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Hanau: Erinnern heißt verändern

 
Sechs Monate nach dem rassistischen Terroranschlag von Hanau am 20. Februar 2020 fanden deutschlandweit Demonstrationen und Kundgebungen statt, um der Opfer zu gedenken und Position gegen Rechtsextremismus und Rassismus zu beziehen. Die Hauptdemonstration in Hanau wurde einen Tag vorher aufgrund steigender Covid-19-Infektionszahlen abgesagt. Eine kleinere Kundgebung fand dennoch statt und wurde von hunderttausenden im Internet verfolgt. Dabei forderten Redner*innen die vollständige Aufklärung der Tat. Auf verschiedene Weise sollen nun die Erinnerung und die Diskussion aufrechterhalten werden.
 
Von Juri Mertens

„Erinnern heißt verändern“. Mit diesen Worten proklamiert die „Initiative 19. Februar Hanau“, ein Zusammenschluss von Angehörigen, Freund*innen und Aktivist*innen, ihre Spendenkampagne für das Projekt „140 qm in Hanau gegen das Vergessen“. Die 140 Quadratmeter sind ein Raum, der sich gegenüber dem ersten Tatort des Anschlags befindet. Es soll ein Raum der Begegnung, der Erinnerung und des Vertrauens sein. „Unser Denkmal für die Ermordeten wird nicht in Stein gegossen – wir halten die Erinnerung lebendig und streiten für Aufklärung und Konsequenzen.“
 
Letzten Samstag sollte eine große Demonstration stattfinden, die die Erinnerung und den Streit öffentlichkeitswirksam auf die Straße bringen sollte und bei der bis zu 5.000 Teilnehmer*innen erwartet wurden. Die Corona-Pandemie machte dem ganzen einen Strich durch die Rechnung: die Stadt Hanau sagte die Demonstration einen Tag vorher ab, aufgrund steigender Infektionszahlen. (vgl. ZEIT)
 
Stattdessen fanden deutschlandweit um die 50 Kundgebungen statt. Der Initiative selbst war es erlaubt, eine „Ersatzdemo“ mit bis 249 Personen zu veranstalten. Zusätzlich wurde die Demo von „United We Stream“ online ausgestrahlt. „United We Stream“ ist ein Streamingangebot der Kulturszene, welches seit Beginn der Pandemie Musik- und Kulturveranstaltungen überträgt. Laut „United We Stream“ verfolgten bis 18 Uhr rund 300.000 Menschen die Kundgebung im Netz. (vgl. taz)
 
In den Redebeiträgen schilderten Angehörige und Freund*innen der Opfer ihren Schmerz und ihre Trauer. Im Mittelpunkt der Kritik standen besonders die Behörden: einerseits wegen des zögerlichen Handeln am Tag des Anschlags, andererseits wegen der langsamen und unzureichenden Aufklärung.
 
Die Absage der Demo hat für reichlich Empörung gesorgt. Gerade in sozialen Netzwerken wurden Vermutungen über politisches Kalkül laut. Der ARD-Journalist Arnd Henze nannte die Absage einen „Offenbarungseid“ und würde die Prioritäten der Gesellschaft aufzeigen. Tatsächlich ist es in einer Zeit, in der „Coronaleugner“ Anfang August zu Tausenden durch die Straßen Berlins ziehen dürfen und dabei vorsätzlich alle Hygieneregeln missachten, schwer zu ertragen, dass eine antirassistische Gedenkdemonstration mit Verweis auf den Infektionsschutz untersagt wird, obwohl das benötigte Hygienekonzept vorher gemeinsam mit den Behörden herausgearbeitet wurde. (vgl. neues deutschland) Allerdings ist die einzige Kontinuität in der aktuellen Pandemie, dass es keine Kontinuität gibt in der Durchsetzung von Infektionsschutzmaßnahmen. Aktuelle Entwicklung zeigen aber, dass zumindest im Fall der nächsten großen „Corona“-Demo, am kommenden Wochenende in Berlin, die Behörden härter durchgreifen als bisher. (vgl. tagesspiegel)
 
Dennoch bleibt ein Gefühl des Misstrauens gegenüber Politik und Behörden. Erst vor ein paar Wochen plädierte der Hanauer CDU-Politiker Heiko Kasseckert für eine „Rückkehr zur Normalität“ in der Stadt und dass das „Brüder Grimm“-Denkmal, welches zum zentralen Ort der Trauer geworden ist, von dieser „dunklen Umklammerung“ befreit werden solle. Stattdessen könne man doch eine Gedenktafel am Friedhof anbringen. (vgl. taz) Die Sehnsucht nach „Normalität“ und „Ruhe“, wenn es um rechtsextreme und rassistische Gewalt geht, ist in Deutschland ein immer wiederkehrendes Phänomen. Es wird dabei vergessen, dass die Betroffenen der Gewalt sich vermutlich am Meisten diese „Normalität“ wünschen, ihnen diese aufgrund der tragischen Verluste aber immer verwehrt bleiben wird. Die „Initiative 19. Februar Hanau“ stellt zudem präzise fest: „Es darf kein Zurück zu einer Normalität geben, in der sich ein solch rassistischer Anschlag ereignen konnte. Es muss sich etwas ändern in dieser Gesellschaft. Uns ist daher das offene und vielfältige Gedenken in dieser Stadt sehr wichtig.“ (vgl. die Stellungnahme)
 
Hanaus Bürgermeister Claus Kaminsky (SPD) will die Erinnerung unter Abstimmung mit den Betroffenen lebendig erhalten. Kaminsky hatte schon in den vergangen Monaten einen engen Kontakt zu den Angehörigen gesucht und gepflegt. Aktuell gibt es einen Gestaltungswettbewerb für ein Denkmal am Ort des Anschlags. Das Grimm-Denkmal bleibe bis dahin der Ort der Trauer für die Betroffenen, versicherte Kaminsky in einem Interview der „taz“. Die Stadt plant zudem ein „Vielfalt“- und „Demokratiezentrum“, in welchem verschiedene Gruppen und Initiativen „demokratische Ideen” entwickeln sollen. Neben der „Initiative 19. Februar Hanau“ engagiert sich weiterhin der Verein „19. Februar – Institut für Toleranz und Zivilcourage“ in der Unterstützung der Opferangehörigen sowie der Entwicklung eines gesellschaftlichen Bewusstseins, dass sich „für ein engagiertes, kraftvolles und vereintes Auftreten für Toleranz und Zivilcourage einsetzt.“ Beide Initiativen sind auf Spenden angewiesen und unten verlinkt.
 

 
Foto: Rasande Tyskar (CC BY-NC 2.0)