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"Weil hier sehr viele zu Tode kamen..."

Eine Gruppe Jugendlicher hat die Geschichte Salzgitters recherchiert und Rap-Songs über die nationalsozialistische Vergangenheit der Stadt produziert. Das von der Amadeu Antonio Stiftung betreute Projekt ist Teil des Projektverbundes „Living Equality“, der sich für die Stärkung der Gleichwertigkeit aller Menschen im Alltag einsetzt.

Von Stella Hindemith

„1942 machte sich die Stadt ein´ Namen/ Weil man Erz fand, machte diese Stadt Einnahmen!/ Die Stadt mit 31 Stadtteilen und sieben Ortschaften/ Wir müssen uns Gedanken über diesen Ort machen/ Weil hier sehr viele zu Tode kamen,“ beginnt einer der Rap-Songs, die eine Gruppe Jugendlicher aus Salzgitter über die nationalsozialistische Vergangenheit der Stadt und ihre Erinnerungskultur produziert hat. „Wir sind der neue Gedenkstein, beständig in Gedanken, die Menschen leben immer noch in geistigen Schranken“ erklären sich die Jungs aus Salzgitter, das 1942 von den Nationalsozialisten gegründet wurde. Am vergangenen Samstag besuchten sie Berlin, gemeinsam mit Maike Weth und Jan Karadas, die die Produktion der Songs inhaltlich mit der Gruppe vorbereitet und mit dem nötigen musikalischen und technischen Know-how unterstützt haben. Nachdem sich die Gruppe in Vorbereitungstreffen und einem Wochenendworkshop mit der Geschichte ihrer Stadt auseinandergesetzt hatte, kam sie nach Berlin, um – begleitet von Andrés Nader von der Amadeu Antonio Stiftung - die dortige Erinnerungskultur kennen zu lernen und um in den Räumlichkeiten der Amadeu Antonio Stiftung zum ersten Mal die fertigen Songs zu hören.

„Keiner will´s gesehen haben: Menschen wurden durch die Stadt getrieben, um durch ihre Arbeit dem Reich zu dienen, wir gehen tagtäglich über Blut und Knochen und es bringt mich zum Kochen, wenn ich seh’ wie die Vergangenheit in Vergessenheit gerät“, heißt es in einem der Songs, in denen die Jugendlichen in typischer Hip Hop-Manier Stellung zur Geschichte ihrer Stadt beziehen: „Hebt die Faust für Salzgitter, die Stadt mit zwei Gesichtern!“ Dass die Jungen durch das Projekt auch nach Berlin fahren konnten, bereitete ihnen sichtliches Vergnügen. Im Konferenzraum der Amadeu Antonio Stiftung phantasierten sie, wie sich die Lampen an der Decke in Discolichter verwandeln könnten - und was für eine „fette Party“ man dann dort feiern könnte. Gleichzeitig widmete sich die Gruppe jedoch mit großer Aufmerksamkeit dem Tagesprogramm. Am Morgen lief sie durch das Bayerische Viertel, wo sie von Andrés Nader die Aufgabe bekamen, sich die „Orte des Erinnerns“ anzusehen und aufzuschreiben, was sie entdecken. Das 1993 eingeweihte Denkmal besteht aus Gedenktafeln, die über viele Straßen hinweg verteilt sind und auf denen einzelne Erlasse und Verbote der Nationalsozialisten nachzulesen sind. Nach dem Rundgang kam es dann zu einer Diskussion, in der die Jungen die Auswirkungen der Verbote auf den Alltag jüdischer Berliner nachzuvollziehen versuchten. Nach dieser Diskussion und einigen Nachfragen fuhr die Truppe dann weiter zu einer Führung durch das Museum „Blindenwerkstatt Otto Weidt“. In den Räumlichkeiten des Museums hat Otto Weidt eine Blindenwerkstatt betrieben, in der er bis 1944 blinde und sehende jüdische Arbeiter beschäftigte, die mit seiner Hilfe einige Jahre der Deportation entkamen. Eine Familie versteckte er sogar in seinen Räumen.

Die Amadeu Antonio Stiftung hat das Projekt beraten und unterstützt. Es ist Teil des zu „Living Equality“ gehörenden Projekts „Antisemitismus in Ost und West: Lokale Geschichte sichtbar machen“. Die Ausgangsüberlegung ist, dass Nationalsozialismus und Holocaust oft nicht mit dem eigenen Herkunfts- oder Wohnort in Verbindung gebracht werden. So hören Schüler im Unterricht etwas über die Wannseekonferenz in Berlin oder Konzentrationslager in Polen. Selten aber reden sie darüber, was in ihrer unmittelbaren Umgebung passiert ist. Das Resultat ist, dass die Bezüge zur eigenen Umgebung nicht hergestellt werden. Die nationalsozialistische Vergangenheit wird gedanklich und emotional vom Wissen über das eigene Umfeld abgekoppelt. In Deutschland ist die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Holocaust für den Kampf gegen Antisemitismus aber grundlegend.

