Eine solche Vielfalt von Aufrufern zu einer Demonstration gegen Neonazis gibt es selten, wie auf dem abgebildeten Rundbrief aus Pößneck in Thüringen. Der Anlass: Rechtsextreme mobilisierten europaweit zum dritten sogenannten "Fest der Völker" am 13.9. im thüringischen Altenburg, um dort ihren Hass auf das moderne Nachkriegseuropa auszudrücken. Doch in großer Vielfalt machten Bürger und Bürgermeister gegen das Nazitreffen mobil - auch über sonst kaum überwindbare Parteigrenzen hinweg.
2000 Menschen nahmen an den Protesten teil, 1000 Neonazis kamen - weniger, als in den vergangenen zwei Jahren.
Dabei kam es auch zu vereinzelten Gewalttaten. Zwölf verletzte Polizeibeamte und 14 verletzte Demonstranten wurden nach Versammlung der rechtsextremen NPD und mehreren Gegendemonstrationen in Altenburg von der Polizei gezählt. Fast 50 NPD-Anhänger und Gegendemonstranten seien vorläufig festgenommen oder in Unterbindungsgewahrsam genommen worden. Gegen 17 Versammlungsteilnehmer wurden Anzeigen wegen Landfriedensbruch oder Verstoß gegen das Versammlungsrecht ausgesprochen.
Zu den weitgehend friedlichen Gegenprotesten riefen in einer gemeinsamen Erklärung elf Oberbürgermeister aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zum Protest gegen Rechtsextremismus auf. Vor dem Hintergrund des rechtsextremen "Festes der Völker", das am 13. September im ostthüringischen Altenburg stattfinden soll, "müssen wir alle ein deutliches Zeichen setzen, dass braunes Gedankengut in unseren Städten keinen Platz findet", heißt es in der Erklärung. In einem Plattenbauviertel in Altenburg-Nord wollen Neonazibands vor möglicherweise mehreren tausend Neonazis auftreten - nicht nur zum Entsetzen der örtlichen Bevölkerung.
Die Stadtoberhäupter von Altenburg, Borna, Chemnitz, Crimmitschau, Erfurt, Gera, Jena, Plauen, Weimar, Zeitz und Zwickau appellieren in ihrer Erklärung aber auch an die Einwohner von Altenburgs Nachbarstädten, sich an Gegenaktionen zu beteiligen und durch friedliche Proteste oder bloße Präsenz bei den Veranstaltungen der lokalen Aktionsbündnisse ein deutlich vernehmbares "Nein" zu Rechtsextremismus, Diskriminierung und Intoleranz zu erklären.
"Immer häufiger werden unsere Städte als Veranstaltungsorte für rechtsextreme Aufzüge, Kundgebungen, Konzerte oder Versammlungen genutzt", heißt es in der Erklärung weiter. "Rechtsextreme Aktivitäten schaden dem Ansehen unserer Städte, verbreiten Angst, Unsicherheit und verletzen insbesondere Gefühle von den Mitmenschen, die schon einmal Opfer von Gewalt, Terror und Diskriminierung waren."
Ideologiefest der Neonaziszene
Das "Fest der Völker" ist ein europaweites Treffen von Neonazis. Das nach dem ersten Teil des Olympiafilms von Leni Riefenstahl aus dem Jahr 1936 benannte Musikfestival fand 2005 und 2007 in Jena statt, in diesem Jahr ist erstmals Altenburg Veranstaltungsort
Was sich die Neonazis hasserfüllt von ihrem "Fest der Völker" versprechen, beschreiben sie ideologisch verkleistert auf ihrer Veranstaltungs-Webseite so: "
...Noch sind wir nur wenige, doch wir werden von Tag zu Tag mehr. Wir sind die Jugend die für sich eine Zukunft einfordert, fern ab eurer perversen Vorstellungen vom seelenlosen Konsumsklaven, der sich für Eure Profitsucht bereitwillig zum heimatlosen Wanderarbeiter wird. Wir werden nicht, für ein paar Silberlinge das verschleudern, was die Identität unserer Völker aus macht. Unsere Jahrtausend alte Geschichte und kulturellen Eigenarten für schlecht bezahlte Arbeitsplätze aufgeben, um uns in den Strom der willenlosen Konsumenten einzureihen. Wir sind Europa! Ihr bekommt unsere Heimat nicht kampflos!"
