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Zweifel säen, statt Einstellungen ändern

Über migrantischen Antisemitismus. Ein Brainstorming in Berlin. Ende Mai tagte in Berlin zum dritten Mal eine AG zu Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft. Die AG erarbeitet eine Broschüre, die sowohl eine Darstellung der Thematik, als auch Beispiele aus der Praxis zur Bekämpfung dieser Formen des Antisemitismus beinhalten wird. Das von der Amadeu Antonio Stiftung betreute Projekt ist Teil des Projektverbundes Living Equality, der sich für die Stärkung der Gleichwertigkeit aller Menschen im Alltag einsetzt.

Von Stella Hindemith


Schon die Namensgebung der AG bzw. der entstehenden Handreichung gestaltet sich schwierig und zeigt, wie komplex die Thematik ist: Wenige Worte sollen signalisieren, dass es um Antisemitismus in „muslimisch- migrantischen Milieus" geht, ohne islamophobe und rassistische Einstellungen zu bestärken. Auch ist es vor dem Hintergrund des in der Gesellschaft oft angenommenen Zerrbildes einer homogenen Gruppe „der Muslime" problematisch, von muslimisch- migrantischen Milieus zu sprechen. Und wenn über „die Migranten" geredet wird, wird meistens nur an Männer, nicht an Frauen gedacht. Am Ende einigt man sich auf den Titel „Aktuelle Formen des Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft".

Die Teilnehmer der AG kommen aus ganz Deutschland, unter ihnen befinden sich u.a. Vertreterinnen und Vertreter des ZDK (Zentrum Demokratische Kultur), des Jüdischen Museums Berlin, des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwickung Hamburg, der Universität Erfurt, der KigA (Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus), Anne- Frank- Zetrum und viele Andere. Allen Teilnehmern ist gemeinsam, dass sie Experten aus „Theorie und Praxis" sind- sie wissen über die Hintergründe der Thematik ebenso zu berichten wie über persönliche Erfahrungen aus der praktischen Arbeit. Dementsprechend wird die Handreichung sowohl Texte, die in die Thematik einführen, als auch Texte, die positive Beispiele der praktischen Auseinandersetzung beschreiben, enthalten. Die Teilnehmer sind sich bewusst darüber, dass es – auf Grund der Vielschichtigkeit des Problems- viele Ängste gibt, sich mit ihm auseinanderzusetzen. Und genau diese Ängste sollen genommen werden, die Handreichung wird zeigen, dass es viele unterschiedliche Möglichkeiten der Auseinandersetzung in der eigenen Kommune gibt. Dafür muss man kein Experte sein, sondern Hemmschwellen überwinden und die eigenen Handlungsmöglichkeiten nutzen.

Pauschale Israelkritik

Die Form des Antisemitismus, über den die Telnehmer der AG sprechen, hat verschiedene Ursachen und tritt meistens in Form pauschaler, verbaler Attacken auf Israel auf. Dabei wird der Nah- Ost- Konflikt genutzt, um die Welt in zwei sich gegenüberstehende Kräfte einzuteilen: Juden, die USA und Israel stehen in diesem Weltbild als homogene Gruppe der Täter und Kriegstreiber den Palästinensern, Arabern und Muslimen als verbrüderten Opfern gegenüber. Dabei wird unterstellt, dass die erste Gruppe mit schier unbegrenzter Macht ausgestattet ist, während die zweite Gruppe dieser Macht unterlegenen, politisch entmündigt und wehrlos gegenüberstehe. In diesem Kontext werden radikale muslimische Organisationen zu Helden des Widerstands verklärt, die für eine gerechte Sache im Namen der Entrechteten kämpfen.

Jugendliche und Erwachsene mit (muslimischem) Migrationshintergrund ordnen sich selbst und ihre Familien der Gruppe der Opfer und Unterdrückten zu. Hier wird eine Verbindung hergestellt zwischen eigenen Marginalisierungserfahrungen und der „Unterdrückung in der Welt". Der Nahostkonflikt und das damit in Verbindung stehende Welt- bzw. Feindbild wird zum Ventil aufgebauten Frusts über die eigene Lebenssituation. Über die Verbrüderung mit anderen Muslimen und Arabern wird das Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft erzeugt, politische Ansichten werden zum Maßstab der Treue gegenüber dieser phantasierten Gemeinschaft und eventuelle Konflikte innerhalb des eigenen Umfeldes nach Außen verlagert und vermieden. Ein Beispiel für den Umgang mit der Thematik stellt Aycan Demirel von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus vor.

