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In Nürnberg haben 134 Kommunen und zivilgesellschaftliche Initiativen einen Aufbruch gewagt. Sie wollen gemeinsam verhindern, dass Neonazis die Stadt Nürnberg und den fränkischen Raum zu einer neonazistisch geprägten Modellregion mit "nationalen Großprojekten" machen. Nun wird eine regionale Allianz gegen Rechtsextremismus gegründet. Der Zulauf ist enorm.
Von Holger Kulick
Vor einigen Monaten fiel auf einer Internetplattform der Neonaziszene in Franken ein beunruhigender Text auf. Er stand unter der Überschrift „Zentrum des Widerstandes im Länderdreieck Franken, Sachsen, Thüringen!“ (Foto). Verwiesen wurde auf die angebliche Unterzeichnung eines Notarvertrags zum Kauf einer Gaststätte nebst zugehöriger Freiflächen im kleinen Ort Warmensteinbach. Das Lokal wurde im bayerischen Landtagswahlkampf auch intensiv von der rechtsextremen Szene genutzt, über dessen Eigentümerschaft herrscht allerdings immer noch juristisches Tauziehen. Für 1,8 Mio Euro will die sog. Wilhelm-Tietjen-Stiftung des Neonazianwalts Jürgen Rieger das Terrain erwerben. Die Gemeinde dagegen pocht auf ein Vorkaufsrecht. Gerungen wird aber auch um noch viel mehr.
„Siedlungsprojekt für nationale Familien“
In dem Neonazi-Propagandatext wird das hintergründige Ziel des Grundstückserwerbs näher beschrieben. Mit diesem Kauf habe „Kamerad Jürgen Rieger den Grundstein zu einem nationalen Großprojekt“ gelegt, heißt es in der Forums-Notiz. Sei der Widerstand durch Behörden auch noch so groß, „wir werden die Rudolf-Heß-Region Fichtelgebirge zu einer länderübergreifenden Bündnisregion des nationalen Widerstands machen!“ wird der Anwalt und Hamburger NPD-Chef Rieger zitiert, der über Jahre hinaus Rudolf-Heß-Gedenkmärsche im fränkischen Wunsiedel angemeldet hat, um dem Hitler-Stellvertreter zu huldigen. Eingeladen wurde damals für den 27. September 2008 zum „Kameradschaftsabend mit Freibier und Musik“ nach Warmensteinbach, um „gegen Überfremdung und Volkstod“ zu schwadronieren. Was das offenkundig bedeuten soll, wird vollgespickt mit Naziideologie beschrieben: „Auf dieser Veranstaltung wird Jürgen Rieger aber auch zu dem größten und zukunftsträchtigen Projekt des nationalen Widerstands Auskunft geben. Geplant ist ein Siedlungsprojekt für nationale Familien oder junge deutsche Paare, die mit dem Gedanken spielen, in Zeiten des schleichenden Volkstodes eine Familie zu gründen. Die idealen Gegebenheiten dafür ergeben sich durch den Kauf der Immobilie in Warmensteinbach…“.
Zu diesem Zweck solle eine vor Ort bereits als Bauland ausgewiesene Freifläche parzelliert werden, um sie „Kameraden“ für preiswerte Eigenheime feilzubieten, „…nach dem Muster und der Idee der REICHSHEIMSTÄTTEN soll hier ein besonders günstiges aber zugleich solides Eigenheim für deutsche Familien entstehen“ – für neonazistisch geprägte arische Mustermenschen sozusagen. Die Meldung schließt mit dem Satz: „Wir werden uns in dieser strategisch wichtigen Region festsetzen und eines Tages wird es selbstverständlich sein, dass die deutschen Menschen in dieser Region dem Gedenken an Rudolf Heß mit tiefer Anteilnahme und Stolz beiwohnen werden!“.
