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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
Am 28. Mai wurden im Rahmen des Schülerzeitungswettbewerbs der Länder im Bundesrat von der Amadeu Antonio Stiftung auch vier Sonderpreise der MUT-Aktion "Junge Medien mit Mut" verliehen. Dieser Text aus Dresden gehört dazu...
Von Rick Noack, Schülerzeitung RUMS*
Shila* hat Angst. Wenn sie spricht, wirkt sie gefasst, doch sie schließt die Tür ab, sobald ich in ihrer Wohnung in Dresden stehe. Sie wohnt dort allein, einsam fühlt sie sich angeblich nicht. An der Wand hängen Familienfotos. Glückliche Gesichter strahlen mir entgegen. Daneben steht ein Computer und auf dem Tisch liegen Kekse. Auf dem Balkon zwitschern Vögel. Es ist ein sonniger Tag. Und dies könnte die Wohnung einer glücklichen, jungen Frau sein. Aber für Shila ist es ein Gefängnis.
Sie versucht die Wahrheit zu verbergen, die sickert erst im Laufe des Gespräches durch. Denn die Wahrheit ist, dass sie sich nicht allein auf die Straße wagt, dass sie in Gefahr ist. Nachts hat sie Albträume - sie träumt vom Tod. Schuld ist die Deutsche Asylbehörde. Die könnte die Frau zurück zu den Taliban nach Afghanistan abschieben. Und dort würde sie sterben. Die Todesursache könnte dieser Artikel sein. Deshalb will sie keine Fotos, keine Tonbandaufnahmen, nichts, was auf ihre Identität hinweisen könnte. Stattdessen will sie die Wahrheit.
Angst vor den Taliban
Shila ist 24 Jahre alt und ein Flüchtling. Vor acht Jahren kam sie aus Afghanistan nach Deutschland. In Afghanistan ist sie sechs Mal fast umgekommen.
In einer Nacht lag sie schon im Bett und schlief. Ihr Gesicht war von einer Decke bedeckt - sie rettete ihr das Leben. Denn in dieser Nacht wurde das Nachbarhaus von einer Rakete getroffen, die Scheiben von Shilas Zimmer zersplitterten. Doch wie durch ein Wunder überlebte sie. Shila sagt: „In Afghanistan kann man sich nirgendwo verstecken, man ist den Raketen schutzlos ausgeliefert. Und die Taliban sind schrecklich.“ Vor diesem letzten Satz hat sie Angst. Sie betont ihn nicht, aber danach macht sie eine Pause. War es richtig, das gesagt zu haben, scheint sie zu denken. In ihrer Heimat wäre sie nach diesen Worten schon so gut wie tot. Wird ein Angehöriger der Taliban diesen Satz lesen? Lange denkt Shila nach. Aber sie ist eine mutige Frau, sie will Gerechtigkeit, sie will diesen Satz gedruckt sehen.
Shila bewegte sich nie aus ihrem Haus in der Hauptstadt Kabul hinaus. Zwei Jahre lang ging das so. „Es war eine schwere Zeit für mich. Ich bin fast dumm im Kopf geworden“, erzählt sie.
Schließlich floh sie mit ihrer Familie nach Deutschland. Sie möchte davon nichts erzählen, denn sie fürchtet die möglichen Konsequenzen. Sie lacht, als sie das sagt, aber ihr Körper spannt sich an, ihre Augen werden kleiner. In Deutschland angekommen, lebte die Familie vier Jahre lang in Hamburg, versuchte sich ein Leben aufzubauen. Vier Jahre lang wartete die Familie auf einen Bescheid, dass sie in Deutschland akzeptiert ist. Doch der kam nie. Stattdessen teilten die Deutschen Behörden Shilas Familie auf. Shila selbst musste entweder nach Dresden gehen oder das Land verlassen.
Probleme nicht mit den Menschen. Aber den Behörden
In Hamburg hatte sie schlimme Dinge über die Ostdeutschen gehört. Man erzählte dort, dass die Dresdner unfreundlich seien. Doch als Shila nach Dresden kam, spürte sie das Gegenteil. Die Menschen halfen ihr. Hier fand sie auch die Cabana Migrationserstberatungsstelle. Am Anfang hatte sie viele Probleme: Sie brauchte eine Wohnung und sie brauchte Arbeit. Die Migrationsberatungsstelle half ihr, eine Arbeitserlaubnis zu bekommen. Und bald darauf wurde ihr eine Ausbildung angeboten. „Meine Klassenlehrerin ist für mich wie ein Teil meiner Familie“, erzählt Shila, „sie sagt, dass ich mich bei Problemen immer an sie wenden kann.“ Obwohl Shila Dresden und ihre Einwohner liebt, gibt es Probleme. Die Ausländerbehörde war am Anfang, als sie gerade neu in Dresden war, mehr als unfreundlich zu ihr. Doch Shila ist der Meinung, dass Menschen für Menschen da sein sollten.
Ihre Rückkehr wäre der Tod
Es klingt beiläufig, aber sie verbindet das mit ihrer eigenen Tätigkeit als Auszubildende. Shila hat für diese Ausbildung einen hohen Preis gezahlt. Denn sie arbeitet in einer christlichen Einrichtung - und stammt aus einem muslimischen Land. Wenn sie dorthin zurückkehren würde - wäre sie tot. Shila spricht oft vom Sterben, stets mit einem netten Lächeln auf den Lippen. Sie ist eine Frau der Gegensätze. Doch für die Deutschen Behörden ist sie nur eine Ausländerin - eine, die es nicht um jeden Preis wert ist, deutsche Luft zu atmen.
Nach acht Jahren in Deutschland hat Shila noch immer keine Bestätigung erhalten, dass sie bleiben darf. Die Deutschen nennen das Integration, Shila nennt es ungerecht, deprimierend. Denn andere Leute, die keine Arbeit haben bekommen ein Bleiberecht. Aber sie, die sich anstrengt und für ihr Leben in Deutschland hart arbeitet und lernt, sie bekommt nichts.
Nächstes Jahr läuft Shilas Aufenthaltsgenehmigung aus, danach fürchtet sie, wird sie abgeschoben. Es wäre Mord, das weiß sie und das wissen auch die Behörden. Shila ist eine starke Frau, sie hat einen Traum, ein Ziel. Vielleicht will sie irgendwann auch heiraten, sie weiß es noch nicht. Aber Shila will nicht sterben.
*Name von der Redaktion geändert. Der Beitrag gehört zur Endauswahl für den Preis 'Medien mit Mut' der Amadeu Antonio Stiftung im Schülerzeitungswettbewerb der Länder, der am 28. Mai 2009 im Bundesrat in Berlin verliehen wurde. Mehr dazu hier.
Ausführliche Studie: Schattenbericht deutscher NGOs über Rassismus in Deutschland
Zum Thema: Mord in Dresden an einer Ägypterin
Copyright: www.mut-gegen-rechte-gewalt.de & RUMS, Schülerzeitung des Marie-Curie-Gymnasiums Dresden / Das in RUMS abgebildete Foto stammt von Viola Schillinger und ist nicht Shila. Aus Sicherheitsgründen / hk