Nach einer verdienten Mittagspause zog die Gruppe dann weiter und besichtigte das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas und – darauf bestanden die Jungen, obwohl es so nicht geplant war – den darunter liegenden Ort der Information. Beim letzten Programmpunkt, der Besichtigung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen, kippte die bis dahin gute Stimmung. „Ich finde, so etwas geht nicht“ äußerte einer der Teilnehmer in Bezug auf die gesehenen Aufnahmen zweier sich küssender Männer. „Das ist eben meine Meinung. Man sollte mit so etwas gar nicht erst anfangen.“ Eine anschließende Diskussion schien zwei der Jungen nicht zur Reflektion solcher Aussagen zu bewegen, sondern ihr Unbehagen gegenüber dem Thema fast noch zu verstärken. Und dass die Pädagogen, die den Jungen die im Laufe des Tages immer mal wieder auftauchenden Sprüche bis dahin nachgesehen oder ironisch kommentiert hatten, nun sehr deutlich zeigten, dass hier eine Grenze erreicht war und sie solche Aussagen für nicht akzeptabel halten, schien die Jungen sehr zu verunsichern. Andrés Nader erklärte, dass es sich bei den Äußerungen nicht um originelle Meinungen handelt, sondern um Ressentiments, die weit verbreitet sind. Und dass der gemeinsam verbrachte Tag im Rahmen vom Programm „Vielfalt tut gut“ statt fand, dem der Gedanke zu Grunde liegt, dass Vielfalt ein wichtiger Indikator für eine funktionierende demokratische Kultur ist.

Aber da waren die Ohren schon auf Durchzug geschaltet und einige der Jungen nicht mehr zu erreichen. Solche Disharmonien und Konfrontationen gehören zum Prozess der Auseinandersetzung. Dieser Prozess war, das wurde am Ende des Tages deutlich, eben einfach noch nicht abgeschlossen. Die Arbeit geht weiter.


Lyrics und die Songs zum Download als MP3

Rapgruppe
Rapgruppe

Raffael, Marius und Eric aus Salzgitter


Strophe 1 (Raffael):


1942 wurde die Nordstadt im Bad erbaut,
dafür hat man Gefangene, Todgeweihte missbraucht,
aus dem KZ-Gefangenenlager von Drütte wurden sie getrieben,
Leichen einfach auf dem Weg zurückgeblieben,
eine Stadt erschaffen von Juden
– Freidenker, die versuchten sich der Macht zu widersetzen,
gezwungen mit Waffen von verhassten Massen,
andere die durch Angst erblassen.
Das Monument in Lebenstedt ´95 errichtet,
so glaubt man, man hätte die Vergangenheit gerichtet,
es ist fast als hätte man sich Lügen ausgedacht,
damit die Vergangenheit in Vergessenheit gerät,
doch jeder weiß, es gibt nichts, was die Zeit zurückdreht
- was die Zeit zurückdreht.

Refrain:

Es reicht nicht – von der Geschichte zu erzählen,
weil die Gedanken uns quälen.
Wir rappen nicht nur über Menschen – NEIN –
sondern geschändete Seelen.

Es reicht nicht – von der Geschichte zu erzählen,
weil die Gedanken uns quälen.
Wir rappen nicht nur über Menschen – NEIN –
sondern verlorene Seelen.

Strophe 2 (Marius):

Wir haben REPs im Rat der Stadt sitzen,
ich sag mal, das sind ziemliche schlechte Aussichten.
Das ist Salzgitter wir sind eine Multikultistadt
und trotzdem findet hier keine Integration statt.
Jetzt zurück in die Vergangenheit – damals geplant als Hermann-Göring-Stadt,
ihr fragt euch „Was?“ Doch so war´s wirklich,
wir sind der neue Gedenkstein, beständig in Gedanken,
die Menschen leben immer noch in geistigen Schranken,
keiner will´s gesehen haben: Menschen wurden durch die Stadt getrieben,
um durch ihre Arbeit dem Reich zu dienen,
wir gehen tagtäglich über Blut und Knochen
und es bringt mich zum Kochen,
wenn ich seh
wie die Vergangenheit in Vergessenheit gerät.

