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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Rechtsextremismus lässt sich nicht allein anhand von Wahlergebnissen, Mitgliederzahlen und Kriminalstatistiken messen. Betroffene und Personen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, erleben Tag für Tag eine andere Problemdimension. Sie sehen sich mit Einstellungen konfrontiert, die tief verwurzelt sind und bis in die Mitte der Gesellschaft hinein reichen. Die Broschüre „Dunkelfeld“ beleuchtet die andere, verborgene, alltagskulturelle Seite des Rechtsextremismus.
Die öffentliche Problemwahrnehmung ist nach Wahlerfolgen neonazistischer Parteien oder rassistischer Gewalttaten groß. Anschließend verebbt das Interesse jedoch schnell. Dabei existiert abseits von Parteitagen und Aufmärschen eine extrem rechte Lebenswelt. Diese hat sich in den vergangenen Jahren ausdifferenziert. Rechtsextremes Gedankengut findet sich in Vereinen, Clubs, auf Konzerten oder im Internet. Dieses „Dunkelfeld“ wird noch zu wenig thematisiert. Die im Januar 2010 erschienende Broschüre „Dunkelfeld – Recherchen in extrem rechten Lebenswelten rund um Rhein-Main“ schließt diese Lücke.
Extrem rechte Lebenswelten im Rhein-Main Gebiet
„Wer mit der extremen Rechten im Alltag zu tun hat, fühlt sich oft allein gelassen“, beschreibt Felix Hansen vom apabiz, Mitglied des Redaktionskollektivs, die Lage. Auf 144 Seiten wurden deswegen Reportagen und Berichte über die extrem rechte Lebenswelt in der Region an der Grenze von Hessen zu Rheinland-Pfalz zusammengestellt. „In der Rhein-Main Region existieren vielfältige Strukturen der extremen Rechten, die in der Landespolitik kaum thematisiert werden“, meint Hansen weiter.
Die Broschüre setzt sich dabei zuerst theoretisch mit den Begriffen Rechtsextremismus, Zivilgesellschaft und extrem rechter Lebenswelt auseinander. Anschließend werden einzelne Orte zwischen Limburg und Wiesbaden bereist, extrem rechte Lebenswelten exemplarisch sichtbar gemacht. Es folgen Darstellungen über die Musikszene, Rockerclubs, die extreme Rechte an den Hochschulen, sowie das Treiben auf Internetplattformen wie „wer-kennt-wen“. Gruppierungen wie die Autonome Nationalisten, die NPD und Kameradschaften, werden genauso beleuchtet, wie die Rolle der Frauen innerhalb der Szene oder der Versuch ein „Nationales Wohnprojekt“ zu schaffen. Auch exponierte Persönlichkeiten der extrem rechten Szene werden portraitiert. Das Personenspektrum reicht vom ideologisch überzeugten Parteigänger Falko Schüßler, über den Ritterordensträger Otto Riehls, der in der Szene das Gefühl des Nationalsozialismus authentisch vermitteln soll, bis hin zu „Frank“ dem unverbesserlichen Szenegänger, der auch nach seinem Outing als Verfassungsschutzinformant, in extrem rechten Kreisen verkehrt.
Ein abschließendes Kapitel beschäftigt sich mit dem Umgang mit extrem rechten Lebenswelten. Ob auf Demonstrationen oder in der Auseinandersetzung mit rechtsextremen Parteien auf kommunaler Ebene, immer wieder wird deutlich, dass es wichtig ist über die konkrete Lage zu informieren, Öffentlichkeit zu schaffen und klare Position von der lokalen Politik einzufordern. Unabhängige zivilgesellschaftliche Zusammenschlüsse, die emanzipative Gegenstrukturen aufbauen, sind dafür unerlässlich.
Gelungene Collage
„Dunkelfeld“ stellt eine gelungene Collage dar, die viele Facetten der extrem rechten Lebenswelt abbildet. Dabei werden durch das Konzept der „extrem rechten Lebenswelt“ die Gemeinsamkeiten hinter den vielfältigen Erscheinungsformen des Problems aufgezeigt. Ein sorgfältig zusammengestelltes Bildmaterial vermittelt darüber hinaus authentische Einblicke in die Szene und rundet die Publikation ab. Der Broschüre gelingt es, auch den vorpolitischen Raum in den Blick zu nehmen und die Bedeutung für den organisierten Neonazismus zu benennen. Es wird deutlich, dass politische Strategien, die auf ein Verbot der NPD oder von Aufmärschen zielen, zu kurz greifen. Dort wo das Hellfeld endet, ist der engagierte Einsatz lokaler Akteurinnen und Akteure von Nöten. An diesen Personenkreis richtet sich die Publikation. Besonders für Leute, die sich in der Region engagieren, ist die Broschüre eine unerlässliche Hilfe. Abschließend wäre trotz aller berechtigter Kritik an der Verwendung des Begriffs Rechtsextremismus, noch eine Erläuterung wünschenswert gewesen, welche Vorteile die durchgehende Verwendung des Begriffs "extreme Rechte" mit sich bringt.
Die gemeinsam vom argumente. netzwerk antirassistischer bildung e.V., dem Bildungswerk Anna Seghers e.V., dem Antifaschistisches Infobüro Rhein-Main und dem antifaschistisches pressearchiv und bildungszentrum berlin e.V. (apabiz) herausgegebene Broschüre kann für 6 € Schutzgebühr beim argumente e.V. bestellt werden (Lausitzerstr. 10, 10999 Berlin).
Von Christian Spiegelberg