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Ein Projekt des Magazins stern und der Amadeu Antonio Stiftung
...408 mal in eins mal eins sechzig. Bürger und Bürgerinnen aus Magdeburg wählten einen eindrucksvollen Weg, Gesicht gegen Neonazis zu zeigen, die am 17.1.2009 in Magdeburg aufmarschieren wollten. Die Installation war cleverer Höhepukt von Magdeburgs 'Meile der Demokratie'.
Von Christine Böckmann
Am frühen Morgen um acht. Es ist kalt. In einem leerstehenden Zwölfgeschosser in der Magdeburger Innenstadt sammeln sich Menschen: Jugendliche und Erwachsene, Kletterer und Experten für Klebefolien. Materialien werden hereingeschleppt - Leitern, Kletterseile, bergeweise Küchenpapierrollen, Kabeltrommeln, Brötchen und Suppe, Schokoriegel, fair gehandelter Kaffee und ein Gasheizer.
Dann kommen die ersten Klebefolien. Und damit die bange Frage: Können wir wirklich bei diesem Wetter die Folien anbringen? Werden sie an den Fenstern haften? Bis +5 Grad Celsius gibt die Druckerei Klebegarantie für die Folien. Das Thermometer steht bei -6 Grad. Eine Testfolie im obersten Stockwerk. Eine Stunde Beratung. Dann fangen wir an.
Dass das ein entscheidender Tag für eine öffentlichkeitswirksame Aktion gegen Rechtsextremismus werden soll, ist für Außenstehende schwer erkennbar. Und doch: Diese ca. fünfzig Menschen, dick eingemummelt und in Arbeitsklamotten, wollen heute ein politisches Kunstwerk installieren:
Das ehemalige Haus der Lehrer, bisher ein wenig attraktiver Zwölfgeschosser in der Magdeburger Innenstadt, verwandelt sich: „Gesicht zeigen gegen Nazis“. 408 Gesichter stehen dafür, dazu die Logos von Sponsoren, die die Aktion finanzieren.
Die 400 Menschen hatten sich in der Adventszeit fotografieren lassen. Zu unserer Überraschung war es einfacher als wir dachten, Menschen dafür zu begeistern. Viele kamen in unser improvisiertes Fotostudio im Rathaus, sie kamen gezielt auf einen Artikel in der Lokalzeitung hin oder ließen sich von uns auf dem Weihnachtsmarkt für die Aktion begeistern. Es wären noch mehr geworden, wenn das Haus größer wäre.
Gesicht zeigen für Magdeburgs bunte Meile der Demokratie
Unser Zögern aufgrund der Temperaturen wirft Fragen auf: „Warum wartet ihr nicht bis zum Frühjahr?“ Aber wir wollten die Aktion für Samstag, den 14.1 fertig haben: Magdeburg erwartete den jährlichen Naziaufmarsch anlässlich des Tags der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg. Die Gegendemos der letzten Jahre haben wenige hinterm Ofen hervorgelockt. Dieses Jahr lockte eine bunte Meile der Demokratie mit Kultur und Infoständen die Menschen auf die Straße . Dafür sollte das Haus fertig sein - kein ungefährliches Projekt:
Als die Sonne rauskommt, gehen wir das Risiko ein: Die Kletterer seilen sich vom Dach an der Außenfassade ab, von innen reichen ihnen die Freiwilligen die Klebefolien mit den ein mal ein Meter sechzig großen Porträtfotos nach draußen. Im Haus ein geschäftiges Gewusel von Helfenden.
Vorm Haus auf der Straße erklären wir den Passant/innen, was da vor sich geht. Viele freundliche und positive Rückmeldungen sind zu hören: dass sich so viele engagieren, Jung und Alt gemeinsam. Man guckt hoch zu den Porträts, entdeckt Prominente und Bekannte. „Beachtenswert, dass die sich so was trauen“, sagt eine Dame und meint damit sowohl die Kletterer an ihren Seilen als auch die Menschen, die mit ihrem Porträt in der Öffentlichkeit Farbe bekennen.
„Denn die Rechten gehen doch auch hier lang.“
Von der leeren Platte zum politischen Kunstwerk: Ein Hingucker ensteht! Abends stehen wir frierend und stolz vor dem Haus: Viel ist geschafft. Tags darauf Erleichterung, dass alle 250 geklebten Folien halten, eine weitere Arbeitsschicht folgt, diesmal an der kalten Nordwand des „Mount Teacher“. Wir fangen an, das Haus der Lehrer zu mögen. Langsam erkenne ich an den Porträts auf den Fenstern, in welcher Etage ich bin. Die Gesichter werden vertrauter – die auf den Folien und die derjenigen, die hier mit uns arbeiten.
Nach zwei Tagen anstrengender Arbeit in der Kälte sind wir fast fertig. Die letzten Klebearbeiten werden am nächsten Samstag erfolgen, im Rahmen der Meile der Demokratie. Ein Infostand unserer Initiative „hingucken… denken… einmischen“ wird vor dem Haus stehen. Die Kletterer werden ebenfalls dort sein – „in der Wand“ und mit Informationen über ihre Aktivitäten.
Sogar der Oberbürgermeister ließ sich begeistern
Ohne all die Helfenden und Unterstützer/innen wäre solch eine Aktion nicht zu stemmen. Wie viele sich in den letzten Tagen bereit erklärt haben, mit anzupacken und ganze Arbeit geleistet haben, war erstaunlich und ermutigend. Und schon vorher hat uns die Unterstützung positiv überrascht: Spender/innen und Sponsoren, Firmen und Organisationen, die uns mit Arbeitszeit, Knowhow und guten Konditionen helfen, ein Oberbürgermeister und andere Prominente, die sich begeistern ließen, der Lokale Aktionsplan Magdeburg.
Das Haus der Lehrer bleibt auch über die Meile der Demokratie hinaus ein Hingucker. Die Installation wird sicher bis März zu sehen sein. Ab und zu wird dann vor dem Haus die Straßenbahn mit der „Vielfalt gemeinsam erleben“-Werbung vorbeifahren. Dann begegnen sich die letzten beiden Projekte unserer Initiative „hingucken… denken… einmischen“. Und nicht nur dann kann man merken: Ja, wir können was bewegen in dieser Stadt. Und es hat sich was verändert: Magdeburg zeigt Gesicht und wird eine weltoffene und engagierte Stadt, die den Neonazis die Stirn bietet.
Die Autorin ist Mitarbeiterin der Ökumenische Initiative „hingucken… denken… einmischen“
Nähere Infos zur Meile der Demokratie bei MUT und auf der Internetseite des Magdeburger Bündnis gegen Rechts
Wie Magdeburgs 'Meile der Demokratie' verlief: (MZ-web.de, 17.1.2009).
Proteste am 16.1.2009 gegen Nazis auch in Ludwigshafen, Leipzig und Pforzheim.
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / hk