Refrain:

Es reicht nicht – von der Geschichte zu erzählen,
weil die Gedanken uns quälen.
Wir rappen nicht nur über Menschen – NEIN –
sondern geschändete Seelen.

Es reicht nicht – von der Geschichte zu erzählen,
weil die Gedanken uns quälen.
Wir rappen nicht nur über Menschen – NEIN –
sondern verlorene Seelen.

Strophe 3 (Eric):

Die Hütte, ehemals Hermann-Göring-Werke, die Geschichte verschwiegen,
Menschen durch Arbeit zu Tode getrieben,
nichts als die schreckliche Erinnerung ist geblieben,
das Einzige, was bleibt, sind Dinge wie der Findling, auf diesem steht geschrieben:
„In Gedenken an die Opfer“ – Der Stein ist ein Witz!
Ich hoffe, mein Rap schlägt ein wie ein Blitz,
wir müssen noch eine Menge machen, denn was damals geschah,
war nicht nur ein Versehen,
es war ein trauriges Geschehen,
deswegen sollten wir öfters mal zurücksehen (x2).

Refrain (x2):

Es reicht nicht – von der Geschichte zu erzählen,
weil die Gedanken uns quälen.
Wir rappen nicht nur über Menschen – NEIN –
sondern geschändete Seelen.

Es reicht nicht – von der Geschichte zu erzählen,
weil die Gedanken uns quälen.
Wir rappen nicht nur über Menschen – NEIN –
sondern verlorene Seelen.

und hier gehts zum Download


Rapgruppe2
Rapgruppe2

David, Paul und Kevin.


Strophe 1 (David):

1942 machte sich die Stadt ein´ Namen,
weil man Erz fand, machte diese Stadt Einnahmen!
Die Stadt mit 31 Stadtteilen und sieben Ortschaften,
wir müssen uns Gedanken über diesen Ort machen,
weil hier sehr Viele zu Tode kamen,
an jedem Tag in den KZs am Abgrund und am Boden lagen,
so anstrengend weil das harte Arbeit war,
das Stadtmonument stellt die harte Arbeit dar,
denn in den Lagern war oft ein Befehl zu hören:
Du musst gehorchen, um selber auch befehlen zu können!
Was ist das für eine Stadt gewesen?
Durch Hitlers Wesen ein geknicktes Leben!
Und jetzt trauern die Leute an den Grabstätten
in der Hoffnung, dass wir endlich neue Ziele an den Tag setzen.
Denkt an die Eltern und Geschwister!
Hebt jetzt die Faust für Salzgitter, die Stadt mit zwei Gesichtern!

Refrain

Guck dir diese Stadt an –
Das ist Salzgitter für die ganze Nation, hebt jetzt die Fäuste hoch!
Was ich nicht abkann –
Wegen Hitlers Machenschaften sind so viele Leute tot!
Guck dir diese Stadt an –
Wir sind für euch, ihr für uns, zusammenhalten, stark sein!
Was ich nicht abkann –
dass so Viele sterben mussten in den harten Zeiten!

Strophe 2 (Paul & Kevin)

Und es ist schlimm zu wissen, was alles geschehen ist,
sagen sie wollen was verbessern, doch sie verdrehen es!
SZ - Salzgitter hat vieles durchgemacht:
Menschen wurden abgeschleppt, weinend ins KZ gebracht!
Quälerei, Verluste, Tränen und andere Qualen
und was ist daraus geworden? Erinnerungen Jammertal!
BRD, LBC, Fredenberg da leben wir,
LBC, Monument, Erinnerung bleibt in dir!

Es war schwer dieses Leben zwischen Nazis und Dreck,
früher war es wirklich hart in SZ und den KZs,
es ging um Geld, Macht und Habgier,
sie mussten viel ertragen, schuften für Nichts, ja Mann, es war hart hier,
Salzgitter wurde im zweiten Weltkrieg bombardiert und zerstört,
ein Befehl von Hitler, es wurde abmarschiert, drauf gehört!
Zurückgeblieben ist eine geteilte Stadt
und Vergangenheit über die keiner lacht!
Refrain

Guck dir diese Stadt an –
Das ist Salzgitter für die ganze Nation, hebt jetzt die Fäuste hoch!
Was ich nicht abkann –
Wegen Hitlers Machenschaften sind so viele Leute tot!
Guck dir diese Stadt an –
Wir sind für euch, ihr für uns, zusammenhalten, stark sein!
Was ich nicht abkann –
dass so Viele sterben mussten in den harten Zeiten!

und hier gehts zum Download

mut-gegen-rechte-gewalt.de

slazgitter-rap-gruppe-013.jpg

Die beiden Rapgruppen mit ihren Betreuern