Erschrecken in Nürnberg
Diese und ähnliche Nazipropaganda im Netz erschrak die örtlichen Behörden zutiefst und wirkte wie ein Weckruf – endlich zu handeln. Denn im Lauf der letzten Jahre ist vor allem Oberfranken wieder zu einer Hochburg von Neonazis geworden, die nicht nur regelmäßig versuchen, nach Gräfenberg oder Wunsiedel zu mobilisieren, sondern in etlichen anderen Orten ebenso umtriebig geworden sind, sei es im bürgerlichen Anzug als NPD-Vertreter oder offen aggressiv als Mitglieder rechtsextremer Kameradschaften. Für Neonazis ist Oberfranken offenbar eine Region mit brauner Tradition. Die nationalsozialistische NSDAP zählte hier einst besonders viele Anhänger und Wähler, daran soll offenbar wieder angeknüpft werden.
Im nahen Nürnberg hat das für Entsetzen gesorgt. Im überaus engagierten Menschenrechtsbüro der Stadt machte sich dessen Leiter Dr. Hans Hesselmann an die Arbeit, mit zahlreichen Kommunalvertretern und Initiativen ins Gespräch zu kommen. Es wurde darüber gesprochen, ob es nicht an der Zeit sei, das Thema Neonazis nicht länger kleinzureden, sondern endlich so ernst zu nehmen wie es ist. „Denn es geht darum, auf diese Weise elementare Menschenrechte zu verteidigen“. Wichtig war Hesselmann, dass sich Kommunen auf regionaler Ebene verabreden und zusammenschließen, um sich künftig gemeinsam zu beraten und zu helfen, gegen Neonazis vorzugehen. Es mache aber keinen Sinn, nur Alarm zu schlagen, wenn Neonazis aufmarschieren wollen, um ihnen gemeinsam entgegenzutreten. Vor allem müsse es darum gehen, „langfristige Strategien zu entwickeln, bevor diese Bande die Köpfe erreicht“, mahnt Hesselmann. Vor allem Jugendarbeit, Menschenrechtsbildung aber auch Erwachsenenbildung gehören für ihn dazu. Ein erstes Handlungsprogramm wurde zuvor entworfen und zur Diskussion gestellt. Dazu wurde nun eingeladen – „wenn nur 30 oder 40 Leute gekommen wären, hätten wir das abgebrochen“, sagt Hesselmann.
Aufbruch mit 134 Partnern
Doch der 19. März wurde zu einem denkwürdigen Tag. Nicht 30, sondern 300 Teilnehmer strömten nach Nürnberg, um die Gründung einer „Allianz gegen Rechtsextremismus“ in der Metropolregion Nürnberg zu beschließen. Insgesamt 134 Kommunen und zivilgesellschaftliche Initiativen waren vertreten – ein unweigerliches Zeichen, dass hier ein akutes Problem Rätsel aufgibt und immer stärker auf den Nägeln brennt. Als auf einem Schaubild zahllose rote Punkte aufleuchteten, wo in der Region Neonazis während der letzten Jahre überall aktiv geworden sind, wurde manchen Teilnehmern besonders bewusst, dass es keinen Sinn mehr macht, immer nur auf Wunsiedel und Gräfenberg als nordbayerische Neonaziwallfahrtsorte zu zeigen – betroffen sind deutlich mehr Orte. Ziel sei es von nun an, zusammenzuhalten und dabei auch jene Kommunen mit ins Boot zu holen, „die immer noch die Augen verschließen vor dem, was an neonazistischem Ungeist wieder am Erwachen ist“, schildert Hesselmann im Gespräch mit der MUT-Redaktion. Nürnbergs Oberbürgermeister Ulrich Maly drückte das bei der Auftaktveranstaltung so aus: Es sei an der Zeit, „dass sich die Bürgermeister selbst an die Spitze der Gegenbewegungen stellen, anstatt das Problem zu verharmlosen".
