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Unerlaubter Naziaufmarsch in Mittweida

Am Samstag, den 8.12., wollte gerade eine Musikkapelle auf einem Weihnachtsmarkt auf Mittweidas Marktplatz aufspielen, da tauchten unvermittelt rund 150 bis 200 Rechtsextreme auf und zogen durch die Innenstadt, schwenkten ihre Fahnen, riefen Parolen und verteilten Propagandazettel. Der Aufmarsch war weder angemeldet noch erlaubt - die Polizei wurde gerufen. Die Parade konnte nicht starten, statt Bergmännern und Adventsbesuchern standen Neonazis auf dem Weihnachtsmarkt.

Die Dresdner Morgenpost am Sonntag berichtet: "Tausende Einwohner standen geschockt am Straßenrand". Bei der Polizei seien zudem "keine Notrufe" eingegangen, lediglich ein "Insider-Tip" findet Erwähnung. Gegen 16.30 Uhr beendeten die Rechtsextremisten ihren Auftritt von selbst und waren - offenbar so unbehelligt, wie sie aufgetaucht waren - wieder verschwunden. "Die Bergparade musste 30 Minuten später starten. Der Staatsschutz ermittelt", erklärte ein Polizeisprecher.

 

Der Ort war offensichtlich gezielt gewählt. Erst am 3. November hatten den Angaben des Opfers zufolge vier Neonazis in Mittweida einer 17-jährgen ein Hakenkreuz in die Hüfte geritzt, die einem weinenden sechsjährigen Spätaussiedlermädchen zu Hilfe kommen wollte. Die vier glatzköpfige Männern hatten das Mädchen beschimpft und herumgeschubst .

Bislang haben sich aber immer noch keine Augenzeugen getraut, sich zu melden, obwohl angeblich mehrere Menschen währen der Tat auf ihren Balkons gestanden haben sollen. Oder es gibt tatsächlich keine Zeugen, und die Tat fand, so wie von der Polizei berichtet, nie statt. Die Menschen in dem 16.000-Einwohner-Ort sind seitdem geschockt: Bürgermeister Matthias Damm (CDU) schrieb über 100 Briefe an Anwohner und bat sie, zur Polizei zu gehen, wenn sie etwas wissen oder gesehen haben. Studenten organisierten eine Demonstration, an der 400 Menschen teilnahmen. Und jetzt marschierten die Rechten in Mittweida über den Weihnachtsmarkt, offenbar als bewusst gewählter Ausweichort, um Schlagzeilen zu machen, weil ihnen im nahen  Bautzen ein Aufzug juristisch verwehrt worden war.

In der Vergangenheit hatte es schon mehrfach Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund in Mittweida und im ganzen Landkreis gegeben. Verantwortlich dafür ist wohl die Neonazi-Kameradschaft "Sturm 34". Rund 50 Rechtsextreme sollen laut Verfassungsschutz zum engsten Kreis gehören, zudem gebe es an die 100 Sympathisanten. Im April hatte Sachsens Innenminister Albrecht Buttolo (CDU) die Gruppe verboten

Nach dem gewalttätigen Übergriff auf die 17-Jährige im sächsischen Mittweida will das Bündnis für Demokratie und Toleranz dem Opfer einen Ehrenpreis für Zivilcourage verleihen. Auch MUT-Leser haben reagiert...

Schon am Tag nach Bekanntwerden des Falls, am 24. ging folgende Mail bei der MUT-Redaktion ein, abgeschickt von Thomas Schliesser, einem Berliner Maler:

"...auch ich bin sprachlos... dem Mädchen möchte ich gerne ein Geschenk machen, am liebsten sie auch nach Berlin einladen, damit sie was anderes sieht als Balkone wo Leute zusehen und nichts gesehen haben. Wie hasse ich dieses Land das solche Monster hervorbringt! Wie können Erwachsene so feige sein...?
Thomas Schliesser

Auch in Mittweida gab es am Samstag bereits entsprechende Reaktionen. So kamen spontan rund 250 Menschen zu einer Kundgebung zusammen, um ihr Entsetzen und ihr Mitgefühl auszudrücken. Am heutigen Dienstag, dem 27.11., verschickte die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Monika Lazar folgende Erklärung des Bündnisses für Demokratie und Toleranz:


"Ehrenpreis für 17jährige junge Frau aus Mittweida - Bündnis für Demokratie und Toleranz" lobt Zivilcourage

"Die Mitglieder des „Bündnisses für Demokratie und Toleranz", Monika Lazar (sächsische Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/ Die Grünen) und Dr. Cornelie Sonntag-Wolgast erklären: Die 17jährige, die in der sächsischen Stadt Mittweida von mutmaßlichen Neonazis verletzt worden ist, erhält einen „Ehrenpreis" des „Bündnisses für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt". Das hat der Beirat dieser Dachorganisation auf seiner gestrigen Sitzung in Berlin einstimmig beschlossen. Wir wollen damit das beherzte Eintreten der jungen Frau für ein sechsjähriges Mädchen würdigen, das von vier Männern angepöbelt und attackiert worden war. Sie hat beispielhaft die Zivilcourage gezeigt, die immer wieder angemahnt wird. Hätten sich Augenzeugen des Vorfalls ebenso verhalten und gemeinsam geholfen, wäre ihr die üble Verletzung, die die Angreifer ihr zugefügt haben, wahrscheinlich erspart geblieben.

