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Das gab’s alles


Die Ausstellung „Das hat’s bei uns nicht gegeben!“ - Antisemitismus in der DDR der Amadeu Antonio Stiftung ist ein großer Erfolg. Nun gibt es ein Buch, mit Artikeln über deren Themen bisher kaum jemand sprach. Die Präsentation des Buches findet am 24. August 2010 statt.

„Das hat’s bei uns nicht gegeben!“ – das bekamen Anetta Kahane und Heike Radvan von der Amadeu Antonio Stiftung sowie Schülerinnen und Schüler, mit denen sie nach Materialien zum Thema Antisemitismus in der DDR recherchierte, oft genug zu hören. „Das hat’s bei uns nicht gegeben!“ – so heißt auch die Wanderausstellung, die trotz aller Schwierigkeiten vor drei Jahren im Roten Rathaus eingeweiht wurde. Mit dem Projekt wurde zum ersten Mal in einer breiteren Öffentlichkeit über Antisemitismus in der DDR diskutiert. Es gab zuvor zwar durchaus einen Fachdiskurs und auch einige Dissertationen zum Thema, aber keine so umfassende und mit Beispielen belegte Dokumentation wie mit dieser Ausstellung. Die Wanderausstellung wurde bisher an 40 Orten gezeigt. Sie trifft oft auf Zustimmung; aber auch auf Widerstände. Nicht selten wird in Diskussionen deutlich, wie sehr der Glaube daran aktuell besteht, dass der Antifaschismus in der DDR eines der wenigen Sachen sei, die „gut“ und gerade auch in Abgrenzung zum Westen „besser“ gewesen seien. Dass es so einfach nicht ist, zeigt die Ausstellung sehr deutlich: Sie diskutiert, inwiefern die Ideologie des Antifaschismus die konkrete Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Nationalsozialisten behinderte und eine lokalhistorische Erinnerung an die Opfer des Massenmordes an Jüdinnen und Juden aussparte. Die Ausstellung wurde überarbeitet; sie geht nun in erweiterter Version auf Wanderschaft. Außerdem ist ein Buch zum Thema erschienen.

Leerstellen

„Das Buch bietet den Leserinnen und Lesern viele neue Einsichten“, verspricht Radvan. Denn hier wird nicht nur die komplette, erweiterte Ausstellung abgedruckt. In mehreren Artikeln werden bislang ausgesparte Fragen intensiver diskutiert, als es in der Ausstellung möglich ist. Die Historikerin Annette Leo analysiert die DDR-Berichterstattung über den Eichmann-Prozess, wobei sie bislang ungesehene Quellen auswertet. Interessant und nachvollziehbar wird der Artikel auch dadurch, dass die Autorin aus einer persönlichen Perspektive schreibt: Ihr Vater, Gerhard Leo, berichtete 1961 aus Israel über den Prozess. Im Artikel wird deutlich, wie sehr in der DDR-Berichterstattung das Zentrale des Prozesses aus dem Blick geriet: In den Artikeln des Neuen Deutschland, in Radio- und Fernsehbeiträgen geht es nicht um die Berichte der Opfer, die im Prozess aussagten und anhand derer anschaulich wurde, wie die Ermordung von Juden konkret aussah. Im Vordergrund stand stattdessen die Anklage des CDU-Politikers Globke, der in der BRD trotz seiner Täterschaft im NS-Staat Staatssekretär unter Adenauer wurde. Jenseits dessen, dass auch dies ein wichtiges Thema war, zeigt sich anhand der Berichterstattung, dass die Abgrenzung von Westdeutschland, dessen Diffamierung als faschistischer Staat und die Konstituierung der DDR als antifaschistisch wichtiger waren als eine konkrete Auseinandersetzung mit den Verbrechen der Deutschen, die als Täterinnen und Täter eben nicht nur in Westdeutschland sondern auch in der DDR lebten.

Im Artikel von Martin Jander geht es um Schicksale von Menschen, die in der DDR Anfang der 1950er Jahre aufgrund antisemitischer Verfolgung ums Leben kamen. Thomas Heppener vom Anne-Frank-Zentrum fragt in seinem Beitrag, welche Rolle der Massenmord an Jüdinnen und Juden im Rahmen der offiziellen Erinnerung an das Schicksal Anne Franks in der DDR spielte. Konstanze Ameer von der Amadeu Antonio Stiftung stellt Filme und literarische Werke vor, anhand derer deutlich wird, wie sehr die antifaschistische Ideologie eine konkrete Auseinandersetzung mit dem Holocaust umging oder auch behinderte.

