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Lübeck stellte (nicht nur) Neonazis ins Abseits

300 Nazis, 3000 Gegendemonstranten und 1900 Polizisten blockierten am Samstag Lübecks Innenstadt. Busverkehr und Geschäftsleben standen zeitweise still. Die Polizei hatte für weitreichende Umleitungen gesorgt und den Bahnhof hermetisch abgeriegelt. Über den Sinn und Unsinn mag man streiten.

Lübecks Zivilgesellschaft hatte unter dem Motto mobilisiert: "Wir können sie stoppen". Die Bewegungsfreiheit in der Hansestadt stoppte dann aber weitgehend die Polizei, die abschließend ironisch mitteilte: "Seit 15.34 Uhr sind die Demonstrationen in Lübeck beendet. Die Zwischenkundgebung der NPD, an der Einmündung Töpferweg/Moislinger Allee, verlief ohne besondere Vorkommnisse und jegliches Zuschauerinteresse". Die sogenannten Freien Nationalisten wollten  vorgeblich im Gedenken an alliierte Bombenflüge im März 1942 aufmarschieren, zeterten dann aber über die "Gutmenschenmafia" und bezichtigten die Alliierten des Mordes. Die Rechtsextremen hatten bundesweit mobilisiert, um  gezielt im Lübecker Stadtteil St. Lorenz-Süd aufzulaufen, wo viele Ausländer leben. Doch ihr Zulauf blieb deutlich geringer als erwartet.


Gegen den propagandistischen Nazi-Trauermarsch erhob sich schon im Vorfeld breiter Protest in der Hansestadt, doch aufgrund der schlechten Witterung und des durch zahlreiche Straßensperrungen lahmgelegten öffentlichen Nahverkehrs blieb auch hier der Zulauf unter den Erwartungen. Bis zu 3000 Teilnehmer wurden gezählt. Kirchen, Gewerkschaften, Schülervertretungen und antifaschistische Gruppen hatten gemeinsam mit juristischen Amtsträgern, Grünen, LINKEN und einzelnen SPD-Vertretern aus der Stadt zu einer Großkundgebung um 10.30 Uhr auf dem Holstentorplatz aufgefordet. Zuvor fanden Gottesdienste in allen christlichen Kirchen der Innenstadt statt, egal welcher Glaubensrichtung. Anschließend fanden Prozessionen zum gemeinsamen Kundgebungsort am Holstentor statt. "Gebt dem Rechtsradikalismus in Lübeck keine Chance" hatten die Kirchen gemeinsam appelliert und den Neonazis vorgeworfen, die Bombardierung Lübecks in der Nacht zum 28. März 1942 "zu missbrauchen, um in Aufmärschen nationalistische Gedanken und Rachegefühle zu verbreiten". 

Polizei fotografiert maskierte Neonazis
Polizei fotografiert maskierte Neonazis

Polizei dokumentiert vermummte Neonazis in Lübeck. Fotos: H.Kulick

Aufmarsch unter Wasserwerferbewachung


Die Lübecker Verwaltung hatte für die Demonstrationen der Rechtsextremisten strenge Auflagen festgelegt und ließ mehrere Wasserwerfer in Sichtweite auffahren.
Festnahmen gab es nur wenige, einige Nazis wegen Hitlergruß, einige Linksautonome wegen Steinwürfen und des Versuchs gewaltsam Absperrungen zu durchbrechen. Waren die Absperrungen also ein Erfolg? Nein. In Ihrer Rigorosität waren diese Sperrmaßnahmen nicht vermittelbar. Denn zu Demokratie muss auch Bewegungsfreiheit gehören. Die aber wurde in Lübecks Innenstadt am Samstag rigoros abgeschafft - während andere Grundrechte besonders verteidigt wurden. So scheiterte die Stadt Lübeck mit ihren erteilten Auflagen in einem Punkt vor dem Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgericht: Der Auflage „Untersagt sind … alle Parolen mit der Wortfolge ,Nationaler Widerstand’. Gleiches gilt für etwa zu verbreitende Druckwerke“ wurde auf Antrag der Rechtsextremen widersprochen. Die Parole sei vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit aus Artikel 5 GG gedeckt...

Das Lübecker Bündnis gegen den Neonaziaufmarsch hatte im Vorfeld aus Sorge vor einem unbotmäßigem Einsatz der Polizei an den zuständigen Direktor der Polizeidirektion Schleswig-Holstein-Süd, Heiko Hüttmann, und die leitenden Beamten des polizeilichen Planungsstabes folgenden offenen Brief geschickt :

"Sehr geehrte Damen und Herren,

am 29.März wollen Neonazis im dritten Jahr in Folge den Jahrestag der Bombardierung Lübecks 1942 für ihre Propaganda benutzen. Dagegen werden an diesem Tag erneut Tausende Lübecker protestieren.

Im Vorfeld dessen haben die Vorkommnisse am Rande der so genannten „Mahnwache" der Nazis am 8. März bei uns Sorge und Empörung ausgelöst:

Viele der am 8. März eingesetzten Polizeibeamten und -beamtinnen sind von Anfang an aggressiv aufgetreten. Diese Haltung äußerte sich gegenüberschwarz angezogenen jungen Leuten aus der alternativen Szene genauso wie z.B. gegenüber anwesenden Vertreterinnen und Vertretern der Kirchengemeinden und Zuschauern.

