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Seit dem 7. Januar 2005 hat ein mysteriöser Todesfall die Polizei in Dessau ins Zwielicht gerückt. In einer Ausnüchterungszelle verbrannte ein 21jähriger aus Sierra Leone - an eine Matratze gefesselt. Wieso das Feuer überhaupt entstehen konnte und warum die wachhabenden Polizisten nicht reagierten ist mitterweile Gegenstand eines immer mehr Fragen aufwerfenden Prozesses. Aus Protest über die bislang wenig überzeugende Wahrheitsfindung will sich jetzt die Dessauer Initiative in Gedenken an Oury Jalloh aus der Prozessbeobachtung zurückziehen und ruft zu regelmäßigen Protestaktionen auf. Hier die ausführliche Erklärung der Gruppe im Wortlaut:
"STELLUNGNAHME ANLÄSSLICH DER FORTSETZUNG DES PROZESSES IM TODESFALL OURY JALLOH"
"Im Fall Oury Jalloh hat es in den letzten Wochen einige neue Entwicklungen gegeben. Die wichtigste ist, dass am 25. April am Institut der Feuerwehr in Heyrothsberge bei Magdeburg ein Versuch unternommen wurde, das Feuer zu rekonstruieren, von dem angenommen wird, dass es Oury Jalloh getötet hat (siehe Foto). Der aufgrund der Erkrankung des angeklagten Polizisten Schubert und einer der Schöffen für etwa 8 Wochen ausgesetzte Prozess wurde am 2. Juni 2008 wiederaufgenommen. Es folgt eine Erklärung der Initiative in Gedenken an Oury Jalloh:
Nach wochenlangen Vorbereitungen haben am 25. April 2008 Brandtechniker am Institut der Feuerwehr in Heyrothsberge bei Magdeburg die Zelle Nr. 5 rekonstruiert. Unter Anordnung des Gerichts haben die Brandtechniker die Details der Gewahrsamszelle nachgebaut, um ein Feuer unter den Umständen zu errichten, unter denen Oury Jalloh angeblich ums Leben kam. Nach Aussage der Brandtechniker waren die Bedingungen in der Zelle exakt die gleichen wie die am schicksalhaften Tag des 7. Januar 2005.
Die Rekonstruktion des Feuers zielte jedoch nur auf die Bestimmung der Entwicklung der Hitze und der Flammen zu dem Zeitpunkt ab, als das Feuer tatsächlich zu brennen begann und nicht auf entscheidende Frage, wie das Feuer überhaupt ausbrach. Ziel des Versuchs war, die Temperatur in der Gegend um Oury Jallohs Kopf innerhalb der 6 ½ Minuten zu bestimmen, nachdem er angeblich das Feuer auf seiner feuerfesten Matratze gelegt hatte.
Ursprünglich war die originalgetreue Rekonstruktion der Ereignisse in Zelle Nr. 5 als Teil der öffentlichen Anhörung im Prozess gegen Andreas Schuber und Hans-Ulrich März geplant. Sie sind beide angeklagt wegen Fahrlässigkeit bzw. weil sie vorgeblich das Feuerzeug übersehen haben, mit dem Oury Jalloh sich selbst angezündet haben soll. Die plötzliche Krankheit von Andreas Schubert brachte Richter Steinhoff jedoch dazu, die Rekonstruktion des Feuers ohne Beteiligung der Öffentlichkeit durchzuführen.
Der Presse wurde nur am Morgen des 25. Aprils der Zutritt erlaubt, während die Rekonstruktion an sich erst am Nachmittag stattfand. In dieser Zeit durften die Medienvertreter Fragen stellen und ein paar Fotos von der nachgestellten Zelle machen. Die Feuertechniker begannen ihre Arbeit jedoch erst, als nur noch die Anwälte beider Seiten, der Staatsanwalt und die Mitglieder des Gerichts anwesen waren. Da der Prozess auf die These beschränkt ist, Oury Jalloh hätte das Feuer selbst gelegt, während er mit Händen und Füßen an eine feuerfeste Matratze gekettet war, begann die Rekonstruktion damit, die Matratze in Brand zu setzen. Die einzige Möglichkeit um die Matratze mit ihrer feuerfesten Oberfläche in Brand zu setzen ist, mit einem scharfen Gegenstand ein Loch von etwa 20 cm Durchmesser in den Überzug zu schneiden. Diesen Gegenstand jedoch gab es nicht in Zelle Nr. 5.!
