Eltern auf der Suche nach Zugang zu ihnen fremd gewordenen Kindern. In dem soeben erschienenen Buch „Wenn Kinder rechtsextrem werden“ der Dresdener Journalistin Claudia Hempel erzählen Mütter über ihre rechtsextremen Kinder und ihre schwierigen Beziehungen zu ihnen, die Väter spielen oft nur Nebenrollen. Ein einerseits hilfreiches, andererseits irritierendes Buch.
Am Ende des Buches – nach den Berichten von acht Müttern und einem Vater – kommt Magnus, ein ehemaliger rechtsextremer Jugendlicher zu Wort. „Es war jetzt halt kalt am Kopf“, beschreibt er, wie es sich anfühlte, als er sich das erste mal die Haare abrasierte. Der Moment, in dem das eigene Kind das erste Mal mit Glatze, Bomberjacke, hochgekrempelten Jeans und Springerstiefeln dasteht, wird in verschiedenen Berichten des Buches beschrieben. Für manche Eltern ist dieser Moment der Moment, in dem sie endgültig verstehen, dass ihr Kind rechtsextrem ist; andere Eltern erinnern ihn als Wendepunkt in der Beziehung zu ihren Kindern, von denen sie sich mehr und mehr entfremdet fühlen. Das Ringen mit den eigenen Grenzen, das Hin- und Her gerissen sein zwischen Entsetzen über den Hass, der plötzlich im Kinderzimmer wohnt und dem Wunsch, die eigene Tochter oder den eigenen Sohn nicht zu verlieren und die Frage nach der eigenen Verantwortung und Schuld sind Themen, die sich wie ein roter Faden durch die Berichte der Mütter ziehen.
Ebenso erzählen die Mütter immer wieder, wie schwierig es für sie war und ist, Unterstützung zu bekommen. So wurde Magnus, nachdem er in eine Bank in seiner Schule „Es gibt nur einen Gott und das ist Adolf Hitler“ geritzt hatte, von seinem Lehrer ermahnt, „… dass ich das wieder in Ordnung bringen soll, weil es halt eine nagelneue Bank war.“ Und weiter erinnert sich Magnus: „Inhaltlich hat er sich gar nicht geäußert. Ich glaube, das hing mit seiner eigenen Einstellung zusammen. (…) Er hat selbst oft auf die Ausländer und die Arbeitslosen geschimpft, das klang nicht viel anders, als das, was wir auch so gemacht haben.“ Die Geschichten –so unterschiedlich sie auch sind- lesen sich in etwa so: Kinder werden rechtsextrem- und den Erwachsenen drum herum, auch denen in der Schule und in den Behörden, ist es egal. Oder sie stimmen zu. In so einem Umfeld Hilfe und Unterstützung zu finden ist schwer.
Auch manche der im Buch berichtenden Mütter haben –ohne es zu wissen und zu wollen - rechtsextremes Gedankengut verinnerlicht. So fragt sich eine Mutter, ob die Wandlung ihres Sohnes etwas mit den Dingen, die er zu hause aufgeschnappt hat, zu tun haben könnte. Da sei ja z.B. dieses eine mal gewesen, als sie auf „diese Scheiß- Türken“ geschimpft habe. Eine andere Mutter findet, die Aufteilung politischer Lager in „links“, „rechts“ oder „rechtsextrem“ sei klischeehaft und fragt sich, in wiefern die Einstellungen ihres Sohnes nicht „einfach seine Meinung“ seien, die man akzeptieren muss.
Die Erzählungen der Mütter bleiben im Buch unkommentiert und erscheinen als gedankenverlorene Monologe. Auf diese Weise ist –auch wenn das wohl nicht das Hauptanliegen des Bandes ist – eine Sammlung von Texten entstanden, die auch einfach Texte über Mütter und mütterliche Sorge sind. Die Väter spielen in den Erzählungen oft Nebenrollen, die Mütter sind die, die sich kümmern, sich sorgen, organisieren, verstehen- und die immer wieder versuchen, Zugang zu ihren ihnen fremd gewordenen Kindern zu gewinnen.
Es sind sehr persönliche Texte, die trotz ihrer Unterschiedlichkeit bestimmte sich wiederholende Muster zum Vorschein bringen und die das Buch wahrscheinlich sehr nützlich für Angehörige von rechtsextremen Jugendlichen machen. Überdies findet sich im Anhang eine Übersicht mit wichtigen rechtsextremen Symbolen, Bekleidungsmarken, Zahlencodes und Anderen äußeren Erkennungszeichen der rechtsextremen Szene, außerdem finden sich Adressen und Hilfsangebote für Betroffene. Den einzelnen Berichten sind Textausschnitte rechtsextremer Lieder vorangestellt, die nicht kommentiert werden- eine etwas verwirrende Idee, da die Texte im luftleeren Raum bleiben und so ungestört ihre Wirkung entfalten können. Auch verärgert es im Laufe der Lektüre, immer wieder über diese rassistischen Reime zu stolpern. Nichts desto trotz ist „Wenn Kinder rechtsextrem werden“ ein interessantes und lesenswertes Buch und für manche Menschen wahrscheinlich vor Allem eines- hilfreich.
Claudia Hempel: Wenn Kinder rechtsextrem werden. Mütter erzählen. Mit einem Vorwort von Wilhelm Heitmeyer. Zu Klampen Verlag, 2008.
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de