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Bedrückende Folgen von Antisemitismus

Unter dem Titel "Bewachter Alltag: Antisemitische Mentalitäten - Ausschnitte einer verschobenen Normalität" wurde am 16.1. in der Berliner Amadeu Antonio Stiftung eine Ausstellung mit wissenschaftlichem Beiprogramm eröffnet. Unmittelbar zuvor kam es in direkter Nachbarschaft zu einem antisemitischen Übergriff. Und wegen zusätzlicher Terror-Angst aus Nahost ist die Bewachung jüdischer Einrichtungen in Berlin derzeit besonders intensiv.

Die Einrichtungen der Jüdischen Gemeinde Berlin sind nach Polizeiangaben im Moment besonderer Gefahr ausgesetzt. Die Jüdische Gemeinde zu Berlin sei Mitte Januar vor Attentaten islamistischer Terroristen gewarnt worden, bestätigten Sicherheitskreise dem Berliner Tagesspiegel vom 19.1.2008. In Berlin-Mitte seien vier Araber beim Ausspähen mehrerer Objekte ertappt und festgenommen worden waren. Drei Verdächtige sollen wieder frei gelassen, ein vierter wegen anderer Delikte in Haft genommen worden sein. Daher herrscht derzeit eine besonders hohe Sicherheitsstufe. Obwohl präsente Polizisten schon seit langem zum Alltag jüdischer Einrichtungen gehören:  denn nicht nur Berlin-Besucher kennen dieses Bild: Jüdische Einrichtungen stehen ständig unter bewachtem Schutz: jüdische Schulen, Kindergärten, Synagogen, Altersheime, Friedhöfe, Museen - aus Furcht vor Anschlägen, sei es von Neonazis oder islamistischen Terroristen. Dort wo solcher Schutz nachlässig erfolgt, rächt sich das oft schnell. In Berlin-Mitte geschah dies erst am 16.1., nach Schulschluss eines jüdischen Gymnasiums, das während der Schulzeit von einem Sicherheitsdienst bewacht wird. An der Ecke Oranienburger Straße /Große Hamburger Straße hetzten zwei bis vier 27- und 31 Jahre alte Punks ihren Hund auf fünf 15- bis 17-jährige Schüler, die sich nach Schulschluss gegen 14 Uhr 45 auf dem Heimweg befanden. Außerdem beschimpften sie ihre Opfer mit antisemitischen Parolen. Die Jugendlichen flüchteten in eine Bäckerei. Zeugen riefen sofort die Polizei.
Ein Jahr zuvor scheiterte die Brandstiftung in einer jüdischen Kita in Berlin-Charlottenburg nur knapp. Und erst in der vergangenen Woche wurden zwei jüdische Einrichtungen in Westend und in Prenzlauer Berg von bislang unbekannten Tätern attackiert. So wurden am Dienstag Fenster eines Hauses Am Rupenhorn mit eindeutig antisemitischem Hintergrund beschädigt sowie das Lapidarium an der Schönhauser Allee mit Pflastersteinen beworfen.

Wie notwendig also Schutz selbst für kleinste jüdische Einrichtungen ist, zeigen auch die Statistiken der antisemitischen Straftaten und die Verbreitung antisemitischer Einstellungen. Allein im dritten Quartal 2007 hat die Innenbehörde Berlins 31 Straftaten mit antisemitischem Hintergrund gezählt, bundesweit waren es im gleichen Zeitraum 248 Fälle. Selbst vor Toten haben Angreifer keinen Respekt. Seit 2002 hat die Bundesregierung mehr als 237 Schändungen jüdischer Friedhöfe gezählt, also fast jede Woche einmal.

Für Besucher jüdischer Einrichtungen, die solche Hintergründe nicht kennen, mag die Polizei-Bewachung bedrohlich erscheinen; für die Bewachten selbst gehört sie zum Alltag. Sie ermöglicht Normalität und stellt diese zugleich in Frage. Friedfertige Einrichtungen werden menschenfeindlich durch die Menschenfeindlichkeit, die sie umgibt.


Schwarzweiß-Bilder der Fotografin Nele Heitmeyer, die diese Schutzmaßnahmen auf bedrückende Weise zeigen, Interviews der Journalistin Nora Hertel und die Darstellung der aktuellen Untersuchung zu Antisemitismus als einem Aspekt gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit machen Hintergründe zu diesem Dilemma deutlich. Sie richten den Blick auf die Frage nach der Qualität einer Normalität, an der sich die Gesellschaft beurteilen lassen muss. Diese Bilder und Texte werden jetzt in Räumen der Berliner Amadeu Antonio Stiftung und der Freudenberg Stiftung gezeigt. Die Ausstellung wurde am 16.1. durch den Bezirksbürgermeister von Berlin-Mitte Herrn Dr. Christian Hanke eröffnet und wird noch bis Ostern gezeigt.

Im Rahmen der Ausstellung wird Dr. Andreas Zick vom Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld einen Vortrag halten. Dr. Andreas Zick ist Mitarbeiter der GMF-Langzeitstudie über Menschenfeindlichkeit in Deutschland (2002-2012). Darüber hinaus ist er derzeit Inhaber einer Vertretungsprofessur für Sozialpsychologie an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena. Interessierte können sich unter 030-24088610 zur Besichtigung anmelden.

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / h.kulick
Das Foto zeigt die Außenwand einer jüdischen Kita in Berlin, an die vor einem Jahr Nazisymbole und die Aufschrift Auschwitz gesprayt wurden. Ein Brandsatz zündete durch glückliche Umstände nicht. (hk-Foto)

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Wieder übertünchte Aufschrift auschwitz an jüdischer Kita in Berlin