Zudem muss ein bestimmter Teil des Matratzeninneren entfernt werden, damit das Feuer überhaupt brennen kann. Die Feuertechniker des Feuerwehrinstitut haben genau diese eben beschriebenen Vorrichtungen getroffen, um das Feuer in Zelle 5 zum Brennen zu bringen. Nachdem sich das Feuer im Inneren der Matratze ausbreitete, passierte etwas Bemerkenswertes: anstelle dessen, dass der Überzug der Matratze in Flammen aufging, verursachte die Hitze des Feuers unter der feuerfesten Matratze, dass der Überzug sich nach unten zusammenfaltete. Das Feuer ging infolge dessen von alleine aus. Die Brandtechniker mussten erneut in die Zelle gehen und die Matratze wieder anzünden, die diesmal leicht in Brand zu setzen war. Nachdem die Matratze beim zweiten Versuch genau für die Zeit brannte, die das Gericht unter Richter Steinhoff als relevant für den Prozess betrachtet (etwa 6 ½ Minuten), wurde das Feuer ausgelöscht. Nach unseren Quellen hat die Hitze in der Region um Oury Jallohs Kopf nicht 180 Grad erreicht, die jedoch notwendig gewesen wäre, damit Oury Jalloh in der vorgegebenen Zeit an Hitzeschock hätte sterben können (der offiziellen Todesursache).
Im Lichte dessen stellt die Initiative in Gedenken an Oury Jalloh die folgenden Fragen:
· Welche Erklärung gibt es für die Tatsache, dass sich das Feuer durch das Zusammenrollen des
feuerfesten Überzugs in Folge der Hitzeentwicklung selbst auslöschte?
· Würde eine Person, die angeblich bei Bewusstsein und in der Lage war, normal zu sprechen (siehe die vielen Zeugenaussagen von Beate Höpfner) bei der ersten Bemerkung von Hitze nicht sofort reagieren, indem sie auf die Feuerquelle schlägt?
· Welche Erklärung haben die Behörden für die Tatsache, dass die Reinigungsfrau, die die Zelle Nr. 5 an diesem schicksalhaften Tag säuberte, ausgesagt hat, dass sie sich nicht an Schäden an der Matzratze erinnern könne?
· Warum ist es nicht wichtig zu sehen, wie viel Zeit für welche Temperaturentwicklung benötigt wird, obwohl von Beginn an das Gerichtsmedizinische Institut in Halle und der Staatsanwalt von einer Temperatur von 350 Grad sprachen?
· Welche Erklärung haben die Behörden für Oury Jallohs Tod, wenn er nicht in dem Gericht
vorgegebenen Zeitrahmen an Hitzeschock gestorben ist und er auch fast keine Rußpartikel in seiner Lunge und seinem Herzen hatte?
Das Landgericht Dessau-Roßlau hat am 2. Juni 2008 einen neuen Brandversuch in Auftrag gegeben, da bei dem Versuch im April nicht alle Vorgaben des Gerichts eingehalten worden seien. Sollte dieses neue Gutachten jedoch nicht diese aufgeworfenen, für den wirklichen Tathergang am 07. Januar 2005 entscheidenden Fragen aufgreifen, ist es aus unserer Sicht sinnlos. Es wird noch einmal bestätigt, dass das Gericht nicht die Intention hat und es sie nicht interessiert, die wirkliche Ursache von Oury Jallohs Tod heraus zu finden und Verbrecher, die dahinter stecken zu verurteilen und konsequent zu bestrafen. Die Anklageschrift der Staatsanwalt ist falsch and damit der ganze Prozess ein Farce. Da wir den Gerichtsprozess als Farce betrachten werden wir als Initiative von nun an am jedem Prozesstag Protestkundgebungen vor dem Gerichtsgebäude abhalten um gegen diesen skandalösen Prozess und die staatliche Vertuschung und Verschleppung zu protestieren.
Fast 3 ½ Jahre nach Oury Jallohs bestialischem Tod in Zelle Nr. 5 in Dessau und nach 43 Prozesstagen sagen wir weiterhin:
"Oury Jalloh – das war Mord!" und fordern: BREAK THE SILENCE! Wahrheit! Gerechtigkeit! Entschädigung!
Kundgebungen finden jeweils am Montag, den 16. Juni, Freitag, den 04. Juli und Donnerstag, den 31. Juli um 9:00 Uhr vor dem Landgericht Dessau statt."
MUT-Arvchivbericht aus 2005
Veröffentlicht von www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Foto: MDR / hk