Das „Bündnis für Demokratie und Toleranz" zeichnet alljährlich Vereine oder Gruppen in ganz Deutschland aus, die sich gegen rechtsextreme, ausländerfeindliche oder antisemitische Gewalt engagieren. Zu den Preisträgern im Rahmen des diesjährigen Wettbewerbs unter dem Motto „Aktiv für Demokratie und Toleranz" zählen auch zwei Initiativen aus der betroffenen Region: das „Bündnis für Menschenwürde gegen Rechtsextremismus im Landkreis Mittweida" und die „Aktion Noteingang" der Sächsischen Landjugend. Beide haben sich vor einigen Monaten angesichts der steigenden Zahl rechtsextremistischer Gewalt- und Propaganda-Delikte in ihrer Region gegründet. Sie werden mit einer finanziellen Zuwendung und einer Urkunde gelobt und gestärkt. Wir wollen damit Signale setzen für zivilgesellschaftliches Engagement und die Initiativen zum Weitermachen ermuntern."

Das örtliche Bündnis für Menschenwürde Mittweida mahnt indessen, die mutmaßlich rechtsextremen Täter nicht - wie in der Vergangenheit geschehen - mit ihren Taten jahrelang davonkommen zu lassen.

Dazu veröffentlichte der SprecherInnenrat des "Bündnisses für Menschenwürde - gegen Rechtsextremismus in Mittweida" am 26.11.2007 folgende Erklärung zur Gesamtsituation vor Ort:

Bündnis Mittweida: "Trügerische Ruhe - Wir müssen wach bleiben und hinsehen!"

"Das Bündnis für Menschenwürde gegen Rechtsextremismus im Landkreis Mittweida möchte der 17-Jährigen Jugendlichen, die am 3.11.2007 im Mittweida Opfer eines rechtsextremen Übergriffes geworden ist, den größten Respekt für ihre Zivilcourage entgegenbringen. Sie hat den Mut bewiesen, der immer wieder von den BürgerInnen gefordert wird und ist dadurch selbst zum Opfer geworden. Wir hoffen, dass dieser Mut nun mit einer konsequenten Verfolgung und Bestrafung der Täter belohnt wird. Dazu gehört auch, dass sich alle ZeugInnen, die etwas zur Aufklärung beitragen können, sofort bei der Polizei melden. Ebenfalls möchten wir dem 6-Jährigen Mädchen und ihrer Familie unsere besten Wünsche zukommen lassen.

Auf die Straße, Unmut zeigen!
Wir als Bündnis freuen uns, dass es viele Menschen gibt, welche den öffentlichen Raum nicht den RechtsextremistInnen überlassen wollen. Das zeigt welches demokratische Potential an Widerstand in unserem Landkreis vorhanden ist. Wir danken deshalb nicht nur der Jugendlichen, sondern auch den Menschen die sich am Sonntag zu Demonstrationen zusammengefunden haben und denen, die dies am Dienstag vorhaben. Wir möchten alle BürgerInnen ermutigen, sich weiterhin aktiv gegen Rechtsextremismus zu engagieren.

Appell an die Opfer: Holt Euch Hilfe

Wir möchten sowohl dem 6-Jährigen Kind und ihrer Familie als auch der Jugendlichen anbieten, sich mit uns in Verbindung zu setzen. „Wir würden euch gern unsere Unterstützung zukommen zu lassen und euch in der kommenden Zeit helfen. Wir finden es richtig, dass eure Namen als Opfer nicht veröffentlicht werden, um Euch zu schützen. Deshalb versuchen wir auf diesem Weg mit Euch in Kontakt zu treten. Wir werden natürlich alles anonym behandeln. Wir würden uns sehr über einen Kontakt freuen, da wir weltweite Zuschriften bekommen haben und diese gern an Euch weiterleiten würden. Zudem könnten wir einen Kontakt zur Opferberatungsstelle AMAL herstellen, die auch bei den folgenden Aufgaben, wie Anzeigen und Aussagen helfen können.“

Rechtsextreme Täter konsequent verfolgen
Die Tat an sich hat verdeutlicht, dass die scheinbare Ruhe um rechtsextremistische Vorfälle im Landkreis in den letzten Wochen sehr trügerisch war. Das Problem ist eines in der Mitte unserer Gesellschaft und dies erledigt sich nicht von allein, wenn wir einige der TäterInnen inhaftieren. Es zeigt sich mit diesem Vorfall auch eine neue Qualität der Übergriffe in unserem Landkreis, indem inzwischen auch Kinder angegriffen werden, bzw. eine couragierte Jugendliche mit rechtsextremistischen Symbolen „gebrandmarkt“ wird.