Brett- und Rollenspiel aus Kreuzberg

Die Initiative hat ein Brett- und Rollenspiel erarbeitet, bei dem die Spieler sich – angeleitet von Pädagogen- in unterschiedliche Rollen von vom Nah- Ost- Konflikt betroffenen Menschen versetzen. Durch das Annehmen der Rollen soll ein Wechsel der eigenen Perspektive bzw. eine Reflexion über sie ermöglicht werden. Dies sind erste Schritte, um Zweifel an der ideologischen Haltung, die die Jugendlichen einnehmen, zu sähen und mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Aycan Demirel berichtet, dass das Spiel ausgesprochen gut ankommt und dass den Jugendlichen oft auffällt, dass sie eigentlich gar nicht so viel über den Nah- Ost- Konflikt wissen, wie sie dachten- und dass viel Gesprächsbedarf und Wissensdurst über den Nah- Ost- Konflikt und den Islam bestehe. Die Beschreibungen der Teilnehmer legen immer wieder nahe, dass die Projektionsfläche des Nah- Ost- Konflikts von Jugendlichen als Lückenfüller für offene Fragen nach der eigenen Identität und Herkunft fungiert.

„Antisemitische Erklärungsmuster bieten einfache Antworten auf Fragen, die sich die Jugendlichen angesichts der Globalisierung stellen und die oft nicht beantwortet werden können", erklärt Koray Yilmaz- Günay von Amira, einem Projekt, welches im Raum Friedrichshain- Kreuzberg angesiedelt ist und sich auf türkisch- nationalistische und islamistisch- politische Bestrebungen konzentriert ist. Yilmaz- Günay erklärt, dass es in der praktischen Arbeit wichtig ist, ein spezifisches Phänomen zu bearbeiten und nicht den Anspruch zu verfolgen, alle Probleme auf einmal anzugehen. Amira will die nicht- professionelle Zivilgesellschaft aktivieren und Nachbarschaftsnetzwerke ansprechen.

Türkischer Guide im Jüdischen Museum

 

Zur Aufgabe, die antisemitischen Denk- und Argumentationsgewohnheiten aufzubrechen kann in der Praxis auch gehören, sich mit politischen und religiösen Fragen allgemein auseinanderzusetzen. Ufuk Topkara arbeitet als erster türkischsprachiger Guide im Jüdischen Museum Berlin und bietet Ausstellungsführungen auf türkisch und deutsch an- und in der Praxis oft in beiden Sprachen gleichzeitig. Er erklärt, dass die Grundlage für eine Auseinandersetzung mit seinen Gästen im Museum die Herstellung von Vertrauen ist. Dieses Vertrauen stellt er auf sehr persönliche Weise her- Topkara ist Muslim, hat selbst einen so genannten „Migrationshintergrund". Es ist nahe liegend, dass diese Faktoren die Auseinandersetzung mit muslimischen Gästen positiv beeinflussen- schließlich muss man bei ihm nicht befürchten, dass er sich respektlos über den Islam äußert. Mit einer Seniorengruppe aus Berlin- Schöneberg hat Topkara über längere Zeit Kontakt gehalten, ein sehr positives Erlebnis, wie er sagt, denn am Ende hatten manche der Teilnehmenden tatsächlich ihre mitgebrachten Einstellungen geändert.

Oft jedoch geht es erst einmal nicht darum, Einstellungen zu verändern, sondern Zweifel zu säen. Insgesamt scheint es, als liege das Erfolgsrezept der Akteure darin, nicht zu viele Schritte auf einmal zu nehmen: Zweifel säen, statt Einstellungen ändern, in der Nachbarschaft oder Kommune aktiv werden, statt am Ausmaß und an der Komplexität des Phänomens zu verzweifeln- darum geht es. Mehr positive Beispiele und genauere Informationen gibt es dann ab Herbst in der Broschüre nachzulesen.

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Foto: Kulick

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AG der Keuzberger Initiative gegen Antisemitismus beim Rollenspiel