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Der Rechtsextremismus von heute gibt sich hip, cool und vor allem anschlussfähig. Eine moderne Erlebniswelt, die ihren menschenverachtenden Kern selten auf den ersten Blick offenbart und eine Herausforderung für die Bildungsarbeit darstellt. Ein neuaufgelegtes Buch hat sich dieser Aufgabe gestellt.
Eine Rezension von Ulla Scharfenberg
„Wir wollen, dass die Menschen im gesunden Einklang miteinander, ihrem Land, ihrem Volk und der Natur leben. (…) Wir wollen feste soziale Bindungen, die keinen Deutschen ausschließen und Hilfe für Bedürftige leisten. (…) Wir wollen alle Völker und Kulturen dieser Erde in ihrer wunderbaren Einzigartigkeit erhalten. Wir sind keine Ausländerfeinde! Wir lieben das Fremde – in der Fremde.“ Der gesprochene Text bildet das Intro einer Musik-CD, die erstmals im Jahr 2004 auf Schulhöfen und in deren Umfeld verteilt wurde. Die Zielgruppe: „noch nicht gefestigte Schüler“, die über Musik angesprochen und politisiert werden sollen. Mit „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus!“ funktioniert das heute nur noch bei den allerwenigsten. Aus dem gleichen Grund benutzt die „Identitäre Bewegung“, eine vergleichsweise neue Gruppe, die überwiegend im Internet aktiv ist, den Slogan „100% Identität – 0% Rassismus“. Mit sogenannten Rechtsextremen möchte man bei den Identitären nichts zu tun haben. Stattdessen nennen sie ihre islamfeindliche Hetze „Mut zur Identität und Mut zur Heimat“, die rassistischen Stereotype werden in eine „positive(n) und patriotische(n) Botschaft zum Erhalt der eigenen Identität“ umgedeutet, der nationale Chauvinismus soll als „Symbol der Verteidigung des Eigenen in die Geschichte eingehen“. Ihre Ideologie verbreiten die Identitären mit bunten Bildchen, „witzigen“ Videos und simpel geschriebenen Blog-Einträgen. Das Ziel ist – genau wie bei den Machern von „Schulhof-CDs“ – die niedrigschwellige und unverdächtige Ansprache von Jugendlichen.
Rechtsextreme Erlebniswelt
„Freizeitwert, Lebensgefühl und politische Botschaften – diese Kombination macht den zeitgenössischen Rechtsextremismus zu einer Erlebniswelt, die bei Jugendlichen Anklang finden kann“, stellt Thomas Pfeiffer, Journalist und Sozialwissenschaftler fest. Gemeinsam mit Stefan Glaser hat er den Band „Erlebniswelt Rechtsextremismus. Menschenverachtung mit Unterhaltungswert. Hintergründe – Methoden – Praxis der Prävention“ herausgegeben (Wochenschau-Verlag 2013). Die überarbeitete Neuauflage untersucht die Strategien, des „modernen“ Rechtsextremismus, die menschenverachtende Ideologie über Musik, Videos und Websites zu verbreiten.
Interessierten, auch und gerade solchen, die sich vorher nur wenig oder gar nicht mit dem Thema Rechtsextremismus beschäftigt haben, verschafft „Erlebniswelt Rechtsextremismus“ einen tiefgehenden Einblick und vermittelt entscheidendes Basiswissen. Der erste Teil des Buches widmet sich den Hintergründen und liefert theoretische Grundlagen. Die Facetten der rechtsextremen Erlebniswelt werden umfassend und kurzweilig dargestellt. Eine Rezension von Netz gegen Nazis geht auf diesen ersten Buchteil ein. An Multiplikatorinnen und Multiplikatoren richtet sich der zweite Teil des Bandes, in dem Ansätze und Erfahrungen in der Bildungsarbeit wiedergegeben werden. Dabei legen die Autorinnen und Autoren besonderen Wert auf die Relevanz für die Praxis. Keine anstrengenden theoretischen Abhandlungen, sondern konkrete Tipps für die praktische Arbeit.
Informationen, Antworten und Ermutigung
Im Kapitel „Dem Hass die Stirn bieten“ stellt Stefan Glaser verschiedene medienpädagogische Ansätze vor und beantwortet die wichtigsten Fragen: „Warum sollte Rechtsextremismus im Internet in der Schule Thema sein?“, „Wie kann das Thema behandelt werden?“ oder „Darf ich Jugendliche überhaupt mit rechtsextremen Inhalten konfrontieren?“ Detailliert schildert er die Konzeption und Durchführung von Workshops, die jugendschutz.net für Jugendliche anbietet.