Polizeihunde wurden von Anfang an ohne Maulkorb eingesetzt. Ihr Verhalten war sogar gegenüber völlig unbeteiligten Passanten aggressiv (Aufstellen auf die Hinterbeine, Drohung des Anspringens). Auf einen Demonstrationsteilnehmer, der sich innerhalb des gesperrten Bereiches befand, aber bereits von einem Beamten wieder hinaus gedrängt wurde, wurde ein Hund gehetzt, der den Mannin den Arm biss. DerHundeführer kommentierte die Verletzung mit einem schadenfrohen „Jawoll".

Die Sitzblockade wurde nicht mit verhältnismäßigen Mitteln aufgelöst, sondern mit dem massiven Einsatz von Pfefferspray und harten Stiefeltritten.

Die schwarz-uniformierte Polizei-Einheit (es handelt sich wohl um die sog. „Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit" - BFE) fiel durch besonders aggressives Verhalten auf. Als diese Einheit einen jungen Mann festnehmen wollte, wurden auch Menschen, die vor den vorrückenden Beamten zur Seite gewichen waren, heftig gestoßen. Die Gestoßenen befanden sich dabei wohlgemerkt weder im Weg der Polizei, noch unmittelbar an deren Seite. Um überhaupt stoßen zu können, mussten die Beamten ihre eigene Formation erst um einige Schritte seitlich verlassen. Die gesamte Maßnahme vollzog sich ohne vorherige Aufforderung zur Auflösung.

Unverständlich ist uns auch, dass die Polizei erst ohne Nennung von Gründen eine weiße Fahne mit dem Symbol „Antifaschistische Aktion" entriss und beschlagnahmte, diese Fahne dann aber den Nazis überließ, die dann mit ihrer vermeintlichen „Beute" provozieren konnten. Auch eine Friedensfahne wurde ohne Grund weggenommen.

Das Bild, das die Lübecker Polizeian diesem Tag von sich gezeigt hat, ist erschreckend. Dieses Verhalten lässt sich auch nicht mit den Sachbeschädigungen an Polizeifahrzeugen rechtfertigen.

Die Polizei hat damit - drei Wochen vor dem Nazi-Aufmarsch am 29.3. - eine Grundstimmung der Einschüchterung und Verunsicherung geschaffen.

Gemeinsam mit vielen Menschen in dieser Stadt sprechen wir den ideologischen Nachfolgern derer, die Auschwitz errichtet haben, jedes Recht auf ihre Propaganda und politische Betätigung ab. Die nationalsozialistische Ideologie darf nicht wieder hoffähig gemacht werden. Diese Haltungbringen wir durch bewusste Aktionen des zivilen Ungehorsams zum Ausdruck.

Dabei werden wir möglicher Gewalt nicht weichen, selbst aber nicht zu Gegengewalt greifen.

Unsere Aktionen in der Vergangenheit, insbesondere die Blockade am Holstentor 2006 und die versuchte Blockade der sog. „Mahnwache" der Nazis am 8. März 2008, waren von allen in unserem Bündnis vertretenen Gruppen, Institutionen und Organisationen so ausgerichtet, dass jede Eskalation vermieden werden sollte.

Dieses gilt auch für den 29. März:Wir wünschen uns, dass keine Menschen verletzt werden. Wir werden das uns Mögliche tun, um eine Eskalation zu verhindern. Zur Deeskalation müssen aber beide Seiten bereit sein.

Wir erwarten deshalb von der Polizeiführung:

  • Geben Sie den eingesetzten Beamten die dienstliche Anweisung, sich deeskalativ zu verhalten.
  • Setzen sie Sondereinheiten wie das BFE (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit), die offenbar grundsätzlich gewaltbereit sind, an diesem Tag nicht ein.
  • Sorgen Sie dafür, dass ihre Beamten und Beamtinnen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel beachten und z. B. nicht gegen friedliche Sitzblockaden mit Stiefeltritten, Knüppelschlägen oder sogar Pfefferspray vorgehen.
  • Wir erwarten weiterhin von Ihnen, dass Sie Vergehen und Straftaten in den eigenen Reihen konsequent verfolgen.
  • Wir erwarten, dass auf Verlangen die Identifikation von vermummten Beamten/ Beamtinnen erfolgt.

    Wir wünschen uns, dass der 29. März 2008 ein Tag des friedlichen Widerstandes gegen den Nazi-Aufmarsch wird.

    Imke Akkermann-Dorn

(Pastorin, Evangelisch-reformierte Gemeinde Lübeck)

Elisabeth Hartmann-Runge

(Pastorin, Ev.-Luth.Kirchenkreis Lübeck)

Joachim Kirchhoff

(Pastor, Katholische Kirchengemeinde St. Birgitta)

Dr. Gallus Bischoff

(Lübecker Bündnis gegen Rassismus)

Bernd Meimberg

(Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/ Bund der Antifaschistinne und Antifaschisten e.V, Lübeck/ Lauenburg)

Katja Menz

(Bündnis 90/ Die Grünen, KV Lübeck)

Antje Jansen

(Die LINKE, KV Lübeck)

Holger Wulf

(Avanti – Projekt undogamtische Linke)

Kirchendemonstranten in Lübeck
Kirchendemonstranten in Lübeck

Prozessionszug der ev. St.Lorenz-Kirche gegen Rechtsextremismus und Intoleranz


Abschlussmeldung
der Lübecker Polizei vom 29.3.
Tagesprotokoll der Lübecker Nachrichten vom 29.3.
Wie die Polizei auch in Dortmund und Wiesbaden Neonazis schützte (Junge Welt 31.3.)
Wie Neonazis in Wien gegen die EU (mit)demonstrierten (indymedia 30.3.)
Mehr unter:
www.wiekoennensiestoppen.de

www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/Fotos: hkulick

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Demonstranten in lübeck