrem Sinne umzuwerten. Denn nicht immer sind rechtsextremistische Texte und Äußerungen gleich als solche identifizierbar. Anhand der Quellen können in Gruppenarbeit (3-5 Personen) mehrere Aufgaben erfüllt werden, mit dem Ziel, rechtsextremistisches Gedankengut erkennen zu lernen.
Die Fragen und Arbeitsaufträge haben jedoch nur Vorschlagscharakter. Je nach Kenntnisstand und Bedürfnissen der jeweiligen Gruppen, sowie abhängig von der zur Verfügung stehenden Zeit, können die Aufgaben durch eine pädagogische Be­gleitung verändert oder durch weitere Texte ergänzt werden. Durch die sachliche Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus können so neue Wege eröffnet werden, um rechtsextremistischen Stammtischparolen entgegenzuwirken.

Dennoch: Etwas verstehen zu können heißt hier nicht, es auch zu entschuldigen. Der Verzicht auf Belehrungen und moralische Appelle, bedeutet nicht, keine Position zu beziehen. Vielmehr will das Arbeitsheft dazu ermuntern, deutlich Partei zu ergreifen für:  Menschenrechte, Toleranz, Gleichberechtigung und kulturelle Vielfalt, Gewaltfreiheit
sowie gegen Diskriminierung und Rassismus, Verachtung von Minderheiten, Antisemitismus und völkischen Nationalismus und Verharmlosung des Nationalsozialismus.

Ioannis Orfanidis, Rechtsextremismus in Köln?!
Didaktische Materialien zur Demokratieförderung und gegen Rechtsextremismus,
Köln 2008 (Arbeitsheft 2)
[im Gruppensatz ab 20 Exemplare Stückpreis 2,- €]
Zu beziehen über das Kölner NS-Dokumentationszentrum

 

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Cover der Broschüre Rechtsextremismus in Köln