Kirsten Thiemann, Mitarbeiterin in der Online-Beratung gegen Rechtsextremismus, liefert ein Plädoyer für eine individuelle und situationsangepasste Rechtsextremismusprävention an Schulen. Lehrerinnen und Lehrer werden ermutigt, sich dem Thema anzunehmen. Die Autorin stellt aber auch fest: „Schule kann viel, aber nicht alles“. Sie rät Lehrenden, sich Rat von außen zu suchen, um die verunsichernden bis verstörenden Situationen im Zusammenhang mit Rechtsextremismus meistern zu können.
Wie Umgehen mit rechtsextremen Störern?
Sehr lesenswert ist der Beitrag von Klaus-Peter Hufer, der sich mit rechtsextremen Störversuchen bei außerschulischen Bildungsveranstaltungen auseinandersetzt. Der Professor für Erwachsenenbildung berichtet von eigenen Erfahrungen und gibt hilfreiche Tipps zum Umgang mit rechtsextremen Teilnehmern. Diese treten häufig in Gruppen auf, sind gut vorbereitet und agieren arbeitsteilig. Hufer teilt sie in fünf Kategorien, den aggressiven Störer, den zynischen Nachfrager, den Gegenreferenten, den Gewaltbereiten und den Beifallklatscher. Alle arbeiten gemeinsam daran, die Veranstaltung zu dominieren. Um eine echte Diskussion geht es ihnen dabei in aller Regel nicht, sondern einzig um eine Demonstration ihrer Macht. Hufer rät, die Veranstaltung unter keinen Umständen „im Chaos“ untergehen zu lassen: „Das wäre ihr Sieg auf ganzer Linie. Meine Erfahrungen haben mir gezeigt, dass ein entschiedenes Auftreten, das kompromisslos die Weiterführung des Vortrags oder der Diskussion am Thema fordert, eine verblüffende Wirkung bei ihnen hinterlässt.“ Hufer sieht außerdem die Chance für einen „gemeinsamen Widerstand der übrigen, demokratisch eingestellten Teilnehmenden an der Veranstaltung, der in ihren politischen Biografien von einer längerfristigen Bedeutung ist“. Einrichtungen der politischen Bildungsarbeit leisten einen wichtigen Beitrag zur demokratischen Kultur, das darf nicht durch rechtsextreme Störer kaputt gemacht werden. Eine Einschränkung sieht Klaus-Peter Hufer jedoch: Bei physischer Gewalt hilft nur noch die Polizei, das Handy sollte also immer dabei sein.
Projekte für die Praxis
Die besondere Praxisorientierung von „Erlebniswelt Rechtsextremismus“ findet ihre logische Konsequent im letzten Abschnitt des Buches. 22 Projektskizzen liefern Anregungen für den pädagogischen Umgang mit der Thematik aber auch ganz konkrete Anleitungen für die Durchführung von Workshops, Unterrichtseinheiten, Projekttagen oder Seminaren. Übersichtlich gegliedert von Sekundarstufe I bis zur Erwachsenbildung finden sich für jeden Bedarf passende Modelle. Ergänzt durch Kontaktmöglichkeiten, individuelle Erfahrungen und Verbesserungsvorschläge sowie weiterführende Informationen bildet dieses Kapitel eine echte Fundgrube für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. Die beiliegende CD-ROM stellt ergänzende Materialien, Arbeitsblätter und zusätzliche Beispiele zur Verfügung. Abgerundet wird der Band durch einen 50 Seiten starken Anhang mit weiteren Lese-, Materialien- und Surftipps, sowie einer Kontaktliste zu AnsprechpartnerInnen. Einzig der kurze Exkurs zum „Andi Comic“, der Jugendlichen die unsägliche Extremismustheorie näherbringen soll, ist wirklich überflüssig und offenbar der Tatsache geschuldet, dass Autor Thomas Grumke bis vor kurzem wissenschaftlicher Referent des Verfassungsschutzes war.
Fazit
„Erlebniswelt Rechtsextremismus“ ist ein Praxisbuch durch und durch. Besonders für Menschen, die in der (außer)schulischen Bildungsarbeit tätig sind, kann die Lektüre nur empfohlen werden. Aber auch als Einstieg in den Themenkomplex eignet sich der Band, wie Netz gegen Nazis feststellt. Die Rezension widmet sich dem ersten Teil des Buches, in dem die Hintergründe und Facetten der Erlebniswelt Rechtsextremismus zusammengefasst werden.