12 rechtsextreme Redner, die in solche Hörner blasen, kündigen die Neonazis für ihr "Fest der Völker" an, aus Deutschland spricht der selbsternannte Artenkundler und Hamburger NPD-Chef Jürgen Rieger. Auch die Bezeichnungen angemeldeter Infostände wie "Informationskampagne "Patriotenprozess in der Ostmark" und "JN Frontdienst" sprechen Bände. Sechs zum Teil einschlägig bekannte Bands stehen auf dem Spielplan, mit rassistisch unzweideutigen Namen wie "White Law" oder recht treffend "Brainwash" (Gehirnwäsche).
Kein Brainwash in Thüringen!
Um Thüringen eine solche ideologische Gehirnwäsche zu ersparen, rufen nicht nur Bürgermeister, sondern auch zahlreiche Organisationen, Verbände und Vereine zum Gegenprotest auf. Sogar die evangelische Kirche plädiert für eine "friedliche Blockade", um " ein deutliches Zeichen für Menschenwürde, Demokratie und Toleranz" zu setzen (siehe:
http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/service/buecher/kirche-aktiv-gegen...
Im vergangenen Jahr sollte das sogenante "Fest der Völker" (der Begriff geht auf Hitlers Lieblingsfilmemacherin Leni Riefenstahl zurück) in Jena stattfinden, eine Blockade durch mehrere Tausend Bürger nebst Bürgermeister verzögerte den Beginn zumindest um mehrere Stunden, dann bahnte die Polizei den Rechtsextremen eine Gasse. (
http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/reportagen/jena-2007/).
In diesem Jahr sind die rechten Veranstalter auf das 60 km entfernte Altenburg ausgewichen, das sie als eine rechte Hochburg wähnen und im Internet als Ort mit einer "über 1000jährigen Geschichte" preisen - fast so als gehe es um eine bewusste Anlehnung an den Nazi-Begriff vom "tausendjährigen Reich". Aber Nazi-Schmarren wollen das Gros der Anwohner und viele Inititiativen nicht länger in Thüringen ertragen, nicht in Jena, nicht in Altenburg, Pößneck oder anderswo. Zielgerichtet sind eine Reihe führender Neonazis in den letzten Jahren aus benachbarten westlichen Bundesländern eingewandert, um hier eine feste braune Basis für das Wahljahr 2009 zu schaffen. Auch das Organisieren solch ideologischer Konzerte gehört zu ihrer Strategie.
Parteiübergreifender Widerstand aus Jena, Pößneck u.a.m.
Beispielsetztender Widerstand gegen solche Nazi-Events kommt nicht nur aus Altenburg, sondern auch aus benachbarten Städten wie Jena und aus Landkreisen, wie dem thüringischen Saale-Orla-Kreis rund um Pößneck, wo der NPD-Stragege Jürgen Rieger bereits als Immobilienkäufer für die Neonazi-Szene aufgetreten ist.
In Jena nahmen alle Fraktionen des Stadtrates eine Erklärung zum sogenannten „Fest der Völker“ an. Die Stadträte erklären solidarisch mit dem Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus und riefen alle Bürger dazu auf, mit in Altenburg gegen Rechts zu demonstrieren. Oberbürgermeister Albrecht Schröter informierte am Mittwoch Abend, dass sich bereits mehr als 600 Bürger angemeldet haben; 14 Busse seien gebucht. Auch er unterstützt die Erklärung und ruft zur regen Beteiligung und weiteren Spenden für den Bus-Transport auf.
