Gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern aus Berlin-Weißensee zaubert Karin Lampe einmal in der Woche internationale Spezialitäten. In dem Kochkurs lernen die Jugendlichen Teamgeist, erfahren Anerkennung – und sie bekommen die Chance, über den deutschen Tellerrand hinaus zu blicken.
Von Jan Schwab
Knödel mit Hühnerfleisch und Rosinen, Matzenauflauf, süß-saurer Rotkohl??? Mit einem fragenden Ausdruck im Gesicht und weißen Schürzen ausgestattet stehen 20 Jugendliche in der großen Schulküche und warten auf ihren Einsatz. Der Speiseplan ist für sie alle Neuland. „Wir kochen heute jüdisch-amerikanisch“, kündigt eine Dame im besten Alter an. „Die Knödel sind eine beliebte Spezialität bei polnischen Juden, die nach New York ausgewandert sind“. Und schon geht es los: Zwiebeln und Rotkohl werden geschnitten, zwei Schüler bereiten Salat zu, die Kichererbsen werden zu Falafel verarbeitet, und für die Huhn-Rosinen-Knödel kommt sogar ein Fleischwolf zum Einsatz.
Einmal in der Woche verwandelt sich die große Küche in der Heinz-Brandt-Oberschule in Berlin-Weißensee in einen Ort, an dem Schülerinnen und Schüler auf kulinarische Weltreise gehen. Seit einem Jahr bietet Karin Lampe für Neuntklässler unter dem Motto „Woanders schmeckt es auch“ einen Kochkurs an - und ermöglicht den Jugendlichen auf diese Weise eine einzigartige Erfahrung. Denn hier packt jeder mit an, und für viele gehört das gemeinsame Kochen mit den Klassenkameraden zu den wenigen Momenten, in denen sie Anerkennung erfahren und Teamgeist lernen.
Probiert wird alles
Die Idee zum Projekt entstand gemeinsam mit der engagierten Schuldirektorin Karla Werkentin. Von Anfang an stand fest, dass ein im Stundenplan fest etablierter, regelmäßiger Kurs angeboten werden soll, an dem sich die Schülerinnen und Schüler aktiv beteiligen. Die Klasse wurde für den Kurs in zwei Gruppen aufgeteilt; gekocht wird wöchentlich im Wechsel, gegessen immer gemeinsam. Und probiert wird alles. Das ist eine der drei goldenen Küchenregeln von Karin Lampe, an die muss sich jeder halten. Die anderen zwei Regeln lauten: „Wir sagen Bitte und Danke“, und: „Wir laufen nicht mit Messern und heißen Töpfen und Pfannen durch die Küche“.
Viele Jugendliche, die auf die Heinz-Brandt-Oberschule gehen, wachsen in schwierigen sozialen Verhältnissen auf und verlassen ihren Stadtteil kaum. Im Elternhaus gibt es nur selten Geborgenheit und Anerkennung. „Das allerwichtigste für die jungen Leute hier ist es, ein Erfolgserlebnis zu haben, aber dieses Gefühl vermittelt das Elternhaus in der Regel nicht“, betont Karin Lampe, die vor ihrem Ruhestand eine PR-Agentur in München geleitet hat. Dass die 60-Jährige es ernst meint mit ihrem Engagement, ist offensichtlich. Den Kochkurs betreibt sie ehrenamtlich: Jeden Mittwoch Vormittag widmet sie „ihren“ Schülerinnen und Schülern in Weißensee und kreiert mit ihnen internationale Spezialitäten.