Katalog

Im Buch ist die Ausstellung im Sinne eines Kataloges komplett abgedruckt. Sie besteht in ihrer erweiterten Version aus sechs Kapiteln. So wird zu Beginn ein Überblick zur Geschichte des Antisemitismus gegeben, um für alle Besucherinnen und Besucher eine Grundlage zu schaffen und Kontinuitäten aufzuzeigen. Hier wird im Besonderen auch auf antisemitische Phänomene innerhalb der Arbeiterbewegungen verwiesen. Im zweiten Kapitel wird auf die antisemitische Verfolgungswelle in den 1950ern eingegangen. Einer Chronik antisemitischer Straf- und Gewalttaten folgen Kapitel über den Umgang mit jüdischen Friedhöfen sowie zum Thema Israelfeindschaft. Das fünfte Kapitel beschäftigt sich mit der Gedenk- und Erinnerungskultur an die Opfer des Nationalsozialismus. Die Ausstellung schließt mit den Themen Rechtsextremismus in den 1980er Jahren, dem außenpolitisch motivierten instrumentellen Umgang mit den jüdischen Gemeinden und der Frage nach den Kontinuitäten und Brüchen nach dem Ende der DDR: Auch in der Gegenwart gibt es Antisemitismus, der den Alltag von Juden und Jüdinnen beeinflusst und einschränkt und letztlich demokratische Grundwerte infrage stellt.

Einige Kapitel sind komplett neu, andere wurden erweitert. Ein Kapitel thematisiert die staatliche Verfolgung Anfang der 1950er Jahre, die sich so wenige Jahre nach dem Holocaust auf deutschem Boden gegen Menschen aufgrund ihres Jüdischseins richtete. Über dieses Thema gibt es bislang kaum Wissen, viele Besucherinnen und Besucher der Ausstellung waren überrascht, wenn sie hiervon in Diskussionen erfuhren. In der Ausstellung werden nun Biografien von Menschen erzählt, die Opfer dieser Verfolgung wurden. Die Ausstellung thematisiert auch eine vom Ministerium für Staatssicherheit (MfS) geplante antisemitische Kampagne in Westdeutschland. Abgedruckt sind Briefentwürfe mit Hasstiraden wie „Die Hetze von Euch Juden wird unerträglich. Wir haben noch nicht genug vergast. Verschwinde, oder wir holen Dich und machen Dich fertig!“. Die Briefe sollten Jüdinnen und Juden in Westdeutschland versendet werden, sie waren versehen mit fingierten Absendern rechtsextremer Organisationen. Es war Ziel des MfS, die BRD als von Nationalsozialisten und „Neofaschisten“ unterwanderten Staat dastehen zu lassen. Dass die Adressaten in Angst und Schrecken versetzt würden, schien für die Autorinnen und Autoren der Briefe nicht relevant. Auch wenn mit der aktuellen Aktenlage nicht nachzuvollziehen ist, ob das MfS diese Aktion umgesetzt hat oder sie „lediglich“ in den Akten als Planung auftaucht, wird hier deutlich, mit welcher Skrupellosigkeit MfS-Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter tätig waren und wie wenig die Situation von Überlebenden des Holocaust für sie von Bedeutung schien.

Das Projekt und Reaktionen

Das Buch bietet auch einen Einblick in die Entstehung der Ausstellung und in deren Rezeption. Anetta Kahane von der Amadeu Antonio Stiftung beschreibt, welche Motive es seitens der Stiftung gab, dieses Projekt durchzuführen. Sie zeigt auf, inwiefern sich antisemitsche Argumente, die in der DDR vertreten wurden, heute in weit verbreiteten antiimperialisitischen Positionen wiederfinden lassen und wie schwer es sein kann, deren ideologischen Charakter herauszustellen. Heike Radvan berichtet von den Recherchen mit den Jugendlichen und über die Auseinandersetzungen, die die Ausstellung innerhalb der Familien sowie öffentlich initiierte. Sehr aufschlussreich ist eine Diskursanalyse von Artikeln, die nach der Ausstellungseröffnung in verschiedenen Zeitungen erschienen. Michael Barthel beschreibt Zustimmung aber auch Ablehnung, insbesondere von Zeitungen und Zeitschriften, die sich links verordnen. Auch bei Eindrücken aus dem Gästebuch und von Diskussionsveranstaltungen schwingt immer wieder die Aussage mit: „Das hat’s bei uns nicht gegeben“. Doch, das hat es. Und dieses Buch ist der beste Beweis.

Von Lisa Doppler und Heike Radvan

Die Buchpräsentation findet am 24. August 2010 um 19Uhr im Großen Saal im Centrum Judaicum in der Oranienburger Straße 28/30 in Berlin statt.

Die Ausstellung ist ab dem 29.08. bis zum 31.10.2010 im Prora Zentrum in Prora auf Rügen zu sehen.

Das Buch zur Ausstellung kann bei der Amadeu Antonio Stiftung gegen fünf Euro Versand- und Unkostenpauschale erworben werden.

 

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AS-Ausstellung DDR