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Erst 30 Jahre nach ihrer Erstaustrahlung im deutschen Fernsehen ist die amerikanische Spielfilmserie “Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss” auch auf DVD erschienen. Die vierteilige TV-Serie bewegte 1979 wie kaum ein anderer Film die Gefühle von Menschen. Damals wurde viel diskutiert: Der Holocaust als Seifenopfer im TV? Doch die Ausstrahlung wurde zum heilsamen Schock.
Von Jörg Fischer-Aharon
1979 fand die Ausstrahlung zunächst nur in den Dritten Programmen statt, 1982 auch im Ersten. Neonazis versuchten sogar, mit Anschlägen auf Sendemasten die Ausstrahlung zu behindern.
Der Grund für diese Reaktionen: “Holocaust” zeigt anhand der jüdischen Familie Weiss aus Berlin, das für die Schicksale Hunderttausender, ja Millionen anderer jüdischer Familien in vom Nazideutschland beherrschten Europa steht, authentisch und exemplarisch die menschenverachtende Brutalität der Shoah auf.
Der Film beginnt in Berlin, 1935. Kurz bevor die Nazis mit den “Nürnberger Rassegesetzen” u.a. Eheschließungen zwischen Juden und sogenannten “Ariern” verbieten, heiratet Karl Weiss die “Arierin” Inge. Schon auf der Hochzeitsfeier kommt es von Seiten der Familie der Braut zu antisemitischen Aussagen. Bei der Pogromnacht 1938 wird das Geschäft der Großeltern verwüstet und die Wohnung geplündert. Die Diskriminierungen und Entrechtungen werden von Tag zu Tag schärfer, dennoch hoffen insbesondere die Eltern, der Arzt Dr. Josef Weiss und seine Ehefrau, “dass es nicht schlimmer kommen kann” und der bereits herrschende Terror “auch wieder vorbeigeht”.
Als die Nazis die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung und den Terror gegen sie immer mehr verstärken, wird Josef Weiss nach Polen ausgewiesen. Sein Sohn Karl wird in das KZ Buchenwald deportiert. Seine Frau Inge hält – trotz des Drucks ihrer Familie – zu ihrem Mann und versucht immer wieder Kontakt zu ihm aufzunehmen, bis sie sich schließlich selber in das KZ Theresienstadt, wohin Karl gebracht wurde, bringen lässt. Josefs zweiter Sohn Rudi flieht nach Prag und schließt sich der Widerstandskämpferin Helena Slomová an, in die er sich verliebt. Später kämpfen die beiden auch aktiv in einer Partisanengruppe in der Sowjetunion gegen die deutscher Besatzer, wobei Rudi seine Gefährtin verliert. In Berlin wird die 16-jährige Anna Weiß von uniformierten Angehörigen der Nazi-Schlägertruppe SA brutal vergewaltigt und erleidet einen solchen Schock, dass sie eine psychische Störung davonträgt.
Ein Berliner Neurologe weist sie in die NS-Tötungsanstalt Hadamar ein. Hier wird Anna noch am Tag ihrer Ankunft in die Gaskammer gebracht. Als „unwertes Leben“ fällt das Mädchen dem „Euthanasie“-Programm des NS-Regimes zum Opfer. Der Familie wurde schriftlich mitgeteilt, Anna hätte die Nahrung verweigert und wäre an “körperlicher Erschöpfung” gestorben, ihre Leiche sei bereits verbrannt worden.
Das Ehepaar Dorf - willige Helfer
Zugleich beschreibt der Film auch die Geschichte des Ehepaares Dorf – “ganz gewöhnlicher Deutscher”, die zu “willigen Helfern” und Tätern wurden. Erik Dorf ist ein arbeits- und erfolgloser Jurist, der sich auf Drängen seiner Frau Mitte der 30er Jahre der NSDAP anschließt und der SS beitritt. Noch nach 1933 hatte er seine chronisch kranke Frau in die Sprechstunde von Dr. Josef Weiss gebracht, dennoch wird er – und auch seine Frau – nicht nur zu fanatischen Antisemiten, sondern auch zu einem gewissenlosen Mörder. Als Günstling von Heydrich und SS-Sturmbandführer ist Dorf nicht nur bei der Wannsee-Konferenz anwesend, sondern leitet persönlich Massenerschießungen in den besetzten Teilen der Sowjetunion und ist bei Vergasungen in Auschwitz anwesend, um diese auf “Effektivität” zu kontrollieren. Wie unzählige andere Nazi-Verbrecher auch, entzieht sich Dorf nach der Niederlage und Zerschlagung des “Dritten Reiches” seiner Verantwortung durch Selbstmord.
In der deutschen Fassung fehlt die Schluss-Sequenz von sieben Minuten Länge. Während die deutsche Version mit der Anklage des Kurt Dorf (dem Onkel von Erik), auch gegen das eigene Schweigen zum Zivilisationsbruch der Shoah, endet, wird im Original mit Rudi Weiss, dem einzigen Überlebenden seiner Familie, als Helfer bei der Staatsgründung Israels ein hoffnungsvoller Schluss angefügt. So ganz überrascht es nicht, dass diese Schlusszene in der deutschen Fassung fehlt.
Ja, der Film ist kein Dokumentarfilm und die Familien Weiss und Dorf sind mit diesen Namen fiktive Familien – aber ihre Geschichten sind nicht fiktiv, es sind die Geschichten, die sich hunderttausend- und millionenfach so oder ähnlich zugetragen haben. Die Geschichten von Opfern, Mitläufern, Mittätern und Wegschauern.
“Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss”, 4 DVD, Spieldauer: 415 Minuten, Produktionsjahr: 1978, Euro 28,95.
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de - www.haGalil.com & www.fischer24.eu