Erfolgsrezept: Ermutigen wo möglich, streng sein wenn nötig
Ein wichtiges Ziel des Kurses ist es, Jugendlichen die Vielfalt der Kulturen näher zu bringen, ohne mit erhobenem Zeigefinger daher zu kommen. Dafür bietet sich das Kochen geradezu an: „Wir bereiten die unterschiedlichsten Speisen zu, und jede Woche steht die Schulküche im Zeichen eines anderen Landes“, erzählt Karin Lampe. Die erste Koch-Session beginnt sie immer mit italienischen Gerichten, denn Pizza und Pasta gehören bei fast allen jungen Leuten zu den Favoriten. Im Laufe des Kurses kochen und essen sich die Jugendlichen durch die ganze Welt: Ob die Türkei, Spanien oder Italien, ob China, Japan oder Thailand – Karin Lampe probiert alles aus, was innerhalb von zweieinhalb Stunden zubereitet werden kann und preiswert ist.
Und sie staunt über ihre Gruppe, die heute zum letzten Mal zusammen kommt: „Die Atmosphäre ist sehr entspannt, alle beteiligen sich und haben großen Spaß dabei“. Am Anfang des Kurses, berichtet Karin Lampe, sei es dagegen sehr schwierig gewesen, die Jugendlichen fürs Mitmachen zu begeistern. Da habe sie sich Kommentare anhören müssen wie: „Iiih, was ist das denn, das esse ich nicht!“ Zwei Stunden lang diszipliniert und konzentriert zu arbeiten sei für viele eine große Hürde gewesen. Dennoch: durch die nötige Strenge, vor allem aber durch Ermutigung und Wärme hat Karin Lampe es geschafft, den wöchentlichen Kochkurs bei den Schülern als beliebte Abwechslung zum Schulalltag zu etablieren.
Inzwischen gibt es häufig positives Feedback: „Jedes Land hat seine spezifische Küche. Kocht meine Rezepte und die der anderen nach und ihr merkt, wie gut die Gerichte anderer Länder schmecken.“ Diese Sätze stammen von Paul, einem der Teilnehmer. Über das große Interesse ihrer Schüler zeigt sich auch die Klassenlehrerin überrascht: „Der Unterschied zwischen dem ersten Kurstag und heute ist enorm – kein Vergleich!“ Wenn der Kochkurs beendet ist, wird die Arbeit in anderer Form weitergeführt. Die Schülerinnen und Schüler werden ihre neuen kulinarischen Erfahrungen in einem Buch präsentieren. Rund 120 Rezepte werden in jedem Kurs ausprobiert, die beliebtesten landen im selbst gemachten Kochbuch. Darin stellt jeder Teilnehmer sein Lieblingsrezept und das Herkunftsland vor.
Kein Platz für rechte Sprüche
So sehr die Schüler inzwischen mitmachen - Konfrontationen bleiben nicht aus. Regelmäßig muss sich Karin Lampe mit Jugendlichen auseinandersetzen, für die rassistische und fremdenfeindliche Äußerungen zum normalen Umgangston gehören. Dass solche Einstellungen nur äußerst schwer mit einem internationalen Kochkurs zu verbinden sind, merken die Schüler schnell. Als sie ihren Kurs zum ersten Mal anbot, sei das Problem für sie eine Herausforderung gewesen, erinnert sich Karin Lampe. Inzwischen hat sie einen Weg gefunden, wie sie Rechtsextremismus und Rassismus offen beim Namen nennt, ohne belehrend zu wirken. Sie spricht das Thema an, wenn sie es für angebracht hält, tut aber so, als ob ihre Gruppe nichts mit den Rechtsextremen zu tun hat: „Ich sage dann immer: ‚Zum Glück gehört ihr nicht zu diesen Dummköpfen, die andere Menschen hassen, nur weil sie anders aussehen!’“ Und die Schüler wissen, dass sie bei jeder rassistischen Bemerkung sofort einschreitet.
Einer ihrer Schützlinge, der zu Beginn immer wieder mit rechten Sprüchen auffiel, sei eines Tages zu ihr gekommen. „Ich gehöre jetzt nicht mehr zu den Rechten“, habe er ihr stolz mitgeteilt. Solche Erlebnisse seien eine große Bestätigung für ihr Engagement, sagt Karin Lampe. Und sie zeigen, dass man mit ein wenig Anerkennung und Ermutigung manchmal viel erreichen kann.
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / Fotos: Leon Kahane