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Nicht dem Tod sollte man gedenken...

...sondern dem, was durch den Tod verloren ging. Im Berliner Abgeordnetenhaus wurden am 23. Januar zum achten Mal die von der amerikanischen Obermayer-Stiftung ausgeschriebenen "German Jewish History Awards" vergeben. Preisträger sind Engagierte, die in ihrem Heimatorten einen herausragenden Beitrag zur Erinnerung an jüdische Kultur und Geschichte in Deutschland leisten.

Von Franziska Schwarzmann

Um kurz nach zwölf schließen die Türen des Konferenzraumes im Abgeordnetenhaus von Berlin. Neun Menschen sitzen vor Vertretern der Presse und anderen Interessierten: die sechs Preisträger des diesjährigen German Jewish History Awards, die Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Charlotte Knobloch, Parlamentspräsident Walter Momper und Stiftungsgründer Arthur S. Obermayer.
„Das Besondere an diesem Preis ist, dass er das deutsche Judentum repräsentiert.“, würdigt Charlotte Knobloch. In der Tat: Die vier Preisträger und zwei Preisträgerinnen hatten nicht im Sinn, mit erhobenem Zeigefinger die Deutschen zu ermahnen. Im Gegenteil. Sie wollen ein Stück verloren gegangene Tradition und Geschichte wieder zurückzuholen und lebendig machen. So fand Johanna Rau, Pfarrerin aus Kalbach in Hessen, bei ihrem ersten Spaziergang durch ihre neue Gemeinde eine völlig verfallene Synagoge mitten in dem 700-Seelen-Dörfchen vor. Neugier und Interesse trieben sie an, die Synagoge zu renovieren - um diesen Ort Geschichte und Geschichten erzählen zu lassen. Kalbach war eine jüdische Gemeinde, die allmählich verschwand. Fritz Reuter aus Worms prägte ein Erlebnis ähnlicher Art. Als Stadtarchivar fand er heraus, dass die Geschichte der Stadt maßgeblich von jüdischen Einwohnern geprägt wurde. „Ein konstitutiver Bereich der Wormser Geschichte ist jüdische Geschichte.“ Das „Bewusstsein, dass die Juden zu dieser Stadt dazugehören“ ging über die Jahre verloren, bedauert er. Mit seinem Museum möchte er das ändern.

Was sowohl beim Pressegespräch als auch bei der abendlichen Verleihung bewusst wird: Bei diesem Preis darum, an das Wirken und Leben der Juden in Deutschland zu erinnern – nicht daran, wie viele von ihnen um ihr Leben gebracht worden sind. Um Schuldzuweisungen geht es hier nicht. Alle Preisträger heben das hervor.

Der Preis führt vor Augen, was viele vergessen: Die deutschen Juden unterschieden sich vor 1933 nicht von der deutschen Mehrheitsgesellschaft, außer durch ihre Religion.

Heute verbinden viele Menschen jüdische Geschichte nur mit dem Holocaust - der gezielten und industrialisierten Menschenvernichtung der Juden im Nazideutschland. Doch um zu verhindern, dass jüdisches Leben ausschließlich mit ihrer Verfolgung assoziiert wird, verleiht Arthur S. Obermayer jedes Jahr den von ihm gestifteten Preis. „Wir alle sollten uns der Leben und Leistungen der deutschen Juden erinnern. Ihr Tod spielt keine Rolle. Wichtig ist, dass die heutigen Generationen verstehen, was Deutschland verlor, als es seine Juden verlor.“
Leider fällt auch abends bei der feierlichen Preisverleihung im Plenarsaal des Berliner Abgeordnetenhauses auf, dass unter den geladenen Gästen und Interessierten kaum junge Menschen sind. Weil sie nur Bedrückendes erwarten? Dabei erweist sich gerade dieser Abend als ausgesprochen lehrreich. Selbstständig Antworten auf Fragen zu finden, ist die subtilere Art der Aufarbeitung und Bewältigung. Sokann auch die dritte Nachkriegsgeneration zur jüdischen Kultur vor dem Krieg finden. Preisträger Manfred Kluge und Helmut Urbschat aus Vlotho, Nordrhein-Westfalen, ebneten einem jüdischen US-Emigranten den Weg zurück nach Deutschland. Stephen H. Loeb verlor seine Verwandtschaft während des nationalsozialistischen Regimes. Nie wieder wollte er deutschen Boden zu betreten. Als Preisträger Urbschat 1969 ein jüdisches Museum eröffnete, konnte Loeb sich mit Deutschland aussöhnen, Vlotho wieder seine Heimat nennen.Jeder Jude, der Deutschland wieder seine Heimat nennen kann, bringt auch einen Teil unserer Kultur zurück, die die jungen Generationen vor lauter Phlegma fast vergessen haben. Alle, die darin eine aufkommende Multi-Kulti-Kultur sehen, sollten sich der Tatsache bewusst werden, dass deutsche Kultur dadurch erst wieder vollständig wird.

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Holocaust-Gedenken im Bundestag 25.1. Tagesspiegel:>klick,  Tagesschau: >klick und: >klick

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