Ähnliches aus Pößneck. Dort werben (siehe Foto) jetzt CDU, FDP, SPD und Kirche an der Seite des regionalen Bildungswerks Blitz und des Jugendbündnisses Pößneck Bürger zur kostenlosen "Aktionsfahrt für Demokratie und Courage, gegen das rechtsextreme „Fest der Völker“. Ein imponierendes Bündnis. Hoffentlich nicht nur auf dem Briefkopf des Papiers...
Hier der Text der Pößnecker Einladung:"Am Samstag, 13. September 2008, können Bürgerinnen und Bürger des Saale-Orla-Kreises in Bussen kostenfrei nach Altenburg fahren und dort mit vielen anderen Demokraten gegen das sogenannte, von der NPD organisierte „Fest der Völker“ demonstrieren. Im Jahr 2005 haben die NPD und rechtsextreme Kameradschaften das „Fest der Völker“ für zehn aufeinander folgende Jahre in Jena angemeldet. Diese Veranstaltung ist ein europaweites Neonazi-Festival mit Auftritten von Bands aus der Rechtsrock-Szene und Redebeiträge von Rechtsextremisten/innen aus unterschiedlichen Ländern. Wie so oft versucht die NPD mit ihren Gruppierungen, mit Musik für sich und ihre gesellschaftlichen Vorstellungen zu werben. Das „Fest der Völker“ wird als politische Kundgebung angemeldet und ist daher unter den Schutz der Versammlungsfreiheit gestellt.
Der Zweck dieses „Festes“ ist unter anderem das Sammeln von Geldern, denn es wird Eintritt in Form von „Spenden“ erhoben. Diese fließen nicht nur der täglichen Arbeit von NPD z.B. auch im Schützenhaus Pößneck und rechtsextremen Kameradschaften, sondern auch dem Wahlkampf 2009 zu. In diesem Jahr fällt das Fest der Völker leider nicht aus, sondern findet nach breitgefächerten Widerstand am Ausweichstandort Altenburg statt. Im Saale-Orla-Kreis gibt es, mit Blick auf das Schützenhaus in Pößneck und die Etablierung einer “rechten Szene”, gute Gründe, Solidarität mit den Altenburgern und allen Thüringern zu zeigen:
Demokratiebedrohende Strukuren machen nicht vor Ortsschildern halt, das “Fest der Völker” betrifft ganz Thüringen.
Deshalb organisieren das Akt ionsbündnis Courage und der Kreisjugendring Nr. 16 für den Landkreis mit Unterstützung des Landrats, des Begleitausschusses des Lokalen Aktionsplans Pößneck, Bildungswerk Blitz e.V., der Evangelischen Kirchgemeinde Pößneck sowie den Kreisverbänden der CDU, SPD, FDP und der Linken eine Akt ionsfahrt nach Altenburg. Alle Bürgerinnen und Bürger aus dem Landkreis sind herzlich eingeladen, an der Demonstration in Altenburg teilzunehmen. Der Kreisjugendring Nr. 16 stellt mit Unterstützung des Landratsamt dafür Busse zur Verfügung..."Tagesbericht:
http://www.zeit.de/news/artikel/2008/09/13/2613895.xml
Mehr zur Lage in Altenburg am Vorabend der Demonstrationen: http://www.zeit.de/news/artikel/2008/09/12/2613192.xml
und: http://www.tagesspiegel.de/politik/;art771,2613405
Hintergründiges aus der Uni Jena: http://www2.uni-jena.de/akruetzel/images/08-09/altenburg.pdf
Lesen sie auch unseren Bericht aus dem letzten Jahr: Jenas beinah gelungene Blockade von "Nazis im Zoo"...
http://www.mut-gegen-rechte-gewalt.de/news/reportagen/jena-2007/
www.mut-gegen-rechte-gewalt.de / hkulick