Eng kooperiert wird mit der kirchlichen Projektstelle gegen Rechtsextremismus in Bad Alexandersbad. Nun soll eine Koordinierungsgruppe dem Verbund eine Geschäftsordnung geben, die auch beinhalten soll, sich regelmäßig Bericht zu erstatten, was vor Ort konkret gegen Rassismus und Rechtsextremismus getan wird – um auf diese Weise gegenseitigen Handlungsdruck in die Kommunen hinein zu erzeugen. Als ein funktionierendes Vorbild verweist Hans Hesselmann auf den 10-Punkte-Aktionsplan der Unseco-Städte-Koalition gegen Rassismus, der sich auch Nürnberg angeschlossen hat. Dieser Aktionsplan dient auch als Vorlage für den Handlungsplan der neuen "Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg":
Auf einer noch zu gestaltenden Website sollen zukünftig fränkische „best-practice-Beispiele“ vorgestellt werden. Bis das soweit ist, wird auf der Homepage des Nürnberger Menschenrechtsbeauftragten über das neue Bündnis informiert, dem interessierte Gemeinden von nun an beitreten können. Als vorrangige Anliegen werden dort folgende Ziele formuliert:
* den Widerstand gegen rechtsextremistische Aktivitäten zu stärken und möglichst viele Menschen bei aktuellen Anlässen zu mobilisieren;
* eine offensive öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema Rechtsextremismus zu fördern;
* die Vernetzung und Zusammenarbeit zwischen Kommunen und zivilgesellschaftlichen Organisationen zu intensivieren;
* den Austausch von Erfahrungen, Informationen und best-practice-Beispielen durch regelmäßige Tagungen und durch eine Website zu unterstützen;
* regionale und überregionale Aktionen gegen Rechtsextremismus zu organisieren und zu koordinieren; und
* bisher noch nicht betroffene Städte und Gemeinden zu sensibilisieren und für eine Mitwirkung in der Allianz zu gewinnen.
Zweimal im Jahr soll es weitere Treffen aller Mitglieder geben, die Erfahrungs- und Wissensaustausch in den Vordergrund stellen. Gezielt wird ein Bündnis mit dem Schülernetzwerk Schule ohne Rassismus gesucht, um auf diese Weise auch Jugendliche besser anzusprechen und einzubinden. Bereits in Planung ist ein überregionales Treffen mit Schulleitern, Lehrern und Schülervertretern. Die bayerische Staatsregierung sei allerdings noch nicht mit von der Partie – „ob es von dort Rückendeckung gibt, weiß ich nicht, aber wir hoffen das sehr“, sagt Hesselmann. Es sei jetzt einfach Zeit zum Handeln gewesen, weil es brennt. „Und was man nicht selber angeht, geschieht nicht“, fügt er hinzu.
Urteil aus Forchheim
Dieser couragierte Nürnberger Aufbruch machte in dieser Woche prompt auch anderen Mut, die mit dem Thema Berührung haben. Im nahen Forchheim wurden vier Tage später die beiden bayerischen Neonazis Norman B. und Matthias F. der Volksverhetzung schuldig gesprochen und - wenn auch noch nicht rechtskräftig - zu je 2400 Euro Geldstrafe verurteilt. Bei ihnen wurden während einer Neonazi-Kundgebung in Gräfenberg größere Mengen Aufkleber mit dem Porträt des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß aufgefunden. Nach der Gerichtsentscheidung sind derartige Aufkleber nun verboten. Auch einer der vielen sinnvollen Schritte, damit diese Gegend nicht zur „Rudolf-Heß-Region“ wird.
Zur Website des Menschenrechtsbüros in Nürnberg
Zum Nürnberger Handlungsprogramm für die Kommunen
Zum 10-Punkte-Aktionsplan der Unesco Städte-Koalition gegen Rassismus
Nazistopp-Nürnberg.de - eine mutige Nürnberger Menschenrechtsinitiative
Mehr zur Gründung der Allianz (Süddeutsche Zeitung, 20.3.09)
Mehr zum Prozess um den Gasthof in Warmensteinbach (BR-Online, 9.4.2009, bild.de, 31.3.2009)
Will Rieger nur noch pachten? Neues aus Warmensteinbach (Nürnberger Nachrichten, 10.6.09)
Copyright: www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Fotos: Kulick