Jutta Rosentreter war gerade acht Jahre alt, als sie mit ihrem zwöfjährigen Bruder Hans und ihren Eltern aus Berlin nach Riga deportiert wurde. Das war am 18.10.1942. Dort wurde die Familie nur vier Tage nach der Ankunft von den Nazis ermordet - ausgelöscht. Seit 8. Juli 2008 erinnern sieben Stolpersteine im Bürgersteigpflaster der Rosa-Luxemburg Straße 18 an das Schicksal der Familie, die hier einmal lebte. Für den Kölner Bildhauer Gunter Demnig sind die Denk-Steine an dieser Stelle von ganz besonderer Bedeutung: In jenes Haus ist kürzlich ein Klamottenladen der Neonaziszene eingezogen, gegen den Anwohner seit März einfallsreich protestieren. Sie mussten Demnig nicht lange bitten, sie bei ihrem Protest zu unterstützen.
Von Holger Kulick
Kaum ist Gunter Demnig vorgefahren, ist er auch schon an der Arbeit. Mit Hammer und Meißel ist schnell eine Lücke in das Gehwegpflaster geschlagen, Mörtel angerührt und sieben Gedenksteine werden zwischen die Plastersteine gesetzt. "
Stolpersteine", wie sie der Kölner Künstler nennt. Auf ihrer Messingkappe stehen die Namen der sieben Deportierten aus diesem Haus, neben der ermordeten Familie Klara, Adolf, Hans und Jutta Rosentreter wird an die 53-jährige Jenny Glück erinnert, die in Auschwitz ermordet wurde, und an Jakob Joelsohn (64) und seine 69-jährige Frau Minna, die in Riga hingerichtet wurden.
In Sichtweite 10 Meter weiter residiert seit 1. Februar der Stein des Anstoßes für diese Aktion. Toensberg, eine Boutique, die vor allem Klamotten verkauft, die der moderne Neonazi gerne trägt - zum Beispiel Thor Steinar, eine Marke, die gemeinhin als Erkennungszeichen für besonders überzeugte Rechtsextreme gilt. Von "szenetypischem Erkennungs- sowie ´Abgrenzungsmerkmal´" spricht der Verfassungsschutz. Doch einen Anziehungspunkt für solches braunes Klientel wollen die Bewohner des historischen Scheunenviertels von Berlin nicht haben, in dem bis zum Dritten Reich jüdisches Leben pulsierte.
Einfallsreich hat sich im Frühjahr 2008 eine Bürgerinitiative fomiert, "Mitte gegen Rechts". Mit dieser Aufschrift lies das lokale Bündnis, dem sogar der Bezirksbürgermeister angehört, vor kurzem einen Container genau vor der Ladenfront abladen, um den Besitzern und ihren Kunden deutlich zu machen, wie wenig erwünscht sie hier sind. Die
Amadeu Antonio Stiftung sammelte Spenden für die Aktion, gut 4.500 Euro kamen auf Anhieb dafür zusammen.
Auch der Hausvermieter hat dem Laden inzwischen gekündigt, weil er sich durch die Betreiber genasführt sieht. Am 11. März wurde vor dem Landgericht Räumungsklage eingereicht, verhandelt wird voraussichtlich im September. Doch so lange wollten die Anwohner nicht warten. Den Kölner Künstler Gunter Demnig davon zu überzeugen, im Rahmen ihres Antinaziprotests auch hier seine "Stolpersteine" zu verlegen, dauerte nicht lange.
Für ihn sind dies soziale Skulpuren, die dazu führen sollen, dass sich Menschen damit beschäftigen. "Kunst wird so zum Bestandteil eines sozialen Prozesses". Sie mache denk-aktiv und wirke dabei mit, politisches Bewusstsein zu stärken. Hier seien die Stolpersteine schon fast nicht mehr nötig "wo die Bürger schon von sich aus so aktiv geworden sind", lobt Gunter Demnig das Anwohner-Engagement. Dennoch will er nochmal wiederkommen. "Denn aus diesem Haus wurden noch mehr Juden verschleppt" hat er erfahren, und auch an die möchte er gerne erinnern - gerade hier in der Toensberg-Nachbarschaft. Angst, dass sein Denk-Kunst-Werk in politisch so exponierter Lage beschädigt wird, hat er nicht. Das passiere zwar gelegentlich (
Ende Mai erst an anderer Stelle in Berlin). Aber die rechtsextreme Szene wisse schließlich auch, wie sehr ihr solche Schlagzeilen schaden würden und schaue daher lieber eiskalt über solche Anstöße zum Nachdenken hinweg. Angesprochen werden soll ohnehin das ganz normale Laufpublikum - und wenn es nur für einen kleinen Moment des Innehaltens ist.
Kaum ist Demnig aufgebrochen, um noch an zwei anderen Stellen in Berlin Stolperstein zu legen, stoppt eine etwa 50-jährige Fußgängerin vor den Steinen ihren Lauf. Flüchtig liest sie den Text auf den Messingbeschlägen, dreht sich zu mir um und fragt mit erstaunten Augen: "Sind die ermordet worden? Von der Stasi?" . "Nein", sage ich, "von den Nazis im Dritten Reich". "Oh, das ist ja traurig", antwortet die Frau selbstkritisch zu sich selber, "dass ich da so wenig drüber weiß...".
P.S.: Offiziell eingeweiht wurden die Gedenksteine eine Woche später am 17. Juli offiziell im Beisein von Berlin-Mittes Bezirksbürgermeister Christian Hanke (SPD). Gleichzeitig wurde eine Freiluftaufstellung zum Schicksal der sieben jüdischen Opfer der Öffentlichkeit übergeben. Sie ist direkt vor Ort zu sehen.
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Fotos: Kulick