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Der MUT-Tipp des Monats: Ein See, ein Schulhofvorplatz, eine Bushaltestelle – Bilder aus dem brandenburgischen Dorf Töplitz. Ein junges Mädchen berichtet vor Ort von ihren Erfahrungen aus der Zeit in der sie dort einer rechtsextremen Gruppierung angehörte. Die DVD junger Mädchen bietet lehrreiche Einblicke und wirft Fragen an uns alle auf. Ein Projekt des Nauener Jugendfördervereins Mikado.
Von Julia Schörken
Interessierte jugendliche Mädchen arbeiteten an einem Projekt mit dem Schwerpunkt Mädchen in der rechten Szene. Das Produkt ihrer Recherchen, der Interviews und einer KZ-Begehung ist ein 39 minütiger Film mit dem Titel „Einfach mit dem Strom? Mädchen in der rechten Szene, eine Filmdokumentation von und mit Mädchen aus Brandenburg“. Eine junge Frau, die unerkannt bleiben möchte, berichtet dort über ihre Erfahrungen in der rechten Szene und Gedanken, die sie nun dazu hat. „Es war durchaus eine schöne Zeit.“, betont die Frau und lobt das große freundschaftliche Netz, welches sie in der rechten Szene erfahren hat. Seit nunmehr fünf Jahren gehört sie ihr nicht mehr an.
Erschreckend geht aus ihrer Erzählung hervor, dass ihr in keinster Weise ein Austausch mit erwachsenen Menschen ermöglicht wurde. Einen Rucksack mit ihrer „rechten“ Kleidung versteckte sie zu Hause im Schrank. Erst im Bus, auf dem Weg ins andere Dorf zog sie sich um. Eines Tages war der Rucksack aus ihrem Schrank verschwunden. Ein stiller Hinweis der Eltern, aber es wurde niemals mit der Tochter über ihre Einstellung gesprochen, keiner wies sie darauf hin, was die Neonazis vertreten. Offen sagt sie in der Dokumentation auch, dass ihr der Austausch mit einer erwachsenen Person gefehlt hat. In der Schule und zu Hause war sie unauffällig, den Türkei-Urlaub mit ihren Eltern verheimlicht sie ihren Freunden. In Töplitz wechselte sie aber die Straßenseite, kam ihr ein Ausländer entgegen.
Wenn sie sich mit ihren Freunden auf dem Dorfplatz traf und laute Musik gehört wurde, kam die Polizei höchstens wegen der Lärmbelästigung. Das Thema Rechtsextremismus wurde in dem Dorf aus Angst, so vermutet die junge Frau, verschwiegen. „Aus dem Geschichtsunterricht“, so sagt sie, „wusste ich zwar alles über Konzentrationslager, Hitler, das Dritte Reich. Aber ich habe mir eingeredet, dass man behinderte Menschen umbringen muss usw., dass das alles gar nicht passiert sei.“. Gefährlich klingt das, was sie sagt.
Über ihren ersten Freund - Musiker einer Rechtsrock-Band - sei das Mädchen in die Szene gerutscht. Zunächst gefiel ihr einfach nur die Musik, die Texte nahm sie erst viel später wahr. Niemals hinterfragte sie das, was ihr Freund vertrat. Sie war verliebt, andere Freunde distanzierten sich von ihr, da sie die rechte Szene in keinster Weise unterstützen wollten. Als Mädchen habe sie fast gar kein Mitspracherecht innerhalb der Gruppe gehabt. „Man stand neben seinem Freund.“, so die junge Frau. „Ich habe mich für einen anderen Menschen verbogen und verändert. Das würde ich heute niemals mehr tun.“
Erst als sie einen neuen Freund hatte, trat sie vielmehr ungewollt aus der Szene aus. Als ihre rechten Freunde von dem neuen Freund erfuhren, meldeten sie sich nicht mehr bei ihr. Sie wurde aus dem einst so wunderbaren Freundeskreis gemobbt. Das, was sie an der rechten Szene so schätze, der Zusammenhalt, die Freundschaft, das Füreinander einstehen, das, wofür sie sich anpasste, brach ihr unter den Füßen weg. Sie zählte nur dazu, solange sie sich anpasste und Meinungen übernahm.
Was sind das für Freunde, die andere Ansichten nicht akzeptieren? Die junge Frau betont, dass sie Offenheit bei Jugendlichen mittlerweile wichtig findet. Nach einem Besuch in einem KZ, so berichtet sie, wurde ihr schmerzlich bewusst, was sie für ein Mensch war, welche Ansichten sie unterstützte, was sie falsch machte. Die Aufarbeitung ihrer Vergangenheit fällt ihr schwer. Sie fühlt sich schuldig. In der Zeit, als sie der rechten Szene angehörte, reflektierte sie wenig, dachte über ihr Handeln gar nicht nach.
Heute sagt sie, wenn ihr Freund damals ein anderer gewesen wäre, hätte er beispielsweise der Techno-Szene angehört, so hätte sie auch daran teilgenommen. Sie hat sich vollkommen angepasst, ob die Gruppierung nun politische Ansprüche stellte, ob sie menschenverachtende Ansätze hatten, oder ob sie eine Musikrichtung präferierte, das war ihr völlig gleichgültig.
Ein sehr trauriger Einblick, den man beim Schauen des Videos geboten bekommt. Es kommen Fragen auf: Woher rührt es, dass ein Mensch so wenig Selbstbewusstsein hat, was hätte die Schule präventiv machen können, außer stumpf das Geschichtsbuch herunter zu rattern, was hätten die Eltern machen können, was die Freunde, die sie zuvor im Stich ließen? Ein wenig mehr Kommunikation hätte nicht geschadet. Genauso mehr Aktivismus seitens der Zivilbevölkerung, die die Treffen der jungen Rechten ja durchaus mit bekam. Eine sehr empfehlenswerte DVD.
Zu beziehen über www.mikado-nauen.de.
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