Die rechtsextremistische Gewaltbereitschaft im Landkreis ist nach wie vor hoch und verlangt nach einer demokratischen Auseinandersetzung auch in „ruhigen“ Zeiten. Im Jahr 2007 gab es im Landkreis bereits 66 uns bekannt gewordene rechtsextremistische Vorfälle. Wir fordern, gerade für die Opfer, schneller sichtbare gerichtliche Konsequenzen für die TäterInnen. Bei Vergehen, wie im Fall des Überfalles auf das Dorffest in Breitenborn, musste sich bis heute - mehr als 2 ½ Jahren nach der Tat - kein einziger Täter vor Gericht verantworten. Das ist keine ermutigende Vorraussetzung für Zivilcourage und kein gutes Zeichen gegen Rechtsextremismus.

So kann jede/r Zivilcourage zeigen
Zivilcourage bedeutet nicht immer einen tätlichen Eingriff in eine Situation, jeder kann sie mit verschiedensten Mitteln beweisen. Zunächst sollte in derartigen Situationen immer die Polizei gerufen und auf die Dringlichkeit der Lage hingewiesen werden. Zudem kann man sich mit anderen PassatInnen zusammenschließen, um so zusammen auf eine Situation einzuwirken. Auch hilft es oft laut um Hilfe zu rufen. AugenzeugInnen sollten versuchen genaue Beobachtungen (evtl. mit Handy filmen), die später zu Identifizierung der TäterInnen beträgt. Schließlich sollten Opfer und ZeugInnen Kontakt zu AMAL aufnehmen, so dass alle Vorkommnisse auch als rechtsextremistische Taten publik werden.

Es ist nötig, Opfern Schutz zu bieten: Aktion Noteingang
Wir alle gemeinsam müssen rechtsextremistischen Tendenzen in unserer Gesellschaft und insbesondere in unserer näheren Umgebung wahrnehmen und ihnen entgegenwirken. Genau dies versucht das Bündnis zu erreichen und wir möchten an dieser Stelle noch einmal verdeutlichen, dass es unser Ziel ist gemeinsam mit allen demokratischen Kräften ein starkes Gegenstück zu den rechtsextremistischen Umtrieben in unserem Landkreis zu schaffen. Ein Weg dazu ist die „Aktion Noteingang“. Diese Aufkleber an Gebäuden, Geschäften, Gaststätten, etc. soll Menschen, welche in eine derartige Bedrohungssituation gelangen, die Möglichkeit bieten Schutz zu suchen. Wir können nur alle Laden-, Gaststätten und HausbesitzerInnen dazu aufrufen bei sich einen solchen Aufkleber anzubringen. Informationen erhalten sie beim Bündnis. Alle demokratischen BürgerInnen sind gerne eingeladen sich aktiv an unserer Bündnisarbeit zu betätigen.
Der SprecherInnenrat des Bündnis"

Nachtrag vom 29.11.2007:
Immerhin rührt sich der Widerstand gegen Rechtsextremismus unter den Bürgerinnen und Bürgern von Mittweida. Am Dienstag, den 27.11.2007, protestierten mehrere hundert Menschen unter dem Motto "Studenten für Zivilcourage" auf dem Campus der Hochschule Mittweida. Bürgermeister Matthias Damm besuchte die 17-Jährige, die anonym bleiben möchte, und berichtete, sie sei überwältigt von der Solidarität. (Freie Presse, 28.11.2007) Die Lausitzer Rundschau berichtet am 29.11., dass es seit Bekanntwerden des Angriffs täglich neue Veranstaltungen, Demos, offene Briefe und Friedensgebete gibt. Ein Mittweidaer gab bei Bürgermeister Damm 50 Euro als Spende für die junge Frau ab - diese spendete das Geld an einen Kindergarten weiter.

Lesen Sie auch:
"Das schlechte Wintermärchen von Mittweida" ( 19.12.) >klick
"Die Phantome von Mittweida" (3.12.):>klick
'Wie sich Bürger in Mittweida engagieren (28.11.) >klick


Mehr im Internet:
www.buendnis-mittweida.de
www.amal-sachsen.de
www.buendnis-toleranz.de

Mehr zu dem Fall auf mut-gegen-rechte-gewalt.de:
Mauer des Schweigens in Mittweida

mittweida.jpg

Der Marktplatz von Mittweida